Manchmal laufen die Dinge völlig anders als erwartet oder geplant, und dann gibt es üblicherweise zwei Möglichkeiten der Reaktion: Man kann sich aufregen wie Rumpelstilzchen und damit sich und seinen Mitmenschen das Negative einer Situation noch einmal so richtig deutlich vor Augen führen und allen Beteiligten die Laune verderben. Oder man bemüht sich, das Positive zu sehen und sich über Dinge zu freuen, die im ursprünglichen Plan so nicht vorgesehen waren. Anschließend bleiben dann ein paar sehr schöne Erinnerungen, und der erste Ärger, dass irgendetwas nicht geklappt hat, ist lang vergessen.
Wir entscheiden uns heute für Letzteres.
Seit drei Tagen sind wir bereits in Budapest unterwegs, und irgendwo haben wir in dieser Zeit den Tipp bekommen: „Geht unbedingt zum Szimpla Kert in der Kazinczy-Straße. Tolle Atmosphäre und hervorragende Biere haben die dort. Ein unbedingtes Muss!“
Nun denn, dann folgen wir doch einmal diesem Tipp, fahren ein paar Stationen mit der Straßenbahn, biegen einmal links ab, dann noch einmal, und schon sind wir in der Kazinczy-Straße. Ein paar Schritte nur, und schon sehen wir vor uns ein niedliches kleines Café, das Szimpla. Lustig bunt ist es, die Inneneinrichtung ist auf den ersten Blick ansprechend. Ein kunterbuntes Durcheinander von Deko-Elementen, kleine Tischchen, an denen man es sich gemütlich machen kann, schöne Rockmusik, aber nicht zu laut, und ein nettes Angebot an Speisen. Uns gefällt es auf den ersten Blick.
Wir schälen uns aus der dicken Regenkleidung, suchen uns ein schönes Plätzchen in der Ecke und machen es uns gemütlich.
Wie immer geht mein Blick auf die große schwarze Kreidetafel oberhalb der Theke. Dort stehen die angebotenen Biere, und ich bin gespannt, was das Szimpla so zu bieten hat. Stirnrunzelnd stolpere ich Zeile für Zeile durch den Text. Ich kann zwar kein Ungarisch, aber so viel verstehe ich dann doch, dass ich merke, dass die Liste alles Mögliche umfasst, aber nicht gerade eine beeindruckende Bier-Auswahl. Langsam drehe ich mich zum jungen und freundlichen Barmann um, der mich schon eine Weile beobachtet und geduldig auf meine Bestellung wartet.
„Was habt Ihr denn für interessante Biere?“, frage ich ihn. „Hm, das wechselt. Am besten, Du kuckst einfach hier in den Kühlschrank“, antwortet er und deutet auf einen kleinen Kühlschrank neben der Theke. Ich finde eine zwar sehr feine, aber doch auch überraschend kleine Auswahl an Flaschenbieren. Spannende, zum Teil sehr alkoholstarke Stile, lustige und bunte Etiketten, kleine und unbekannte Brauereien. Aber insgesamt vielleicht ein Dutzend verschiedene Flaschenbiere. Sonst nichts.
Ich wähle für uns ein American Pale Ale und ein Russian Imperial Stout, beide von der kleinen Budapester Brauerei Fehér Nyúl. Und beide ganz ausgezeichnet. Das American Pale Ale kernig hopfig und fruchtig, mit 5,5% Alkohol nicht zu stark, und somit sehr gut trinkbar. Das Russian Imperial Stout hingegen mit 8,6% ein reines Genussbier. Winzige Schlucke, um den gewaltigen und röstigen Malzkörper sich auf der Zunge entwickeln zu lassen; langsam die Kehle herunterrinnen lassen, um die Hopfenherbe in ihrer geballten Kraft zu spüren. Dazu ein wenig schnuppern und vielleicht die eine oder andere komplex-estrige Note von dunklem Trockenobst zu erhaschen.
Zwei völlig unterschiedliche Biere, aber jedes für sich wirklich hervorragend.
Wie immer, wenn wir so gemütlich beim Bier sitzen, meldet sich der kleine Hunger. Ach was, Hunger ist es eigentlich gar nicht, es ist eher ein unspezifischer Appetit, fast gönnte man es schon Gier nennen. Ich gehe also wieder an die Theke und frage, was es zu essen gibt. „Eigentlich schon nichts mehr, denn wir machen in zehn Minuten zu“, sagt der Barmann und deutet auf die Uhr. Zehn vor sechs. 17:50 Uhr. „Zu?“, echoe ich. „Ja, um 18:00 Uhr machen wir immer zu. Aber Ihr könnt noch ein Sandwich haben, das mache ich Euch noch warm, und Ihr könnt auch gerne noch ein paar Minuten länger hier sitzen, während ich schon aufräume und den Kassenabschluss mache.“
Merkwürdig. Aber wir nehmen das freundliche Angebot gerne an, essen noch ein Sandwich, leeren unsere Biere und genießen noch für ein paar Minuten die wirklich ansprechende, kuschelig-heimelige Atmosphäre in diesem kleinen Café. Schließlich müssen wir aber doch gehen. Ein kurzer Blick zurück, ein freundliches Dankeschön an den netten jungen Mann, und schon hat uns der Regen wieder.
Wenige Augenblicke später sitzen wir in der Straßenbahn und sinnieren noch ein wenig, wie merkwürdig manche Tipps doch sein können. Das Schwärmen von einer der besten Craftbier-Adressen Budapests scheint uns angesichts des Dutzends von Flaschenbieren doch ein wenig übertrieben, auch wenn das Café noch so gemütlich und einladend war. Nun denn – trotzdem war es ein sehr schönes Biererlebnis, stimmen wir überein.
Und während die Straßenbahn so vor sich hin rumpelt, tippe ich noch ein wenig auf meinem schlauen Telefon herum, und nach einigen Minuten stelle ich überrascht, enttäuscht, resigniert fest: Ja, wir waren im Szimpla. Und zwar im Szimpla Háztáji, einem kleinen Szene-Café, das auch ein paar nette Biersorten anbietet. Und hätten wir die Straßenseite in der Kazinczy-Straße gewechselt und wären nur ein paar Schritte weitergegangen, dann wären wir in das Szimpla Kert gekommen. Und das, ja, das wäre der ultimative Geheimtipp gewesen. Eine Riesenbierauswahl, exotische Atmosphäre, gute Stimmung, Öffnungszeiten bis tief in die Nacht. Wir waren einfach nur im falschen Szimpla gewesen.
Sollen wir uns jetzt ärgern? Nein, dazu waren das kleine Café und der Barmann hinter der Theke einfach viel zu nett. Ein schöner Moment im Herzen Budapests. Zwar nicht so bierig, wie erwartet, aber dennoch einfach nur schön.
Und das Szimpla Kert, also das „richtige“ Szimpla – jedenfalls aus Sicht des Bier-Fanatikers – das heben wir uns für unseren nächsten Budapest-Besuch auf!
Das kleine Café Szimpla Háztáji ist täglich von 08:00 bis 18:00 Uhr geöffnet; kein Ruhetag. Von der Metrostation Astoria, wo die U-Bahn-Linie M2 und die Straßenbahnlinien 47, 48 und 49 halten, sind es etwa 250 m zu Fuß, zunächst in Richtung Osten, dann in Richtung Norden.
Szimpla Háztáji
Kazinczy u. 7.
1075 Budapest
Ungarn
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