„Geh’ in die kleine Brauerei Nhà hàng Bia Tiệp Trúc Viên“, hieß es in einer Empfehlung, die ich vor unserer Reise nach Hà Nội per Internet bekommen habe. Die Adresse war angegeben, wir haben einen freien Abend, und selbst der Taxifahrer weiß auf Anhieb, wo er hinfahren soll. Na prima!
Auf geht’s also. Wir halten an der angegebenen Adresse, drücken dem Taxifahrer ein paar Zehntausender in die Hand, steigen aus, und er verschwindet. Und wir sehen uns um.
Nhà hàng Bia Tiệp Trúc Viên, Tschechisches Bier-Restaurant Trúc Viên – ein vielversprechender Name, aber was hilft’s, wenn weit und breit nichts zu sehen ist. Wir gehen hundert Meter die Straße rauf, hundert Meter in der anderen Richtung wieder runter. Nichts!
Wir machen uns sogar die Mühe, die achtspurige Straße zu überqueren und auf der anderen Seite zu schauen. Ebenfalls nichts. Fehlinformation, offensichtlich.
Also kein Brauereibesuch heute. Frustriert stemme ich die Fäuste in die Hosentasche und maule: „Ich habe aber Hunger und Durst, und zum Suchen habe ich jetzt keine Lust mehr. Ich gehe jetzt in das Grill und BBQ direkt vor uns, esse da was, und dann fahren wir heim!“
Geduldig trottet meine holde Ehefrau hinter mir her die Treppe hoch. Wir betreten das AGrill Beer House & BBQ, und das erste, was uns auffällt, sind…
… die kupfernen Braukessel hinter der Theke.
Augen, groß wie Wagenräder.
Da haben wir also die ganze Zeit davorgestanden, und der Laden ist mittlerweile umbenannt worden. Das Sudwerk steht aber noch da. Ob es auch noch in Benutzung ist, oder ob die neuen Besitzer nur noch keine Zeit gefunden haben, es abzubauen?
Nachdem wir uns einen schönen Platz gesucht haben, kommt der Kellner, und ich deute auf die Kupferkessel: „Eigenes Bier?“
„Aber ja“, nickt er, und zeigt auf eine internationale Runde am Nachbartisch, die sich gerade am Karaoke übt. „Die trinken das alle!“
Und in der Tat: Große Krüge bernsteinfarbenen Biers werden geschwenkt, Herren und Damen aus verschiedenen Regionen Asiens und ein blonder Europäer haben schon glühende Wangen. Lauthals wird diskutiert, welches Lied als nächstes gesungen werden soll, dann werden die Smartphones gezückt und der Text geladen, und bevor der dissonante Gesang beginnt, bedeuten wir dem Kellner, der geduldig neben uns steht: „Jawohl, genau von diesem Zaubertrank hätten wir gerne je ein großes Glas!“
Goldgelb und leicht trüb steht das Bier vor uns. Stabiler, weißer Schaum, ganz leichter Diacetyl-Geruch. Grad wie daheim in Tschechien. Der erste Schluck. Weich und malzig. Dezent gehopft, mit leicht grasigen Noten. Relativ gering gespundet. Tja, in der Tat: Ein Bier wie in einer kleinen, tschechischen Landbrauerei, irgendwo im Nirgendwo zwischen Prag und Brünn in den Bergen. Lecker und süffig. Nichts Besonderes, aber ein Bier zum gerne auch in großen Schlucken zu sich nehmen.
Die Speisekarte ist leider ausschließlich in vietnamesischer Sprache, und auch die Englischkenntnisse des Kellners sind mehr als dürftig. Und so verbringe ich die nächsten drei Biere, denn das ist die Zeiteinheit, in der hier gemessen wird, damit, Onkel Google und Tante Cortana zu befragen und mich Schritt für Schritt durch die Gerichte zu arbeiten.
Heraus kommt eine Crossover-Bestellung. Pfeffersteak als internationales Gericht, Miso-Suppe mit Seetang, und eine Art Meeresfrüchte-Paella, oder ist es ein Risotto?, rundet alles ab. Dazu fließt das Bier.
Am Nachbartisch hangeln sich die Rotgesichter von einem Crescendo zum nächsten. Ab und an wankt ein freundlicher Japaner, Vietnamese oder Thai zu uns herüber, entschuldigt sich wortreich für den Lärm, nur um dann, unser freundliches Nicken als Freibrief interpretierend, den Zeiger auf der Dezibel-Skala noch ein wenig höher zu treiben.
Höllisch laut ist es, grauenvoll dissonant, aber lustig anzusehen, wie die Leute ihren Spaß haben.
Wir auch.
Ich nutze einen Moment und gehe zur Theke, um die Sudkessel, die eingezwängt in der Ecke ihr Dasein fristen, zu fotografieren, als einer der Sänger hinter mir herkommt und sich als Chef des Restaurants vorstellt. Er habe neulich erst übernommen, man sei quasi noch in der schleichenden Eröffnungsphase. Tuần Lễ Soft Opening 06/12 – 16/12/2016 stand auch draußen auf einem Plakat, stimmt, das habe ich aus dem Augenwinkel gelesen gehabt. Die Woche der sanften Eröffnung.
Von sanft kann zwar angesichts des Schalldrucks keine Rede sein, aber gut zu wissen, dass wir hier zu den allerersten Gästen in dieser Phase zählen.
Und die Sänger, wenn wir sie denn mal als solche bezeichnen wollen, seien Freunde und Geschäftspartner, denn eigentlich sei die Firma, die hinter dem Projekt steht, eine Abfüllfirma, die sich auf PET-Flaschen spezialisiert hat. Und nun eben auch eine Brauerei nebst Restaurant besäße, heißt es weiter. Er erzählt freundlich und stolz, und nachdrücklich sagt er, wir müssten nächste Woche wiederkommen, denn dann gebe es auch das dunkle Bier und nicht nur eine Sorte. Obwohl, fügt er augenzwinkernd hinzu, wenn die Gäste so weiter tränken, dann gäbe es zwar das Dunkle, aber schon kein Helles mehr…
Und als wolle er auch ganz sicher sein, dass es so kommt, stürzt er sich wieder ins Getümmel, bestellt die nächste Runde für alle und stimmt, den inneren Widerspruch nicht mehr wirklich realisieren könnend, in höchster Lautstärke „Silent Night, Holy Night“ an. Alle stimmen ein, und das jetzt sogar mal ohne Text auf dem Smartphone-Bildschirm.
Wer hätte das gedacht? Nachdem wir gezahlt haben und vor das Restaurant getreten sind, empfinden wir den vorbeirauschenden Verkehr auf der achtspurigen Straße als angenehme Ruhe. Ah, wie gut das tut. Diese Stille!
Soft Opening. – Soso!
Das AGrill Beer House & BBQ ist täglich ab mittags durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist es gut mit dem Taxi, es liegt direkt an der Ausfallstraße in Richtung zum BigC Supermarket, den jeder kennt.
AGrill Beer House & BBQ
40 Trần Duy Hưng
10000 Hà Nội
Vietnam
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