Brugghús Steðja
Borgarnes
ISL

Ist es die Einsamkeit, die Abgeschiedenheit, die idyllische Lage inmitten rauer Natur? Sind es die langen Nächte im Winter oder das ewige Licht im Sommer? Oder ist es die Internationalität? Woran liegt es, dass in der kleinen Brauerei Brugghús Steðja alte, tradierte Konventionen keine Geltung mehr zu haben scheinen?

Eine Menge unterschiedlicher Biere braut man hier, und auch wenn man behauptet, sich dabei meistens an das Reinheitsgebot zu halten, so zeigt ein genauerer Blick auf die verschiedenen Sorten, dass vom wunderlichen Verständnis des Reinheitsgebotes, so wie der Bayerische Brauerbund es so gerne propagiert, wenig zu sehen ist.

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eine Menge unterschiedlicher Biere braut man hier

„Zum Glück!“, sage ich zu mir selbst, als ich am 26. Mai 2015 die Etiketten der verschiedenen Flaschen versuche, zu verstehen, und Brauer Philipp Ewers mir dabei über die Schulter kuckt. Konventionen um ihrer selbst willen gelten nicht viel, merke ich dabei.

Das Bier, das schmeckt, wie ein Pilsener, heißt hier nicht Pilsener, sondern einfach nur Lager. Warum? Weil Pilsener auf Island mit den im Supermarkt frei verkäuflichen Leichtbieren assoziiert wird. Gelbes Wasser mit gerade mal zweieinhalb Prozent Alkohol. Alle anderen Biere dürfen nur in den Monopolgeschäften der Kette Vinbuðin verkauft oder in Gaststätten und Restaurants mit Konzession ausgeschenkt werden.

Lager also. Nicht Pils.

Dann das Dunkle, Dökkur. „Ist ja eigentlich ein Alt“, schmunzelt Philipp. „Eine Reminiszenz an meine zehn Jahre, die ich beim Schumacher in Düsseldorf gearbeitet habe, bevor ich 2010 nach Island gekommen bin.“

Konvention Nummer 2 über Bord. Kein Dunkel, sondern Alt. Egal, was auf dem Etikett steht.

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das Sudwerk

„Hier habe ich ein Erdbeer-Bier. Gebraut mit echten, isländischen Erdbeeren. Die schmecken genial, so gute Erdbeeren habe ich seit meiner Kindheit nicht mehr gegessen. Fast schon zu schade, um sie ins Bier zu tun. Aber wir nehmen dafür die zweite Wahl, also Erdbeeren, die anders aussehen, krumm gewachsen sind.“ erzählt Philipp, und Konvention Nummer 3 wird verworfen. Reinheitsgebot?

„Tja, dann haben wir hier ein Radler“, heißt es weiter, „gesüßt mit Stevia und einem zuckerfreien Zucker. Damit bleiben wir unter der magischen Alkoholgrenze und dürfen es im Supermarkt verkaufen.“

Und er fährt fort. „Weihnachtsbiere sind hier auf Island der absolute Renner. In den Herbstmonaten kann ich gar nicht so viel brauen, wie ich über Weihnachten verkaufen könnte.“ sagt Philipp. „Nicht einmal die doch recht große 20-hl-Anlage kann da mithalten.“ Ich sehe mir die Anlage etwas näher an. Eine ungewöhnliche Konstruktion. „Ist wohl für den japanischen Markt vorgesehen gewesen, dort aber nie angekommen!“ heißt es. „Dann stand sie eine Weile woanders, und vor drei Jahren habe ich sie hierher bringen lassen. Ich weiß nicht mal so genau, wo die hergestellt worden ist.“

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der Gär- und Lagerkeller

‚Bohemian Breweries‘ steht auf der Schalttafel, und daneben ein Logo, das wie die Buchstaben BTB aussieht. „Aber Brautechnik Bochum ist es nicht – bei denen habe ich schon gefragt, die haben nie so eine Anlage hergestellt. Vielleicht heißt es ja auch BHB?“ rätselt Philipp. „Die kleinen Gärtanks sind jedenfalls japanisch beschriftet! Aber egal, Hauptsache ist, dass die Anlage funktioniert. Schau mal hier, es gibt in beiden Geräten sogar jeweils ein Sichtfenster und Innenbeleuchtung!“

Aber zurück zum Bier. „Unsere erfolgreichsten Biere habe ich Dir noch gar nicht gezeigt. Schau hier, das Osterbier!“ Ich nehme die Flasche in die Hand. „Þari – Páskabjór“ steht auf dem Etikett. Und auf der Zutatenliste finde ich neben Gerstenmalz, Hopfen und reinem isländischen Wasser noch Kakao und Seetang. Und den stolzen Vermerk „NO added sugar nor preservatives!“

„Aha, ein Natürlichkeitsgebot statt eines Reinheitsgebots!“ mutmaße ich. „Ja, so kann man das sagen. Konservierungsstoffe oder weißer Zucker kommen mir in meine Biere nicht hinein, aber natürliche Zutaten nehme ich gerne. Erdbeeren, Seetang, Kakao, Lakritze. Gerne auch mal Kürbiskerne. Sogar die echten, aus der Steiermark!“, grinst Philipp.

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Páskabjór / Osterbier

„Naja, und zum Þorra-Fest Anfang des Jahres, da muss es dann ganz etwas Besonderes sein,“ fährt er etwas zögerlich fort. „Das hat in der deutschen Presse dann richtig Wellen geschlagen. Dabei habe ich doch nur ein zu den isländischen Traditionen passendes Bier gebraut. Ich habe mir überlegt, dass es traditionelle Zutaten sein müssen, die hier auf Island schon immer benutzt werden. Aber sie können gerne neu kombiniert werden. Und so habe ich letztes Jahr Walmehl in das Þorra-Bier getan, und dieses Jahr über Schafsdung geräucherte Walhoden.“

Im ersten Moment schaue ich ungläubig, aber Philipp nickt nachdrücklich mit dem Kopf. „Das ist so gut angekommen, da sind alle Flaschen in zwei Wochen komplett verkauft gewesen! Das war ein Volltreffer und passte genau zu den isländischen Traditionen des Þorra-Festes!“

Nun ja, ganz im Sinne eines Natürlichkeitsgebots, denke ich. Es ist nichts Künstliches, Chemisches drin. „Also, wie das schmeckt, das würde mich ja schon mal interessieren!“, sage ich, und Augenblicke später habe ich eine Flasche in der Hand. „Probierst Du halt heute Abend im Hotel mal!“, sagt Philipp, „Aber nicht hier, Du musst doch bestimmt noch fahren!“

Voller Vorfreude auf dieses Bier sehe ich mir noch die italienische Flaschenabfüllung an. Eine wahrhaft internationale, kleine Brauerei. Ein isländischer Eigentümer, ein deutscher Brauer, eine vermutlich tschechische Brauerei, japanische Gärtanks und eine italienische Flaschenabfüllung. Und ein österreichischer Importeur für den mitteleuropäischen Raum.

Und Zutaten ebenfalls aus aller Welt.

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eine überdimensionale Bierflasche an der Einfahrt zum Hof

Zufrieden gehe ich zum Auto zurück, hinter mir die schmucklose Wellblechhalle. Nur ein kleines Logo weist an der Stirnwand darauf hin, dass hier eine Brauerei untergebracht ist, die so spannende Biere produziert. Und eine überdimensionale Bierflasche an der Einfahrt zum Hof, die schon manchen vorüberfahrenden LKW-Fahrer mit seinem Truck ins Schlingern gebracht hat, wenn er sich nach ihr den Hals verrenkte…

Das Brugghús Steðja ist nach dem Hof Steðji benannt, auf dem sie sich befindet, Amboss heißt das auf Deutsch, benannt nach einer ambossförmigen Steinformation in der Nähe. Es liegt rund 20 km von Borganes entfernt, an der Straße 50 (Borgafjarðarbraut). Zu erreichen nur mit dem Auto. Man fährt von Borganes die 50 entlang, und nach der Abzweigung der 515 sind es nur noch wenige Kilometer – die Bierflasche an der Einfahrt ist nicht zu übersehen. Bierverkauf direkt ab der Brauerei ist nicht legal, aber Besichtigungen sind nach vorheriger Absprache für Gruppen möglich.

Bilder

Brugghús Steðja
Steðji Flókadal
311 Borgarnes
Island

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