Bierstädte der Welt
Bierszene Washington

In den USA hat die weltweite Craftbier Revolution ihren Anfang genommen. 1984 war ein Tiefpunkt mit landesweit lediglich fünfzig aktiven Brauereien erreicht – Brauereien, die alle im Wesentlichen das gleiche Produkt herstellten, nämlich helles Lagerbier. Langeweile quer über den Kontinent. 35 Jahre später kann von Langeweile nicht mehr die Rede sein: Die Statistiker zählten Ende 2018 sage und schreibe 7346 Brauereien, und Schätzungen besagen, dass auch 2019 wieder rund 1000 Neugründungen hinzugekommen sind.

Aber so beeindruckend diese Zahl auch sein mag – der Biermarkt in den USA ist unverändert gespalten, und es stehen sich zwei Welten gegenüber. Auf der einen Seite die nach wie vor deutlich größere Gruppe derer, die ihr Bier gedankenlos als Erfrischungsgetränk in sich hinein gießen und im Supermarkt zu Biermarken greifen, die erstens billig und zweitens möglichst geschmacksneutral sind, auf der anderen Seite die Fanatiker, denen kein Bier zu exotisch sein kann, sei es aufgrund der nur begrenzten Verfügbarkeit, sei es aufgrund in extremis getriebener Geschmacksrichtungen.

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der Star Spangled Banner ist allgegenwärtig

Beide Welten finden wir auch in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten, in Washington DC. Gehen wir auf gut Glück in die nächstbeste Hotelbar, in ein x-beliebiges Restaurant oder in ein Bowling-Center, dann finden wir die großen Marken prominent beworben. Budweiser, Miller, Coors – von Bierenthusiasten gerne verächtlich als Budmilloors bezeichnet. Biere mit wenig Eigengeschmack, relativ hoch gespundet und mit einem Alkoholgehalt von knapp fünf Volumenprozent unauffällige Begleiter zum Snack, zum Essen oder zum Sport.

Schauen wir jedoch genauer hin, dann finden wir neben den aggressiven und reißerischen Werbeplakaten der großen Braukonzerne eine bunte und farbenfrohe Bierwelt, die vom gemütlichen Steakhouse bis zur Szenekneipe mit eigener Brauerei alles bietet, was man sich wünscht.

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das District Chop House

Beginnen wir unsere Reise durch die Hauptstadt am besten mit einem kräftigen Essen, um eine solide Grundlage für viele spannende Biere zu bekommen. Mitten im Zentrum, nur einen Steinwurf von Chinatown entfernt, steht das District ChopHouse, ein Steakhouse mit eigener Brauerei. Zwei bis drei Daumen dick sind die Steaks, die hier serviert werden, und neun verschiedene Biere aus eigener Produktion, die gerne auch als Tasting Board bestellt werden können, wetteifern um den besten zum Steak passenden Geschmack. Ein süffiges Zwickel? Ein hopfiges Pale Ale? Ein leicht phenolisches Saison oder, Krönung des Angebots, ein Bourbon Stout, bei dem sich kräftige Bourbon-Aromen mit dem mächtigen Malz- und Röstkörper eines starken Stouts wunderbar mischen und ergänzen? Es hängt wohl ganz vom Steak ab, welches Bier jetzt am besten passt.

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Capitol City Brewing Company

Solides Essen gibt es auch im Pub der Capitol City Brewing Company, nur wenige hundert Meter weiter in Richtung Nordwesten: Tacos, Sandwiches, Wraps, Nachos und Chili stehen hier auf der leicht mexikanisch angehauchten Speisekarte. Zehn verschiedene Biere vom Fass buhlen daneben um Aufmerksamkeit, und auch wenn die meisten von ihnen durchrotieren, gibt es mit dem bernsteinfarbenen, hopfenbetonten Amber Waves und dem hellen, erfrischenden Capitol Kolsch (ohne „ö“) zwei Klassiker, die schon seit Jahren durchgehend gebraut werden. Allerdings nicht mehr hier vor Ort. Zwar war dieses Pub mit seiner Gründung 1992 das erste Brewpub in Washington, inzwischen gibt es aber mehrere Pubs, und die Biere werden aus Kostengründen zentral in Arlington auf der anderen Seite des Potomac River im Bundesstaat Virginia gebraut.

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City Tap House of DC

Noch einmal gehen wir ein paar Schritte zu Fuß, diesmal in Richtung Nordosten, zum City Tap House of DC. Eine aus alten (oder künstlich gealterten?) Holzbrettern gezimmerte Holzbude – so sieht es auf den ersten Blick aus. Der zweite Blick offenbart: Es ist nur Fassade, und das City Tap House sitzt wie ein nicht ganz zum Set passender Legostein in dem ansonsten einheitlich grauen Standard-Büroblock. Drinnen warten rund vierzig Fassbiere auf uns – Biere vorwiegend aus den USA, aber auch das eine oder andere aus Belgien. Hinter einer langen Glaswand kann man in den Kühlraum sehen und das Gewirr von Schläuchen verfolgen, das zur Theke führt. Stilistisch lassen die Biere keinen Wunsch offen – es dürfte so ziemlich alles im Angebot sein. Und da erfahrungsgemäß nach zwei, drei Bieren bereits der erste Hunger kommt, gibt’s dazu gewaltige Burger und riesige Portionen Chicken Wings.

Auf nur wenigen hundert Metern haben wir in wenigen Stunden genug Biere und Kalorien für eine ganze Woche zu uns nehmen können.

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Red Bear Brewing

Mit der Metro erkunden wir nun alle vier Himmelsrichtungen. Eine kurze Fahrt führt uns in Richtung Osten zur Red Bear Brewing, nur einen Steinwurf von der Union Station entfernt. Eine lange und gut frequentierte Theke zieht sich im Bogen durch eine große Halle. Das vorwiegend junge Personal dahinter hilft gerne und berät ausführlich, wenn es gilt, aus den zahlreichen angebotenen Bieren die richtige Wahl zu treffen. Empfehlenswert ist beispielsweise das Schadenfreude, ein hopfengestopftes Pilsner. Wie überall gibt es aber auch hier die Möglichkeit, sich Tester zu bestellen. Das Sudwerk steht in einem Seitenflügel der Halle; gut einsehbar hantiert der Brauer vor unseren Augen an den Pfannen und Kesseln herum. Ähnlich gut einsehbar der Küchenbereich, der allerdings nicht von der Red Bear Brewing selbst betrieben wird, sondern wechselnden Köchen und Teams zur Verfügung gestellt wird. Alle paar Wochen wechselt somit das kulinarische Angebot und überrascht als Pop-up Kitchen mit immer neuen Speisen zum vor Ort gebrauten Bier.

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Right Proper Brewing Company

Fahren wir vom Zentrum aus in Richtung Norden, so erreichen wir den Stadtteil Shaw und dort die Right Proper Brewing Company. Wir haben das Gefühl, eine Zeitreise fast fünfzig Jahre in die Vergangenheit zu machen – zurück in eine knallbunte Studentencommunity der frühen Siebziger. Bunte und impressionistische, psychedelische Bilder sind auf die rohen Ziegelwände gemalt, und ein großes Wandbild zeigt eine Schlacht zwischen bewaffneten Tieren über der Silhouette Washingtons, eine Szenerie, die an die Covergestaltung von Tarkus erinnert, einem Album der Bombast-Rocker Emerson, Lake & Palmer. Bunt wie die Wände ist auch das Publikum. Alle Altersgruppen und sozialen Schichten sind vertreten, Hautfarbe oder Abstammung spielen keine Rolle. Auch die LGBTQ-Community ist vertreten und die Toiletten sind konsequenterweise nicht mit „male“ und „female“ markiert, sondern lassen die Wahl zwischen „sitting“ und „standing“. Genauso bunt sind die Biere, die im hinteren Teil des Raumes gebraut werden – schon ihre Namen lassen Exotik vermuten: Wonkey Moon, Raised by Wolves oder The Invisible City of Bladensburg heißen sie, und das Angebot geht vom simplen Lager und Pale Ale über wild vergorene Biere oder Biere mit Blue Spruce, Trieben der nordamerikanischen Blaufichte, bis zu einem wuchtigen Imperial Stout mit fast zehn Prozent Alkohol. Eine kleine Brauerei, aber ein großes, farbenfrohes Erlebnis.

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Bluejacket Brewing Company

Wenden wir uns vom Zentrum in Richtung Süden, so kommen wir in Richtung Waterfront. Die Bluejacket Brewing Company liegt nur fünf Minuten vom Stadion der Washington Nationals, der Baseballmannschaft der Hauptstadt, entfernt. An Spieltagen ist hier vor und nach dem Match nicht einmal ein Stehplatz an der Bar zu bekommen. An „normalen“ Tagen hingegen bietet die sich gewaltig über drei offene Stockwerke erstreckende Brauerei einen großen Taproom mit viel Trubel, einen Restaurantbereich mit erstaunlich vielfältiger Küche, einen Bottleshop und einen Tastingroom, in dem kleine Mengen auch exotischer Sude in Ruhe verkostet werden können. Die Bar offeriert zwanzig Biere vom Fass und weitere fünf aus dem Cask, also im Fass nachvergoren und im englischen Stil ohne Druck gezapft. Vom einfachen Hellen oder Pilsner über hopfengestopftes Kölsch (hier mit „ö“) bis zum Triple IPA, das nicht ohne Grund nach einem Woodie-Guthrie-Album Hobo’s Lullaby, also des Wanderarbeiters Wiegenlied, genannt wird und mit seinen 10% Alkohol bereits nach einem großen Glas süße Träume beschert.

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Market Common Brewpub & Roastery

Eine Himmelsrichtung bleibt uns noch, und das ist der Westen. Wir unterqueren mit der Metro den Potomac River und kommen nach Arlington – zwar nicht mehr zu Washington DC gehörend, sondern in Virginia gelegen, aber mit Washington natürlich untrennbar verbunden, und zwar nicht nur wegen des Pentagons und des weltberühmten Heldenfriedhofs. Die Heritage Brewing Company aus Manassas hat hier 2017 einen kleinen Ableger, Market Common Brewpub & Roastery, eröffnet. Ein Brewpub, wie es amerikanischer nicht sein kann. Betrieben von Veteranen der US-Streitkräfte huldigt dieser kleine Brauereiausschank amerikanischem Patriotismus und Militarismus in jedem kleinen Detail. In kleinen Schaukästen finden sich Modelle von militärischem Gerät, Orden und Ausrüstungsgegenstände, aber auch Panzerfäuste und Mörsergranaten – letztere hoffentlich entschärft. Die Biere tragen Namen wie Revolution, Freedom isn’t Free oder American Expedition, und an der Wand hängt ein überdimensionaler Star Spangled Banner, der aus Holzleisten handgefertigt und bemalt ist. Wen diese Atmosphäre nicht stört, der findet hier vorzügliche Biere, gerne auch fassgereift, deftige Burger-Küche und eine trotz allem Militarismus herzliche und freundliche Bedienung.

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The Sovereign

Ein Besuch in Washington wäre aber nicht komplett, würden wir nicht noch einen Abstecher ins Vergnügungsviertel Georgetown machen. The Sovereign ist hier die Adresse der Wahl – ein belgisches Restaurant, das auf zwei Ebenen vorzügliche belgische Küche serviert: Muscheln, dicke belgische Fritten oder Coq au Geuze, in Geuze gekochtes Hühnchen. Dazu 50 Biere vom Fass, mehr als 300 aus der Flasche – zumeist belgische Stile, die vorwiegend, aber nicht zwingend in Belgien gebraut sind. Biere wie das Veraison von Wolves & People, das Shambolic von Tired Hands oder das Hickory von Scratch Brewing beweisen, dass sich mittlerweile auch die amerikanischen Brauereien bestens auf klassische belgische Bierstile verstehen.

Washington DC. So bunt wie die Stadt und ihre Bevölkerung ist auch ihre Bierszene.


Interessante Adressen in Washington DC:

Bluejacket Brewing, 300 Tingey Street SE
Capitol City Brewing Company, 1100 New York Avenue NW
City Tap House of DC, 901 9th Street NW
District ChopHouse & Brewery, 509 7th Street NW
Market Common Brewpub & Roastery, 1300-1398 N Fillmore Street (Arlington)
Red Bear Brewing Co., 209 M Street NE
Right Proper Brewing Company – Shaw Brewpub & Kitchen, 624 T Street, NW
The Sovereign, 1206 Wisconsin Ave NW


Artikel in der Zeitschrift Bier & Brauhaus

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