Ralf Frenzel (Hrsg.)
Craft Bier – Meisterstücke für Männer

Miniatur (1)Ein gewaltiges Buch. Exzellente handwerkliche Qualität. Fast zwei Kilogramm schwer, fast dreihundert Seiten stark. 22 cm x 28 cm, 3 cm dick. Der feste Kartoneinband teils in seidenmatt, teils in Hochglanz, eine sehr angenehme Textur. Vorsichtig nehme ich den großen und schweren Bildband Craft Bier – Meisterstücke für Männer zur Hand, fange an zu blättern.

Einmal schnell diagonal durch die Seiten geflogen, um einen Überblick zu bekommen: Biergeschichte der Welt, Biergeschichte in Deutschland, verschiedene Bierstile im Porträt. Anschließend die Craft-Bier-Bewegung in der Welt, die Craft-Bier-Bewegung in Deutschland. Die Grundzutaten, eine Anleitung zum Einkauf, zur Lagerung und zum Ausschank, und schließlich eine ausführliche Brauanleitung sowie eine Rezeptsammlung für Speisen mit und zum Bier. Es scheint alles behandelt zu werden, was wichtig, interessant, notwendig ist.

Was fehlt (zum Glück…), das ist die in vielen anderen Bierbüchern geradezu obligatorisch enthaltene Auflistung von Biermarken mit ihren „technischen Daten“, Charakteristika und Etiketten. Unbezahlte Werbung, gewissermaßen – und vor allem dasjenige Thema, das beim Bier eigentlich am wenigsten wert ist, in ein Buch aufgenommen zu werden. Wie bitte? Ich möchte Bierflaschen sehen, Alkoholgehalte lesen, Biermarken studieren? Das geht doch live im Getränkemarkt um die Ecke ganz hervorragend, dafür brauche ich mir doch kein Buch zuzulegen…

Also, mit Recht fehlt dieses Thema hier.

Der Themenüberblick ist vielversprechend, jetzt nehme ich mir ein wenig mehr Zeit, beginne, gründlicher zu lesen. Die Darstellung der Geschichte des Biers beginnt in Mesopotamien, dem Zweistromland. Was war zuerst da, das Bier oder das Brot? Noch kein Forscher konnte diese Frage eindeutig beantworten, aber was den Autoren dieses Buches zugute zu halten ist: Sie geben sich Mühe, die Hintergründe dieser Fragestellung verständlich zu machen und aufzuarbeiten. Bier und Brot werden gegenübergestellt, verglichen, bewertet.

Der Bogen wird geschlagen bis in die Gegenwart, und ohne Partei zu beziehen, werden die Konzepte Großbrauerei mit auf Effizienz getrimmter Massenproduktion und regionale Kleinbrauerei mit origineller Handschrift, aber höheren Preisen gegenübergestellt. Klare Worte für jedes dieser Konzepte. Gefällt mir. Kein einseitiges Oettinger- oder Warsteiner-Bashing, aber auch kein Markenfetischismus.

Miniatur (2)Es folgt das schönste, ansprechendste Kapitel des Buches. Auf vierzig Seiten werden zehn Bierstile vorgestellt. Zu jedem Stil eine Seite Text, eine Seite mit einem möglichen Rezept, dieses Bier selbst nach zu brauen. Und dann eine Doppelseite Geschmack und Aroma. Wie lassen sich Geschmäcker, wie lassen sich Aromen in ein Buch packen? Duftende Druckerschwärze? Abschleckbare Felder? Ach was! Die verschiedenen Geschmacks- und Aromakomponenten werden in brillanter Darstellung optisch ansprechend und höchst appetitlich versinnbildlicht. Seien es Bergkräuter, Beeren, Trockenobst, Schokolade, Nüsse, Röstaromen oder tropische Früchte – jeder dieser Sinneseindrücke ist optisch wiedergegeben, die Früchte, Blüten, Gewürze oder sonstigen Zutaten beziehungsweise Aromakomponenten werden durch perfekt ausgeleuchtete Fotos in bunten Collagen zusammengestellt. Ich bin begeistert. Jeder dieser zehn Doppelseiten hätte das Potenzial, auf Wandtapetenformat gebracht zu werden und eine Zimmerwand zu schmücken. Großes Lob für diese originelle, eindrucksvolle Visualisierung!

Miniatur (3)Anschließend wird die Geschichte des Craft-Biers mithilfe von Interviews aufgearbeitet. Pioniere der Bewegung, erfolgreiche Brauer und Schlüsselfiguren aus verschiedenen Regionen der Welt erzählen von ihren ersten Schritten, ihren Erlebnissen, ihren Plänen, ihrer Begeisterung. Die Auswahl der Gesprächspartner ist ungewöhnlich. Statt der einschlägigen Verdächtigen, also den Gründern und Vertretern der großen, US-amerikanischen Craft-Brauereien, kommen eher unbekannte Hopfen- und Malz-Künstler zu Wort, bringen mal ein paar neue Aspekte in die Diskussion, so dass auch der, der schon viele Bierbücher gelesen hat, noch andere, neue Standpunkte, Geschichten und Geschichtchen kennenlernt.

Auf die Kapitel mit den persönlichen Gesprächen folgt eine Darstellung der vier Hauptkomponenten des Biers – Malz, Hopfen, Hefe, Wasser. Wie auch die vorherigen Kapitel grafisch übersichtlich gestaltet, mit teils wunderbaren Fotografien angereichert, in bester Druckqualität.

Miniatur (4)Ein bisschen kurz das Kapitel über Biersensorik. Bier richtig schmecken – das erfordert eigentlich schon ein wenig mehr als nur ein paar Gedanken zur richtigen Zapftechnik, zum richtigen Glas. Das Kapitel ist nicht schlecht, aber hier hätten ein paar mehr Seiten gutgetan, auf denen auch dem Anfänger hätte Mut gemacht werden können, unvoreingenommen seinen Sinnen zu lauschen. Man muss kein Sommelier sein, um etwas schmecken oder riechen zu können; es genügt, auf seine innere Stimme zu hören. Aber man benötigt einen Wortschatz, um seine Sinneseindrücke beschreiben und weitergeben, kommunizieren zu können. Hier hätte dieses Buch gerade wegen seines großen Formats etwas mehr bieten dürfen. Die ausklappbare Seite mit einem Verkostungsbogen bleibt gedanklich auf halber Strecke stehen, normiert die Sinneseindrücke zwar mit Blick auf die Vergleichbarkeit der Biere sehr gut, steht dem bierverkostenden Anfänger jedoch nicht ausreichend hilfreich zur Seite.

Wie oft hört man bei einer Anfängerverkostung Formulierungen wie „Ich weiß genau, was ich da rieche, aber ich habe keine Ahnung, wie ich es ausdrücken soll. Mir fehlen die Worte!“ Und wie hilfreich ist in einer solchen Situation ein buntes, vielfältiges Vokabular. Welcher Anfänger denkt im entscheidenden Moment denn an frisch gepopptes Popcorn, oder hat den Mut, ein Hopfenaroma mit Käsesocken zu vergleichen? Das große Format und die ausgezeichnete Druckqualität des Buches hätten die einmalige Chance geboten für eine große Abbildung eines ausführlichen Aromarads, das die Sinneseindrücke nicht nur strukturieren geholfen, sondern auch mit einem reichhaltigen Vokabular unterfüttert hätte.

Das achte Kapitel: Brau es Dir selbst. Ein Kapitel kann kein ganzes Buch ersetzen, aber die Anleitung zum Selberbrauen ist schon prima gelungen. Nach einer graphischen Übersicht über das benötigte und geeignete Zubehör folgen Beschreibungen jedes einzelnen Schritts des Brauvorgangs. Erst in der Theorie, dann in der Praxis. Und was zunächst kompliziert klingt, wird auf diese Weise Schritt für Schritt verständlich. Gelungen! Und falls doch etwas schiefgegangen sein sollte, hilft die kleine Tabelle der möglichen Fehlerursachen am Ende des Kapitels.

Kalorien- und Gesundheitsbewusste sollten das letzte, das neunte Kapitel überblättern und das Buch weglegen. Bei den hier aufgeführten Rezepten für Gerichte mit und zum Bier steht das Geschmackserlebnis im Vordergrund, nicht der Nährwert. Egal ob süß oder herzhaft – die appetitanregenden Bilder sind gefährlich, locken sie den Leser doch nach den ersten paar Seiten direkt in die Küche, an den Kühlschrank, vor den Herd. Schöne, leckere Rezepte. Ein zusätzlicher kurzer Satz zu einem zum jeweils vorgestellten Gericht passenden Bierstil wäre noch schön gewesen, denn wer denkt denn schon daran, dass man beispielsweise in einem „Bieramisu“ nicht nur Stout verarbeiten kann, sondern dieses auch ganz exzellent als Begleitgetränk dazu passt? Oder dass mit den süßlich-scharfen Rippchen ein knackig-herbes India Pale Ale harmonieren würde? Süßes und Bitteres? Aber ja, warum nicht!

Viel Lob also von meiner Seite für dieses Buch. Ein wirklich schöner Band, handwerklich hervorragend gemacht, und ich habe nur einen einzigen Setzfehler gefunden – auf Seite 29 ist im einleitenden, fett gedruckten Absatz ein einziger Buchstabe, ein G, nicht fett gedruckt. Das Lektorat war offensichtlich fleißig und hochmotiviert.

Aber…

Es ist nicht alles eitel Sonnenschein! Der eine oder andere inhaltliche Kinken hat sich schon reingemogelt:

Beispielsweise wird auf Seite 23 davon gesprochen, dass „spontan – also ohne Zusatz von Zuchthefen – vergorene(…), belgische(…) Trappistenbiere“ aufgrund bestimmter, „in den Holzfässern kultivierte(r) Hefestämme“ so stark seien… Oh je, zum ersten sind Trappistenbiere üblicherweise nicht spontan vergoren (mir ist eigentlich gar kein spontan vergorenes Trappistenbier bekannt – hier hatten die Autoren wohl stattdessen die Lambic-Biere im Kopf…), und zum zweiten gibt es einen ganz anderen Grund für die Alkoholstärke der belgischen Biere: Das Vandervelde-Gesetz nämlich, das in Belgien viele Jahrzehnte lang den Ausschank von Spirituosen in Cafés und Bars verboten und die Brauer daher dazu motiviert hat, stärkere Biere zu brauen, um beim Konsumenten dennoch die gewünschte alkoholische Wirkung zu erzielen.

Oder, Seite 48, die unsterbliche Legende, dass India Pale Ales in den britischen Kolonien vor dem Trinkgenuss hätten rückverdünnt werden sollen. Die alte Mär, die bis heute noch durch kein Dokument bestätigt werden konnte, die aber dennoch von Mund zu Mund, von Autor zu Autor weitergetragen wird. Sie eignet sich halt so schön als Pointe…

Tja, und schließlich natürlich der Titel des Buchs. Meisterstücke für Männer. Meine Frau schaute nicht nur skeptisch, als ich das Buch auspackte, sondern wurde als Craft-Bier-Liebhaberin regelrecht zornig. Als ob Craft-Bier nur etwas für Männer sei! Nee, lieber Tre Torri Verlag, dieser Titel, das ist ja nun gar nichts! Testosterongeschwängerte Chauvis, selbsternannte Meistergriller oder goldkettchentragende Opelfahrer mit um zwei Knöpfe zu weit geöffneten Hawaii-Hemden – wen wollt Ihr damit ansprechen? So ein tolles Buch, und dann unter so einer Überschrift? Auch die anderen Bücher der Reihe Beef! stehen unter dem Motto Meisterstücke für Männer – zum Beispiel zu den Themen Steaks oder Grillen – aber das macht es nicht besser. Insbesondere, wenn der Text im Buch dem Titel dann sehr ausdrücklich widerspricht – ich zitiere von Seite 20: „Bier ist nichts für Frauen? Absurd! In den meisten Bierkulturen der Geschichte gab es ursprünglich wahrscheinlich überhaupt nur Brauerinnen, (…)“

Und meine Frau und ich stehen da mit unserer Meinung definitiv nicht allein. Ein Zitat von H.U. vom 7. Februar 2016 aus dem Internet gefällig? Bitte sehr: „Ich finde es erstaunlich, wie man durch einen dämlichen Namen die Erwartungshaltung an ein Werk so schnell senken kann.“ Und da kann dann auch eine umgehend beschwichtigende Antwort von G.F. auf dieses Zitat nur bedingt helfen und den Schaden bereinigen: „Ja, sind halt ziemlich auf das männliche Geschlecht getrimmt, aber wie gesagt eigentlich nur vom Titel.“

Ein versöhnliches Wort zum Schluss: Die drei Seiten Reflexion von Ralf Frenzel, dem Verleger des Tre Torri Verlags, zum Thema Wertschätzung des Biers und Reinheitsgebot sind exzellent. Ein kleines, philosophisches Nachwort am Ende des Buchs, das zum Nachdenken anregt. Gut gelungen, sehr sachlich geschrieben, und trotzdem ein klarer Appell: „Wir haben ohne Zweifel die besten Braumeister der Welt, lassen wir sie also – endlich – von der Leine!“ Dem kann ich nur zustimmen.

Ralf Frenzel (Hrsg.)
Craft Bier – Meisterstücke für Männer
Tre Torri Verlag GmbH
Wiesbaden, 2015
ISBN 978-3-644628-67-7

Das Buch wurde mir vom Verlag zu Rezensionszwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Es ist direkt beim Tre Torri Verlag für 39,90 EUR, aber auch in allen einschlägigen On- und Offline-Buchhandlungen erhältlich.

Ergänzung: Das Buch ist ein umfangreicher Wälzer und möchte viele Zielgruppen gleichzeitig bedienen. Da liegt es in der Natur der Sache, dass sich an der einen oder anderen Stelle Ungenauigkeiten einschleichen, oder Fehler, die eigentlich nur dem Fachmann auffallen. Ich bin aber ein Pedant, und daher seien mir einige kleine Besserwissereien gestattet, die mir erst bei genauerem Lesen aufgefallen sind.

Seite 72: „Die meisten Bockbiere werden obergärig vergoren, mit einer prominenten Ausnahme, eben dem Weizenbock.“ Hier muss es natürlich „… untergärig …“ heißen.

Seite 72: „Heute produziert man Rauchmalz kontrolliert, in der Regel über schwelendem Birken-, seltener Eichenholz.“ Birkenholz wird selten verwendet. Offensichtlich ist Buchenholz gemeint (so, wie auf Seite 138 auch korrekt beschrieben).

Seite 76: „Beim Milk Stout wird Laktose zugesetzt, es schmeckt deshalb leicht sauer.“ Laktose ist Milchzucker und verleiht dem Bier einen leicht süßlichen Geschmack. Eine Zugabe von Milchsäure gäbe dem Bier zwar einen leicht sauren Geschmack, im Stout stammt dieser aber oftmals vom Röstmalz, das gelegentlich leicht säuerliche (und metallische) Noten in das Bier einbringt.

Seite 80: „Wer das Reinheitsgebot als Offenbarung begreift, dem wird die Gose das Fürchten lehren.“ Hm, lehren regiert den Akkusativ, also „den wird die Gose das Fürchten lehren.“

Seite 82: Die Beschriftung Koriandersaat ist neben die Malzkörner gerutscht. Die die in der Gose zu findenden Aromen symbolisierenden Koriandersamen sind auf der rechten Seite der Collage, auf Seite 83, zwischen den Pfefferkörnern zu finden.

Seite 154: „Ale (englischer Oberbegriff für alle „bottom-fermenting beers“) … Lager (englischer Oberbegriff für alle „top-fermenting beers“)“ Es ist natürlich genau umgekehrt!

Seite 197, im Kasten: „Bleibt das Ergebnis der Jodprobe auf Dauer negativ …“ Umgangssprachlich ist das zwar richtig, weil man mit dem Wort „negativ“ das verbindet, was man nicht möchte, fachsprachlich ist es aber genau umgekehrt. Die Jodprobe ist „negativ“, wenn es keinen Farbumschlag mehr gibt, also keine Stärke mehr vorhanden ist. Für den Hobbybrauer ist eine negative Jodprobe also positiv im Sinne von „die Maischearbeit war erfolgreich“. Gleichwohl: Korrekt müsste der Satz lauten: „Bleibt das Ergebnis der Jodprobe auf Dauer positiv …“ Im Fließtext links vom Kasten ist es eleganter gelöst: „War die Jodprobe erfolgreich …“ Das passt immer – umgangssprachlich wie fachlich.

Seite 215: Beim abschließenden Schritt, der unter 7/ beschrieben ist, möchte man das Bier schonend behandeln. Der Satz „Wir wollen so viel Luft und Unruhe ins Bier bringen wie möglich.“ muss natürlich heißen: „Wir wollen so wenig Luft und Unruhe ins Bier bringen wie möglich.“

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