Fred Klinger
Braugewerbe und Braukunst mitten in Bayern
Ingolstädter Brauereigeschichte im Rahmen der Entwicklung des bayerischen und deutschen Brauwesens

Miniatur (1)

Ein Buch für echte Bier-Nerds, nicht für nur Bier-Trinker oder Bier-Genießer. 280 eng bedruckte Seiten, nur wenige Abbildungen, dafür aber eine unendliche Menge an Detailinformationen. Fred Klinger beschreibt in seinem exzellent recherchierten und durch zahlreiche Quellen sauber dokumentierten Buch die Geschichte des Biers in Bayern und in Deutschland vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Eine ungeheure Fleißarbeit, die wohl nur deswegen möglich war, weil Klinger erstens vom Fach (er beruft sich auf dreißig Jahre Tätigkeit in der Brauwirtschaft) und zweitens im Ruhestand ist (und damit hinreichend Zeit für eine so sorgfältige Arbeit hat).

Was ursprünglich, so Klinger, eine Chronik des Bürgerlichen Brauhauses Ingolstadt werden sollte, ist letztendlich zu einem umfassenden Werk geworden. Und, was mich am meisten an diesem Buch begeistert: Trotz der Detailfülle, trotz des Umfangs, trotz des Fehlens bunter Abbildungen liest sich das Buch flüssig, wird auch dort, wo es akribisch in die Tiefe geht, nie langweilig oder trocken. Natürlich, an der einen oder anderen Stelle schleichen sich Auflistungen ein, die den Leser vielleicht doch nicht wirklich interessieren. Auf Seite 79 eine Namensliste aller 33 Brauer in Ingolstadt in der Zeit um 1600? Nun ja, vermutlich dann spannend, wenn man einen bekannten Familiennamen entdeckt oder gezielt etwas nachforschen möchte. Sonst wohl eher nicht. Ähnlich die detaillierte Auflistung der Einwohnerzahlen Ingolstadts von 1400 bis 1800 auf Seite 66 – präzise darstellend, dass dazu Bürger, Inwohner, akademische Bürger, Beamte und Hofleute gehörten. Separat erwähnt auch Jesuiten, Guardi-Soldaten oder Infanterie-Regimenter.

Aber abgesehen von diesen gelegentlichen Ausflügen in nachschlagewerksähnliche Tabellen und Listen, die erst dann wirklich hilfreich sind, wenn sie sauber indexiert und nicht nur in den Fließtext eingestreut sind, ziehe ich den Hut vor dem Autor.

Miniatur (2)Besonders spannend natürlich das Kapitel zum Reinheitsgebot. Auf den Seiten 113 bis 122 wird der – komplette! – Wortlaut des Reinheitsgebots von 1516 wiedergegeben und in den Kontext der damaligen Rechtsprechung gesetzt. Und mehr noch: Zahlreiche weitere, ähnliche Regelungen werden zitiert, analysiert, und es wird somit deutlich, dass der Gebotstext vom 23. April 1516 eben nicht die einzige derartige Regelung darstellte. Auch nicht die älteste. Und – und das müsste der Brauerbund eigentlich wissen, ach was, jetzt schreiben wir mal ohne Konjunktiv, er weiß es mit Sicherheit, denn dort wird ja auch in den Archiven geforscht, aber die Resultate werden entweder verschwiegen oder, wenn sie denn veröffentlicht werden, merkwürdig interpretiert, um nur ja keinen Zweifel an der Mär des seit bald 500 Jahren unverändert gültigen Reinheitsgebots zu lassen und so die Pfründe der bayerischen und deutschen Brauereien zu sichern, die sich rückwärtsgewandt und reaktionär einer evolutionären Weiterentwicklung des Bierbegriffs in Deutschland verschließen …

Ach, ich schweife ab. Schnell zurück zum Hauptsatz: „Und, …“ also.

Und, Klinger macht auf diesen Seiten sorgfältig mit Quellenangaben belegt deutlich, dass das Gebot von 1516 mitnichten durchgängig gültig war, sondern dass es durch andere Gebote und Brauordnungen ergänzt, übersteuert, außer Kraft gesetzt wurde, und dass diese anderen Regelungen zwar immer wieder auf die Reinheit des Biers abzielten, aber mitnichten nur die drei seinerzeit genannten Zutaten zuließen. Salz, Kümmel, Wacholderbeeren, Koriander, Lorbeer, Walnuss – eine ganze Reihe natürlicher (und natürlich reiner!) Zutaten war in wechselnden Zeitperioden durchaus erlaubt, und dies definitiv auch nicht nur unter dem Einfluss kriegsbedingter Rohstoffknappheit, die es zu kompensieren galt, sondern im normalen, alltäglichen (Friedens-) Braubetrieb gleichermaßen. Berauschende Zutaten waren allerdings immer verboten – Bilsenkraut, Pilze und ähnliche damals schon bekannte Drogen und Halluzinogene.

Welch eine Ähnlichkeit zu dem von den modernen Spezialbierbrauern geforderten neuen Reinheitsgebot, dass chemische und gentechnisch veränderte Zutaten und Hilfsmittel verbieten, natürliche Lebensmittel wie Früchte, Kräuter und Gewürze hingegen zulassen soll.

Das spannendste Kapitel also für mich. Aber – wie eingangs bereits gesagt – das ganze Buch liest sich flüssig und ist fesselnd. Und die Kapitel „Vernunft und Unvernunft im Wettbewerb“ und „Glanz und Elend des Brauerstandes“, die sich auf die Neuzeit fokussieren, bilden einen fulminanten Abschluss des Buches, halten vielen modernen Brauern den Spiegel vor. Brillant!

Das Buch ist leider nicht mehr frei im Buchhandel verfügbar; antiquarische Exemplare werden im Internet um die vierzig Euro gehandelt.

Fred Klinger
Braugewerbe und Braukunst mitten in Bayern
Ingolstädter Brauereigeschichte im Rahmen der Entwicklung des bayerischen und deutschen Brauwesens
Verlag Donau Courier
Ingolstadt 1997
ISBN 3-920253-32-9

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