Zarte Bierpoesie? Was auf den ersten Blick als eine ungewöhnliche Wortkombination erscheint (Bier? Zart? Poetisch?) ist auf den zweiten vielleicht gar nicht mehr so überraschend. Warum soll man nicht auch einmal ein Bier oder eine Genusssituation mit feinen, wohlgesetzten, geradezu zärtlichen Formulierungen beschreiben?

Bekommst Du nicht beim Lesen des folgenden Textes schon Durst?

Biergenuss mit allen fünf Sinnen

Wir schenken uns ein frisches Glas ein und hören, wie das Bier schäumt und sprudelt. Dann steht es vor uns, golden glänzend, rötlich schimmernd oder tiefschwarz und edel. Das Glas ist kühl, aber nicht zu kalt. Außen bilden sich kleine Kondenswassertropfen. Wir spüren die Kühle mit der Hand und mit den Lippen, die das Glas berühren. Gleichzeitig riechen wir herbe, fruchtige oder blumige Noten. Wir nehmen einen kräftigen Zug und schmecken die Bittere des Hopfens und die Süße des Malzes, und dann setzen wir das Glas ab und sehen, wie sich nach jedem Schluck feine Schaumringe im Glas bilden.

Hören, sehen, fühlen, riechen, schmecken – das Zusammenspiel begeistert, und es ist die schier unendliche Zahl von Kombinationsmöglichkeiten, die Bier immer wieder zu einem neuen Erlebnis macht. Bereits der Gedanke an ein frisch eingeschenktes Bier lässt das Wasser in unserem Mund zusammenlaufen.

Schon der Duft kann betören. Feiner tschechischer oder steirischer Aromahopfen erzeugt einen dezenten Hauch von in der Sonne trocknendem Heu und erinnert uns an die Sommerferien unserer Kindheit in den Bergen. Neue US-amerikanische oder neuseeländische Hopfenzüchtungen bringen spielerisch-fruchtige Noten ins Bouquet, und wir fühlen uns zurückversetzt auf einen Obstmarkt am Mittelmeer im letzten Urlaub. Dunkle Malze verleihen dem Bier einen kräftigen, brotigen, vielleicht auch röstigen Geruch, und wir träumen davon, wie wir bei der Großmutter auf dem Land vor dem riesigen Steinbackofen stehen und die frischen Brote aus der Glut ziehen. Bei den schweren und komplexen, weinigen und fruchtigen Noten eines mit einer belgischen Hefe vergorenen Biers denken wir an die selbstgemachten Rumtöpfe, von denen bestimmt noch ein paar Gläser bei den Eltern im kühlen Keller stehen, und das kräftige Aroma eines mit über Buchenholz geräuchertem Malz gebrauten Rauchbiers erinnert uns an die wunderbaren Schinken, die der Onkel im Nachbardorf selbst im kalten Rauch getrocknet hat.

Noch haben wir das Glas nicht an die Lippen gesetzt, und sind doch schon in unseren Gedanken um die Welt und durch die Zeit gereist und haben längst vergessen geglaubte Erinnerungen zutage gefördert.

Nun kommt der Antrunk. Ein hochvergorenes, etwas kräftiger gehopftes Bier mit wenig Restsüße kann spritzig und perlig sein, kohlensauer und schlank. Mit niedrigem Alkoholgehalt, auf der Zungenspitze bitzelnd und leicht herb erfrischt es nach einem heißen Sommertag. In unserem Glas kann sich aber auch ein schwächer gehopftes, eher malzbetontes Bier befinden, das kräftig und voll den Mund mit einem mächtigen und runden Schluck erfüllt und nach harter Arbeit sättigt. Vielleicht fließt unser Bier aber auch alkoholstark und geradezu ölig-viskos tropfenweise über den Glasrand, höhere Alkohole steigen fast ein wenig scharf in die Nase, während sich auf der Zunge und am Gaumen eine wohlige alkoholische Wärme breit macht, die mit einem guten Branntwein konkurrieren möchte.

Wir schlucken und sinnieren einen Moment dem Bier hinterher. Bleibt für einen kurzen Moment noch eine feine Herbe im Rachen spürbar, die ein wenig trocken wirkt und Lust auf den nächsten Schluck macht? Vielleicht unterstützt von einem dezent mineralischen Charakter? Spielen feine Hopfensorten und die Härte des Wassers mit uns und erzeugen nach jedem Zug, der doch eigentlich den Durst löschen soll, gleich wieder das Verlangen, weiterzutrinken?

Spüren wir stattdessen die Süße des Malzes noch auf der Zunge, wie sie nur langsam verschwindet? Gerade so klebrig ist sie, dass wir mit einem weiteren Schluck die Zunge freispülen und erfrischen wollen. Oder merken wir den begeisternden retronasalen Effekt, wenn beim Ausatmen durch die Nase noch einmal die komplexen Aromen, die höheren Alkohole und die fruchtigen Ester eines sorgfältig komponierten Starkbiers über unsere Sinneszellen paradieren?

Der Forscher kann uns jetzt genau erklären, woher all diese Sinneseindrücke kommen. Er spricht von Harzen und Bitterstoffen im Hopfen, von Terpenen, Ölen und aromatischen Verbindungen, die es zu isomerisieren gilt. Er findet im Malz Einfach-, Mehrfach- und Komplexzucker, Glucose, Maltose, Dextrose, verschiedene Stärkekomplexe, aber auch Tannine in den Spelzen der Getreidekörner, und er analysiert die Resultate von Maillard-Reaktionen im dunklen Malz. Bei der Hefe interessieren ihn die Stoffwechselprodukte bei unterschiedlichen Temperaturen, komplexe Ester, einfache und höhere Alkohole, Fettsäuren, phenolische Komponenten und, natürlich, die Gärungskohlensäure. Schließlich identifiziert er Mineralstoffe im Brauwasser, misst dessen Härte und pH-Wert, die Restalkalität und Keimfreiheit.

Es ist aber nicht der Forscher, sondern der Brauer, der es vermag, die vier Rohstoffe Hopfen, Malz, Hefe und Wasser so einzusetzen, dass uns am Ende die vielen Duft-, Aroma- und Geschmackskomponenten in perfekter Balance und Ausgewogenheit zu betören wissen – so, dass das Bier bei jedem einzelnen Schluck die Lust auf den nächsten macht. Auf einen unendlichen Reigen immer neuer Genusserfahrungen.

Wenn wir das nächste Mal also zu einem Bier greifen, dann lassen wir uns ein auf diese Vielfalt und das Wechselspiel der Aromen. Lauschen nicht nur dem „Plopp!“ beim Öffnen der Flasche und dem Rauschen in der Kehle, wenn das Bier auf Nimmerwiedersehen dort verschwindet, sondern nehmen alle unsere fünf Sinne zusammen, genießen bewusst und sind ganz eins mit unserem Bier. Vollendete Momente!


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Volker, der Bierliterat
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