Bruggsmiðjan
Árskógssandi
ISL

Es gibt Brauereien, die können Geschichten erzählen. Meistens sind es Brauereien, die auf eine jahrzehnte-, vielleicht sogar jahrhundertelange Historie zurückblicken können, die Kriege und sonstige Unbill überlebt haben. Manchmal aber sind es auch ganz junge Brauereien, und trotzdem haben sie viel zu erzählen.

Vom kleinen Dörfchen Árskógssandi in Islands Norden beispielsweise. Zwei Familien wohnten hier einst, und damit war es für diese Region schon ein großes Dörfchen. Die eine Familie lebte von der Fischerei, die andere von der Landwirtschaft, bis sich herausstellte, dass die Fischerei mehr Ertrag brachte. Und so sattelte man auch in der zweiten Familie auf den Fischfang um. Das Dörfchen wuchs und florierte.

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Kaldi – der kräftige Wind, der das Leben hier am Ort seit Jahrhunderten prägt

Jeden Abend verfolgte man im Radio gebannt die Wettervorhersage, ob für den nächsten Tag der sogenannte Kaldi angesagt war, ein kräftiger Wind, der zwar die Seefahrt schwierig machte, aber gleichzeitig auch die Fische dorthin trieb, wo sie leichter gefangen werden konnten. Und dann machten sich die Seeleute auf und kehrten nach schwieriger, riskanter Fahrt mit reicher Beute wieder heim. Und kaldi, das waren auch die Seeleute selbst, nämlich kühn und mit eiskalten Nerven.

Und so hätte es ewig weitergehen können, hätte nicht einer der Seeleute einen Unfall erlitten, der es ihm unmöglich machte, weiter zur See zu fahren. Guter Rat war teuer, denn schließlich war eine Familie zu ernähren, eine neue Existenz aufzubauen. Nach Akureyri, die nächstgelegene Stadt, zu ziehen und dort einen Hilfsarbeiter-Job zu übernehmen, kam nicht in Frage, es sollte etwas Eigenes sein, und es sollte in Árskógssandi sein.

Die geniale Idee, die die Probleme der Familie lösen sollte, war, eine Brauerei zu gründen. Und so entstand 2006, gerade einmal 17 Jahre nach Ende der Prohibition in Island, die Brauerei Bruggsmiðjan. Mithilfe einer kanadischen Consulting-Firma wurde ein tschechischer Braumeister aus Krušovice gefunden, der bereit war, nach Island zu kommen und beim Aufbau der Brauerei zu helfen.

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in dieser schlichten Lagerhalle befindet sich die Brauerei

Und so entstehen nun seit 2006 in einer schlichten Lagerhalle am Rand des 120-Seelen-Dörfchens Árskógssandi in der ersten und nach wie vor größten Microbrewery Islands, der Brauerei Bruggsmiðjan, jede Menge interessante und spannende Biersorten. Benannt sind sie nach dem Wind, dem Kaldi, und den stählernen Nerven der Seeleute.

In der Mitte der Halle steht stolz das Zehn-Hektoliter-Sudwerk tschechischer Produktion. Kupferverkleidet, aber darunter moderne Edelstahltechnik. Auf zwei Geräten entstehen hier bis zu vier Sude in 24 Stunden, genug, um jeweils einen der 40-hl-Gär- und -Lagertanks zu füllen.

Vier Standard-Biersorten werden hier rund ums Jahr gebraut, und zwar ein Allerweltslager, ein tschechisch beeinflusstes Dunkles, ein englisches Ale und ein bernsteinfarbenes Lager, das nicht nur mit Hopfen, sondern auch mit isländischem Hvönn, also Engelwurz oder Angelicakraut gewürzt ist. Daneben gibt es vier Saisonbiere, ein Weihnachtsbier, ein Osterbier, ein Oktoberfestbier und ein Þorra-Bier, die jeweils zu den entsprechenden Festen eingebraut werden (das Þorra-Fest findet seit dem 11. Jahrhundert, seit der Christianisierung Islands durch die Norweger, einmal jährlich zu Ehren der alten nordischen Götter statt).

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auf diesem Sudwerk tschechischer Produktion entstehen die Kaldi-Biere

Und wie mir Þorsten, der nette junge Mann, der uns am 20.Mai 2015 durch die Brauerei führte, erzählte, gibt es seit kurzem auch regelmäßige Sondersude. Die Bierbars in Reykjavík und Akureyri verlangen nach immer neuen Bieren, und so entstehen experimentelle Biere in allen Stilen dieser Welt, die allerdings nicht auf Flaschen gefüllt, sondern nur auf Fässer gezogen und in den Bars direkt ausgeschenkt werden.

Und dem Chronisten, der ganz aufmerksam durch die Brauerei gegangen ist, ist natürlich auch die Flasche Kaldi Lite nicht entgangen, die ganz verschämt in einer Ecke gestanden hat. Sie zeugt von dem Versuch, auch in den Supermärkten des Landes Fuß zu fassen, denn nach wie vor dürfen nur Leichtbiere frei verkauft werden; alles, was „normale“ Trinkstärke hat, ist nach wie vor auf den Vertrieb in den Monopol-Läden oder in konzessionierten Bars und Restaurants beschränkt. Aber dieses Experiment wurde nicht weiter verfolgt – denn die Brauerei Bruggsmiðjan läuft bereits jetzt Gefahr, Opfer ihres eigenen Erfolgs zu werden. An vier Tagen die Woche läuft das kleine Sudwerk rund um die Uhr, und ständig sind alle Gär- und Lagertanks bis zum Rand gefüllt. Man kann gar nicht so schnell produzieren, wie das Bier weggetrunken wird, und die Reifezeit von mindestens einem Monat möchte man auch nicht unterschreiten – man ist mehr der Bierqualität als der Steigerung des Umsatzes verpflichtet. Und so zeugen auch die kümmerlichen Vorräte in der Lagerhalle, wo gerade mal eine einzige Palette Flaschenbier auf die Abholung wartet, vom Erfolg der kleinen Brauerei Bruggsmiðjan im kleinen Fischerdörfchen Árskógssandi.

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ohne eine Zwickelprobe geht es natürlich nicht

Viel hätte Þorsten noch zu erzählen gehabt, über die Familien des Dorfes, über die Brauerei, die mit elf Mitarbeitern mittlerweile zum größten Arbeitgeber des Dorfes geworden ist und gut zehn Prozent der Bevölkerung beschäftigt, über den tschechischen Braumeister, der 2009 wieder in die Heimat zurückgekehrt ist und nun aus der Ferne mit Rat und Tat zur Seite steht, über die aufgrund der Korrosivität des Wassers wieder verworfene Idee, die Brauerei mit Erdwärme zu betreiben, über die rechtlichen Beschränkungen der Bierproduktion und des Bierverkaufs in Island…

Doch die Zeit drängt. Der Chronist muss weiterreisen, der Brauer weiterbrauen. Ein Kaldi-Bierglas landet noch als Souvenir im Rucksack; das viel begehrtere Bier darf „on the premises“ leider nicht verkauft werden. Ungewohnt leicht trägt sich das Gepäck heute, und auch das beruhigend-vertraute Klimpern der Bierflaschen vermisse ich diesmal.

Die Brauerei Bruggsmiðjan liegt direkt am Ortsrand von Árskógssandi, sie ist gar nicht zu übersehen. Von Akureyri aus fährt man auf der Straße 82 etwa 25km Richtung Norden bis kurz vor Dalvík. Offiziellen Publikumsverkehr gibt es nicht, da nach isländischem Recht hier kein Bier an den Endverbraucher verkauft werden darf. Nach Absprache kann die Brauerei aber besichtigt werden, und eine kleine Zwickelbierprobe aus dem Lagertank ist im Rahmen einer solchen Besichtigung immer drin.

Bilder

Bruggsmiðjan
Öldugötu 22
621 Árskógssandi
Island

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