Reinheitsgebot – Verbraucherbetrug?
Wir fragen die aufgeklärten Biertrinker
Heute: Rüdiger

MiniaturWir fragen die aufgeklärten Biertrinker, denn viele der Brauer haben inzwischen vom Bayerischen Brauerbund einen Maulkorb verpaßt bekommen. Da es beim Bier aber um den Verbraucher geht, soll er doch mal zum Zuge kommen.

Rüdiger, 1957, Hamburg

1. Erinnerst Du Dich noch, wie es für Dich war, als Du realisieren mußtest, daß der Begriff Reinheitsgebot nur ein Marketinginstrument ist, und daß in Wahrheit nach dem Lebensmittelgesetz gebraut wird?

Miniatur (2)Nein, nicht wirklich. Für mich war es eigentlich immer ein Marketinginstrument, wenn auch eins mit gesetzlicher Rückendeckung. Und die gibt es ja auch heute noch, denn auch das Lebensmittelrecht stellt ja auf die alten Vorschriften des Biersteuergesetzes und des vorläufigen Biergesetzes ab. Und was innerhalb dieser Grenzen alles möglich ist, ist mittlerweile ja auch in der Öffentlichkeit angekommen.

2. In 2012 hat die Verbraucherzentrale ganz deutlich am Beispiel der Erdinger Brauerei entschieden, daß auf den Bieretiketten nicht mehr stehen darf „Gebraut nach dem Bayerischen Reinheitsgebot von 1516“ und das nach dem Lebensmittelgesetz gebraut werde. Man möchte meinen, daß diese Aussage zu einem Aufschrei in Deutschland und zu einer Abwendung von den Bieren, die nach dem Reinheitsgebot gebraut sind, geführt haben müßte. Tatsächlich ist verbraucherseitig nichts passiert! Kannst Du mir erklären?

Miniatur (2)Da mögen einige Gründe zusammenkommen, die sich wohl an den verschiedenen Konsumentengruppen anlegen lassen. Die Bier- und Billig-Fraktion hat eh nur den Preis im Blick. Den Unaufgeklärten war es egal, Hauptsache es ist gesetzlich geregelt. Die Aufgeklärten wussten, dass sich überhaupt nichts ändert. Und den Bierfreaks wie uns, ist das Reinheitsgebot sowieso egal (wir trinken ja auch kein Erdinger, außer vielleicht den Pikantus J).

3. Im kommenden Jahr feiert das Bio-Reinheitsgebot sein 25jähriges Bestehen. Nach inständigem Bitten des Bayerischen Brauerbundes sehen sie aber von Feierlichkeiten ab und überlassen dem Brauerbund die Festbühne. Welche Gedanken kommen Dir dazu?

Miniatur (2)Na, das ist sicher der Argumentation des Brauerbundes geschuldet, der da behauptet, jedes nach dem Reinheitsgebot gebraute Bier ist „Bio“. Ist natürlich zu kurz argumentiert; da könnte man auch behaupten Billig-Koteletts sind „Bio“. Sind ja von einem lebenden Schwein und daher Natur pur!

4. Inzwischen haben wir es in der Branche mit einem dritten zu klärenden Begriff zu tun: CRAFT, Handwerk. Auch steht Marketing im Vordergrund, und daß das Handwerk sekundär ist, beweist beispielsweise die Tatsache, daß eine Störtebeker Brauerei sich in Braumanufaktur umbenannt hat (geschätzter Ausstoß 200.000 hl). Wollen wir betrogen werden? Wollen wir in unseren Köpfen diese Bilder vom verschwitzten Brauer, der nachts bei Mondenschein mit seiner Mutter noch das Gebräu umrührt?

Miniatur (2)Bei dieser Frage glaube ich, dass sich die Brauer mit der Übernahme der Begrifflichkeit „Craft-Bier“ als Synonym für das Handwerkliche selbst das Leben schwer gemacht haben. So sehr ich das Aufwachsen der Craft-Bier-Szene und die damit verbundene Ausweitung der Geschmacksvielfalt (innerhalb und außerhalb der Grenzen des Reinheitsgebotes) schätze, so muss man doch aufpassen hier nicht zu überdrehen. Dazu gehört sicher die von dir genannte Umfirmierung von (Groß-) Brauereien in Braumanufacturen als Marketingmaßnahme. Dazu gehört aber auch, nicht unbedingt das 250ste „neue“ IPA zu erfinden, nur weil es gerade „in“ ist und sich damit Geld verdienen lässt. Apropos Geld, auch da liegt eine Gefahr des Überdrehens. Es ist unzweifelhaft richtig, das Kleinbrauer (losgelöst von der Refinanzierung der Infrastruktur) mit ihren kleine Mengen und meist ausgesuchten Rohstoffen für ihre Biere einen höheren Preis verlangen (müssen). Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber wenn man sich die Regale mit den Craft-Bieren so anschaut, sind da doch manche Preisvorstellungen ausgerufen, die den Verdacht des „schnellen Abräumens“ aufkommen lassen. Ich jedenfalls konnte vielfach den teilweise exorbitanten Preisunterschied nicht herausschmecken. Die Branche muss aus meiner Sicht da noch den „richtigen“ Preis für ihre unterschiedlichen Kreationen finden. Zurück zur Frage: wir wollen nicht betrogen werden, werden es aber zum Teil, wenn wir nicht aufpassen.

5. Was wünschst Du persönlich Dir für Dein Bier?

Miniatur (2)Das ist ganz einfach:
Es muss mich überzeugen,
und es muss mir schmecken.

Fragen: Esther Isaak
wiederveröffentlicht von Bierguerilla
mit freundlicher Genehmigung der Autorin

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