Fassldippler
Wien
AUT

„Fassldippler – was für ein merkwürdiges Wort!“, entfährt es mir unhöflicherweise, als wir uns zu recht später Stunde noch auf ein letztes Bier neben den Eingang des Bierlokals Fassldippler setzen. Der freundliche Kellner schaut mich skeptisch an, und Bierpapst Conrad Seidl lächelt. Geduldig erklärt er mir, dass dies einer dieser typisch wienerischen Ausdrücke sei, mit dem die Einheimischen in ihrer manchmal etwas schroffen Art Vertreter aus den nicht gerade mit Reichtum gesegneten Randgruppen der Gesellschaft bezeichnen würden. So, wie der Tschick-Arretierer die fast ausgerauchten Zigarettenkippen („Tschicks“) sammelt („arretiert“) und aus den Resten noch ein paar kräftige Lungenzüge nimmt, so hat es der Fassldippler auf die letzten Tropfen aus dem eigentlich leeren Bierfass abgesehen.

Fassldippler

„Es waren Arbeitslose, arme Teufel, Stadtstreicher, die man an der kleinen Blechkelle erkennen konnte, die sie um den Hals trugen“, erzählt Conrad. „Sie pilgerten von Wirtschaft zu Wirtschaft, schlichen sich zu den leeren Bierfässern im Hof und kippten, also dippelten, sie so lange, bis sie mit ihrer Schöpfkelle noch einen kleinen Schluck, eine kleine Lacke alten abgestandenen Biers beisammen hatten.“

„Na, Mahlzeit, das dürfte ja scheußlich geschmeckt haben“, sage ich, aber Conrad setzt noch einen drauf: „Die Menschen hatten sich daran gewöhnt, und es gibt die Geschichte, wie ein Gast in einer Wirtschaft, der ein paar Schillinge übrig hatte, einen dieser Fassldippler zu einem frischen Glas Bier einladen wollte und sich doch tatsächlich eine Abfuhr holte. ‚Naa, des is ja nix Reifes!‘ habe die Antwort des Fassdipplers gelautet, der sich dann lieber wieder den schalen Resten in seiner Schöpfkelle zuwandte“, erzählt er.

Mich gruselt’s, und ich bin froh, dass es hier im Fassldippler des Jahres 2016 statt der gammeligen Reste doch lieber ein leckeres und frisches Bier gibt. Beziehungsweise sogar viele.

eine Theke aus alten Bierkästen

Es war bis vor gar nicht langer Zeit ein ganz normales Ecklokal, aber 2014 hat man aus dem klassischen Beisl eine Craftbier-Wirtschaft gemacht und ihr den leicht ironischen Namen Fassldippler verpasst. Eine gemütliche alte Gaststube, die auch vor vielen Jahrzehnten genau so ausgesehen haben könnte, vielleicht sogar ausgesehen hat, aber gleich am Eingang merkt man, dass es hier doch um mehr geht: Die Theke ist zusammengesetzt aus alten Bierkästen, darüber ein Handvoll Zapfhähne und dahinter die schwarze Kreidetafel, ohne die es in einer Spezialbierbar nicht zu gehen scheint. Mit großen, schwungvollen Buchstaben ist dort das aktuelle Bierangebot angeschrieben.

Ich bestelle mir ein Mountain Pale Ale der Tiroler Kleinstbrauerei Bierol, und gehe wieder nach draußen, an den kleinen Tisch vor dem Eingang, an dem Conrad sitzt und sich mit einem Lemon Thyme Freestyle Gose von Next Level Brewing vergnügt. Beide Biere sind spannend, wobei sich das frische und hopfig-aromatische Mountain Pale Ale als das Durchtrinkbarere erweist. Der Thymian-Geschmack in der Gose ist vielleicht ein bisschen zu intensiv geworden, als dass man das durchaus leckere Bier in größeren Mengen genießen wollen würde. Aber trotzdem – schön, dass es diese experimentellen Bierstile gibt, und noch schöner, dass sie auch recht weit verbreitet ausgeschenkt werden.

Von fern hören wir eine Kichturmuhr elf Uhr läuten, und im gleichen Moment kommt der Kellner und bittet uns nach drinnen, aus Lärmschutzgründen dürfe nach 23:00 Uhr niemand mehr draußen sitzen. Wir trollen uns brav hinein und trinken unser Bier dort weiter, genießen die Kombination aus altmodischer Beisl-Atmosphäre und neumodischer Bierauswahl. Schön hier, und mal ein etwas anderes Ambiente für die sonst so „stylish gehypten“ Spezialbiere.

Der Fassldippler bietet acht Fassbiere, davon zwei aus österreichischen Kleinstbrauereien, daneben rund siebzig Flaschenbiere, ebenfalls alle österreichischer Provenienz. Dazu einfache Wirtshausküche. Geöffnet ist täglich ab 16:00 Uhr, sonnabends erst ab 18:00 Uhr. Montags, sonntags und feiertags ist geschlossen. Zu erreichen ist das Lokal vom Wiener Hauptbahnhof aus in weniger als fünf Minuten Fußweg – perfekte Anbindung an alle öffentlichen Nah- und Fern-Verkehrsmittel.

Bilder

Fassldippler
Johann Strauss Gasse 42
1040 Wien
Österreich

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