„Was ist Dir jetzt lieber“, frage ich mich, „eine wunderschöne, auf Hochglanz polierte kupferne Brauerei in edlem Ambiente und mit einem Hellen, einem Dunklen und einem Weizen im Angebot, oder eine selbst zusammengebratene Konstruktion in einer eher abseits gelegenen, vielleicht etwas merkwürdigen Umgebung mit einem Dutzend interessanter Biere?“
Die Antwort ist klar, und schon stiefele ich los, verlasse die Altstadt Rigas mit ihren zwar schön herausgeputzten Häusern und einladenden, aber von Touristen überfüllten Kneipen und Restaurants, und laufe etwa anderthalb, zwei Kilometer in Richtung Nordosten.
Vor einem großen Gebäude aus gelbem Backstein mache ich Halt, sehe am Giebel die deutsche Inschrift „Erbaut 1887 C.v.Stritzky“. Hier in der Nähe muss es sein, und um die Ecke finde ich dann auch rasch den kleinen, flachen Anbau, ebenfalls aus gelben Ziegeln. Alus Darbnīca Labietis steht am Eingang, „Bierwerkstatt Labietis“. Und wie in einer Werkstatt sieht es hier auf den ersten Blick auch aus. Ein großer Raum mit einem gewaltigen Holztisch in der Mitte, und hinter diesem Raum hinter einer Glaswand ein Sudwerk. Nicht aus Kupfer. Nicht aus poliertem Edelstahl. Und schon gar nicht von einer der etablierten Firmen hergestellt. Sondern ein Sudwerk, dem man ansieht, dass es von begeisterten Handwerkern und Ingenieuren selbst erdacht, konstruiert und realisiert worden ist.
Der Raum ist leer, aber plötzlich ertönt eine Stimme von hinter dem großen Stützpfeiler. „Ich komme gleich und bin für Dich da.“ Sekunden später steht Arturs hinter der Theke, wischt sich die Hände sauber, und eigentlich ehe ich überhaupt sagen kann, was ich möchte, beginnt er, mir ein paar winzige Pröbchen einzuschenken. Er wechselt zwischen den zwölf Zapfhähnen hin und her und beginnt, zu erzählen.
„Dieses Bier hier brauen wir mit Kümmel. Das ist das typische Gewürz für Lettland, das wird in jedem Gericht verwendet, in jedem Brot, und natürlich auch bei uns in unserem Bier, im Radzinš.“ Das nächste Bier, das Soho Švītinš, ein leckeres englisches Bitter. Und schon stellt er mir das dritte Glas hin – Ausma, die Morgenröte. Gebraut mit Ingwer und Pfefferminz. Eine interessante Kombination.
Das nächste Bier Plava, das übernächste, Trīs Indiāni (drei Indianer), und das überübernächste, Virsaitis (Häuptling), stehen schon vor mir. Würzig das erste, hopfig und fruchtig das zweite, eher harzig hopfig das Dritte.
Während ich verkoste und überlege, welches Bier denn wohl das leckerste sein mag, erzählt Arturs von den Anfängen der Brauerei. Vor anderthalb Jahren habe man erst eröffnet, und auf der 650 l Anlage entstünde seitdem quasi mit jedem Sud ein neues Bier. So viele Rezepte habe man schon im Kopf, so viele Ideen, teilweise auch verrückte Ideen, das Bier mit Ingwer und Pfefferminz sei beispielsweise eine solche verrückte Idee gewesen. Aber auch Schafgarbe, Sumpfporst und andere Kräuter würde man gerne nutzen.
Und das ist für ihn das Stichwort. „Komm einfach mal mit“, sagt er, und führt mich durch die Brauerei bis ins Fasslager. Ein großer, praller Sack, der ein Aroma ausströmt wie eine Sommerwiese in den Allgäuer Alpen. „Das sind getrocknete Wiesenblumen, die geben unserem Bier ein wunderbares Aroma. Wir benutzen sie am Ende des Sudes, zum Stopfen. Riech mal, ist das nicht herrlich?“
Und in der Tat – das Aroma ist wunderbar.
„Manchmal sammeln wir auch selber Kräuter in den Wäldern rund um Riga, fährt Arturs fort, nicht immer kaufen wir sie beim Händler. Kommt darauf an, ob wir Zeit haben und das Wetter gerade passt.“
Auch mit Honig wird viel experimentiert. Bragott, Met oder mit Honig versetzte Biere stehen ebenfalls auf der Liste der Bierwerkstatt.
„Wir sind jetzt langsam mit unseren Kunden und Gästen gewachsen – je mehr getrunken wurde, desto öfter haben wir gebraut. Jetzt wollen wir den nächsten Schritt machen und mit ein paar Sorten Flaschenbier auch in Gastronomie und Geschäften präsent sein. Dazu suchen wir einen Partner für das Gypsy-Brewing. Aber ohne Hast, alles soll sich solide entwickeln.“
Nach dem ausgiebigen Rundgang durch Brauerei, Gärraum, Fass- und Malzlager kehre ich an meinen Platz an der Theke zurück. Das Pelašku Velns, das Bier mit der Schafgarbe, gilt es noch zu verkosten. Und das Purvs, das Papardes Zieds, das Viva und das Ganuzēns. Mir schwirrt der Kopf von all den Geruchs- und Geschmackseindrücken, und amüsiert werde ich Zeuge, wie zwei Damen, scheinbar auf dem Heimweg von der Arbeit, hereinkommen und ein Bier trinken wollen. Ähnlich verwirrt wie ich verkosten sie sich durch das Dutzend Biersorten, fahren unschlüssig mit dem Finger auf der Karte auf und ab, und entschließen sich endlich nach langem Überlegen und Diskutieren für ein dunkles Bier aus Roggen und Hafer.
Für mich wird es Zeit, zu gehen. Mittlerweile haben sich die Terrasse und der große Saal ordentlich gefüllt. Wieselflink saust Arturs‘ Kollegin zwischen den Bänken durch und sammelt die leeren Gläser ein, während Arturs selber mit dem Zapfen und Erklären kaum noch nachkommt. Der Laden brummt!
Die Bierwerkstatt Labietis, Alus Darbnīca Labietis, ist täglich ab etwa 15:00 Uhr geöffnet, montags erst ab 16:00 Uhr, sonnabends und sonntags dafür schon ab 13:00 Uhr. Zu erreichen ist sie in einer halben Stunde zu Fuß vom Stadtzentrum oder etwa fünf Minuten von der nächsten Straßenbahn-Haltestelle Tallinas iela, Linie 11.
Alus Darbnīca Labietis
Aristida Briāna iela 9A2
1001 Rīga
Lettland
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