31. Lahnsteiner Bierseminar
„Irrungen und Wirrungen des Reinheitsgebots“

Am 8. Mai 2014 hatte die Lahnsteiner Brauerei wieder zu ihrem monatlichen Bierseminar eingeladen, und 22 interessierte Teilnehmer waren der Einladung gefolgt. Wie immer war das Thema des Seminars durch Markus Fohr vorher nicht bekannt gegeben worden, aber nach seinen einleitenden Worten wurde rasch klar, dass ein paar Betrachtungen des sogenannten „Reinheitsgebots“ im Mittelpunkt der heutigen Verkostung stehen würden.

Nachdem mit einem hauseigenen Lahnsteiner Zwickl der erste Durst gestillt worden war und zwei Seminarteilnehmer für die bereits 30. (!) Teilnahme am Seminar geehrt worden waren, begann Fohr mit ein paar Überlegungen zum sogenannten „Reinheitsgebot“. Vor gerade mal zwei Wochen habe der 498. Jahrestag der Verkündung dieser lebensmittelrechtlichen Vorschrift stattgefunden – und auf den 500. Jahrestag im Jahr 2016 würden sich nicht nur die Brauereien in Deutschland, sondern auch die Bierliebhaber allerorten freuen. Grund genug für den Deutschen Brauerbund, bei der UNESCO die Aufnahme des Reinheitsgebots in die Liste des immateriellen Kulturerbes zu fordern. Schön wäre es doch, wenn dies noch vor der 500-Jahr-Feier gelänge.

Zur Bekräftigung seiner Worte schenkte Markus Fohr als erstes Verkostungsbier das Weltenburger Kloster Barock Dunkel aus, ein würziges, malziges Bier aus der Klosterbrauerei Weltenburg, der zweitältesten Brauerei der Welt, natürlich gebraut nach dem sogenannten „Reinheitsgebot“.

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Gruitbier mild der Lahnsteiner Brauerei

Doch schon das folgende Bier, ein Gruitbier mild der Lahnsteiner Brauerei schien gegen das sogenannte „Reinheitsgebot“ zu verstoßen – war es doch anstatt mit Hopfen mit einer Gewürzmischung aus Salbei, Wacholder und Muskatblüte veredelt worden. Intensive Kräuteraromen und –geschmäcker dominierten im Glas. Die Erläuterung folgte prompt: Biere, deren Tradition älter sei als die des sogenannten „Reinheitsgebots“, dürften selbstverständlich in Deutschland als Ausnahme zu diesem gebraut werden. In diesem Zusammenhang wies Fohr denn auch darauf hin, dass das sogenannte „Reinheitsgebot“ in seinem Wortlaut aus dem Jahre 1516 natürlich sowieso nicht umsetzbar sei, sondern seinen Rechtsnachfolger im vorläufigen Deutschen Biergesetz gefunden habe, das eben solche Ausnahmen auch definieren würde.

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Milk Stout der Camba Bavaria

Das Milk Stout aus der Camba Bavaria Brauerei in Truchtlaching, das als nächstes folgte, war ein mit Milchzucker (Lactose) und Haferflocken gebrautes Stout, das aus rechtlichen Gründen in Deutschland nicht Bier genannt werden darf und daher konsequenterweise von der Camba Bavaria als Biermischgetränk angeboten wird. Der Hafer verleiht diesem dunklen, röstigen und leicht nach Kaffee duftenden Bier eine samtige Textur, der Milchzucker einen vollen, runden, geradezu süßlichen Körper. Sehr interessant.

Es folgte ein Bier nach dem sogenannten „Reinheitsgebot“, nämlich der helle Bock aus der Camba Bavaria. Rund, malzig, mit intensiven Duftnoten von Waldhonig betörte er die Sinne unserer Bierfreunde.

Der folgende Jacobator aus der Brauerei Jacob in Bodenwöhr war im Gegensatz zu seinem Vorgänger ein ausgesprochen dunkler Bock. Und: Er war seit über drei Jahren im Keller gelagert worden und hatte deutlich über das „offizielle“ Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus reifen können. Sehr voll, sehr rund, mit Aromen eines schweren Rotweins und ebenfalls kräftigen Honignoten wusste er zu überzeugen.

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Helios Tripelbock der Braustelle

Seine alkoholische Stärke von 7,5 % wurde vom nächsten Bier, dem Helios Tripelbock der Braustelle in Köln-Ehrenfeld noch übertroffen: 9,5% standen auf dem Etikett, und sie waren auch deutlich im Bouquet und im Geschmack spürbar. Statt Markus Fohr ergriff Frank Michel, frisch ausgebildeter Bierbotschafter der Industrie- und Handelskammer Koblenz, die Initiative, um dieses Bier vorzustellen und auch ein wenig Werbung für die Braustelle zu machen, die mit immer wieder neuen und interessanten Bieren zu überraschen vermag.

Gipfel auf der heutigen Alkoholleiter war dann das zum Abschluss (finis coronat opus – das Ende krönt das Werk) gereichte ICE 30 vom Schorschbräu aus Gunzenhausen. Nomen est omen, es hatte in der Tat 30% Alkoholgehalt, und so wurde lediglich eine kleine 0,33-l- Bügelflasche geköpft und in kleinen Schnapsgläsern ausgeschenkt. Überraschend, wie scharf der Alkohol in diesem Bier schmeckte, und wie kräuterartig der Hopfen den Geschmack dominierte.

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das ICE 30 vom Schorschbräu

Insgesamt also wieder eine sehr gute und attraktive Bierauswahl. Allerdings hätte ich mir ein wenig mehr ehrliche Neutralität beim Lobpreisen des sogenannten „Reinheitsgebots“ gewünscht. Auch wenn es der Brauerbund gebetsmühlenartig wiederholt, ist es nicht das älteste, durchgängig geltende Lebensmittelgesetz der Welt. Bereits kurz nach seiner Inkraftsetzung im Jahr 1516 war es durch ergänzende Vorschriften aufgeweicht worden. Brauen mit Gewürzen und sogar Kochsalz war in den Jahrhunderten danach auch in Bayern durchaus üblich, wenn auch nicht überall. Als ein Beispiel möge die Ingolstädter Polizeiverordnung aus dem Jahre 1717 dienen, ja, gerade aus der Stadt, in der das Reinheitsgebot 1516 verkündet worden war: „die breuwer sollten (…) höchstens ayn wenig Saltz und kühmel sowie kramethbeer (Wacholderbeeren) anwenden.“

Und einen richtigen rechtlichen Charakter bekam das sogenannte „Reinheitsgebot“ erst im Laufe des 19. Jahrhunderts wieder, als es in moderne Rechtsnormen umgesetzt wurde. Von durchgängiger Geltung kann also überhaupt nicht die Rede sein.

Und es kennt zahlreiche Ausnahmen – nicht nur für historische Biere, die es vor 1516 schon gab, sondern auch für obergärige Biere (Zitat aus dem vorläufigen Biergesetz: „Es ist hierbei jedoch auch (…) die Verwendung von technisch reinem Rohr-, Rüben- oder Invertzucker sowie von Stärkezucker und von aus Zucker der bezeichneten Art hergestellten Farbmitteln zulässig“). Es verhindert auch nicht, dass Biere mit koffeinhaltigen Limonaden (Cola) verschnitten werden, in denen alle möglichen Chemikalien enthalten sind. Angefangen von Phosphorsäure bis zu Farb- und Antioxidationsmitteln und ähnlichem, und dass trotzdem auf dem Etikett dieses Biermischgetränks stehen darf „gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot“.

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Biermischgetränk mit koffeinhaltiger Limonade
„gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot“

Eine allzu einseitige Darstellung, wie wir sie heute gehört haben, ist da nicht hilfreich, denn sie hält den Bierkonsumenten dumm. Einige Kommentare der Seminarteilnehmer, die unreflektiert, aber reflexartig gegen die EU zu schimpfen begannen, die ja bestimmt die Absicht habe, das sogenannte „Reinheitsgebot“ zu kippen und Chemiebiere in Deutschland zuzulassen, unterstrichen, dass hier noch eine Menge Aufklärungsbedarf besteht, der ein wenig über Schwarz-Weiß-Darstellung, die sich nur wenig vom Bild-Zeitungsniveau unterscheidet, hinausgeht.

Weder verhindern das sogenannte „Reinheitsgebot“ oder das vorläufige Biergesetz die Zugabe von Chemikalien (die sind nämlich während der Herstellung erlaubt, sofern sie „bis auf gesundheitlich, geruchlich und geschmacklich unbedenkliche, technisch unvermeidbare Anteile wieder ausgeschieden werden“), noch würde sein Fall den deutschen Markt mit Chemiebieren überschwemmen. Es gäbe vielmehr eine große Auswahl an interessanten Früchte-, Kräuter- oder Gewürzbieren, die nur aus natürlichen Zutaten hergestellt würden, und sich endlich – wie in allen anderen Ländern der Welt – Bier nennen dürften, und nicht unter Kunstbezeichnungen wie „Biermischgetränk“, „Bräu“, „Sud“, „Malztrunk“ oder ähnlichem auf den Markt gebracht werden müssten.

Und die wirklichen „Chemiebiere“, die gibt es doch längst in den großen Getränkemärkten – Biere aus aller Welt, die auch mit Konservierungsstoffen und ähnlichem gebraut werden. Aber kein ernstzunehmender Bierliebhaber kauft sie. Warum auch?

Ich frage mich nur: Warum hat der Deutsche Brauerbund eine solche Angst vor dem Fall des sogenannten „Reinheitsgebots“, und vor allem, warum agiert er unaufrichtig? Ich weiß es nicht, würde mich aber persönlich freuen, wenn mit der gleichen Verve, wie die aus meiner Sicht unsinnige Aktion bei der UNESCO vorangetrieben wird, neue und interessante Biere aus natürlichen Rohstoffen entwickelt und auf den Markt gebracht würden. Ganz so, wie es die zunehmend zahlreicher werdenden kleinen Craft-Brauereien auch ohne den Brauerbund ganz erfolgreich vormachen!

Bilder vom 31. Lahnsteiner Bierseminar

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