Die Homepage gibt sich selbstbewusst. In (freier) Übersetzung haut man wie folgt auf die Pauke:
In aller Kürze:
– frisches Bier tschechischer Kleinbrauereien
– würzige Kleinigkeiten zum Bier
– einzigartige Schanktechnik
– außerordentliche Bierpflege
– im vorrepublikanischen Stil
– modernes Interieur, echt handwerklich eingerichtet
– wir sind da für Sie!
Aber, und dessen vergewissern wir uns gerade, so ganz unrecht haben die Betreiber dieses kleinen Stehausschanks nicht. Vielleicht abgesehen vom Widerspruch zwischen dem vorrepublikanischen (Zwischenkriegs-) Stil und dem modernen Interieur. Es geht ja eigentlich nur eines von beidem gleichzeitig – klassisch oder modern…
Andererseits: Was heißt schon modern? Moden ändern sich wie die Jahreszeiten, und die moderne Verwendung des Begriffs modern, um zeitgemäße Technik oder Ausstattung auf dem neuesten Stand der Technik zu beschreiben – „moderne Computertechnik“, beispielsweise – ist strenggenommen eine Verwässerung des Begriffs. Modern also im Sinne von derzeit beliebt, derzeit angesagt, und schon ist der Widerspruch aufgelöst.
Vorrepublikanischer Stil ist also derzeit angesagt. Basta!
Äh, wo war ich stehengeblieben?
Ach ja, Stehausschank.
Wir sitzen, beziehungsweise lehnen an einem kleinen Tisch im Stehausschank Výčep Na Stojáka Pekanda in Brno, unterhalb des Burgbergs, zehn Schritte außerhalb des Altstadtrings. Wie der Schwesterausschank Výčep Na Stojáka Jakubák ein paar hundert Meter weiter (und innerhalb des Altstadtrings) legt er Wert auf gute Bierpflege und eine Atmosphäre, die die Kommunikation fördert. Schmale Stehtische, keine Sitzgelegenheiten, höchstens mal schmale Polster, um sich anzulehnen. Schlichte, aber ansprechende Einrichtung und – vor allem – eine recht gute Auswahl an Bieren.
Fünf Zapfhähne gibt es, und bis auf den ersten rotieren alle durch. Ist ein Fass leer, wird ein anderes mit einer anderen Biersorte angestochen. Alle Fässer lagern in einem Kühlraum, der durch eine große Glasscheibe einsehbar ist, jeder Gast kann sich also mit eigenen Augen vergewissern, wie hier mit den Fässern umgegangen wird. Zusätzlich wird die Temperatur im Kühlraum auf einem elektronischen Display über der schwarzen Kreidetafel mit der Bierliste angezeigt. Teplota w pivním boxu – Temperatur in der Bierbox, steht darüber. Beruhigende 8° C werden angezeigt – die ideale Zapf- und Trinktemperatur für ein ordentliches Lagerbier, und auch für ein fruchtiges Ale nicht zu kalt.
Wir betrachten die Liste und schauen uns an. So richtig großen Bierdurst haben wir gar nicht mehr – wir sind am Ende eines nachmittäglichen Kneipenbummels. Zu schön war der erste Frühlingstag, um zuhause sitzen zu bleiben, zu einladend das Wetter. Zu einladend aber auch die zahlreichen Einkehrmöglichkeiten in Brno. Stunden, ach was, Tage könnte man hier von einer Bar zu anderen wandern, mal hier, mal da ein Bierchen trinken. Immer wieder neue Leute treffen, interessante Gespräche führen, spannende Erlebnisse haben. Bis irgendwann der Bierdurst nachlässt. Die Müdigkeit einsetzt.
Sehr oft hat Euer Chronist das noch nicht erlebt, dass er am Ende des Tages biermüde ist. Den Zustand erreicht hat, für den es im Deutschen kein Wort gibt. Trinksatt, könnte man vielleicht sagen. Oder, wie vor Jahren mal in einer Umfrage der Dudenredaktion herausgefunden, vielleicht sitt. Sitt statt satt. Das Skandinavische hat eine Lösung für dieses Problem: otörstig im Schwedischen, utørst im Norwegischen.
Also, wir sind sitt. Trinksatt. Utørst.
Gut, dass es im Výčep Na Stojáka selbst für dieses Problem eine Lösung gibt, den Šnyt. Ein aus dem Deutschen eingewanderter Begriff, der Schnitt. Wie im Fränkischen wird hier ein großes Glas genommen und es Pi mal Daumen zur Hälfte gefüllt. Meistens ein bisschen mehr. Sicherheitshalber. Wir bestellen also jeder einen Šnyt. Einmal das Any Ale der Brauerei Permon, einmal das Carni Vale der Brauerei Hauskrecht.
Zwei richtig leckere Biere. Das Carni Vale ein kräftiges, märzenartiges Bier, schön malzig, aromatisch, aber auch mit einer soliden Hopfung. Ein bisschen an Oberpfälzer Zoigl erinnernd, ähnlich robust und trotzdem süffig.
Das Any Ale völlig anders. Viel heller in der Farbe, fruchtig-estrig in der Nase, schon vor dem ersten Schluck. Im Mund dann ebenfalls fruchtig, aber auch mit einer kräftigen Bittere.
Beide Biere also sehr fein. Fast schon bereuen wir, nur einen Šnyt genommen zu haben, aber das Geglucker im Bauch bestätigt uns dann doch: Für heute war es genug Flüssigkeit.
Gut, dass es hier im Výčep Na Stojáka Pekanda nicht ehrenrührig ist, ein kleines Bier zu bestellen. Andernorts wird dann schon mal von der Seite geguckt, was das denn für komische Vögel seien, die Bier aus Fingerhüten trinken würden. Ein richtiger Tscheche macht so etwas nicht. 0,3 oder gar 0,2 l, das sind Saftgläser für Kinder, aber keine Biergläser für Erwachsene. Und so ist es denn auch pfiffig, hier große Gläser zu nehmen und nur halb zu füllen. Sieht gleich so aus, als stünde man schon lange hier und habe sein Bier schon halb getrunken…
Und weil es so schön ist, gibt es jeden Nachmittag auch eine Happy Hour unter dem Namen Happy Šnyt. Von 16:00 bis 18:00 Uhr gibt es den Šnyt für 28,- CZK. Ein großzügig eingeschenktes halbes Bier, auch die teureren Sorten aus den Kleinbrauereien, für einen der Großstadt angemessenen, noch fairen Preis. Und damit auch die Chance, nach Feierabend auf dem Nachhauseweg mehr als nur eine Biersorte verkosten zu können…
Heute also nur je einen Šnyt. Eigentlich schade, denn schön ist es hier. Noch lange hätten wir stehen können, die freundliche und entspannende Atmosphäre genießen können…
Der Výčep Na Stojáka Pekanda ist täglich ab 16:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Er befindet sich direkt am Eingang der Pekařská-Straße, die Straßenbahnen der Linien 3, 4, 5, 6 und 12 halten am Šilingrovo Náměstí quasi direkt vor der Tür.
Und noch ein wenig Bildung am Ende, zitiert aus der Homepage des Výčep Na Stojáka:
Slovy Karla Čapka: „Šnyt jak známo patří mezi míry duté; není to půllitr ani malé pivo, nýbrž míra toliko přibližná. Malé pivo si dávají nepijáci; piják piva, když se nechce napít, nýbrž toliko se zavlažit, nedá si třetinku, za niž by se jaksi před celým světem styděl, nýbrž šnyt. Šnyt je půllitr, ale nenapěchovaný, s pěnou do půl sklenice; záleží na dobré vůli hospodského, kolik té pěny do půllitru nadělá.“
Mit den Worten von Karel Čapek: „Der Schnitt ist, wie man weiß, ein Volumenmaß; es ist kein halber Liter, aber auch kein kleines Bier, es ist nur eine ungefähre Angabe. Ein kleines Bier gibt man dem Nicht-Trinker; der Trinker, der nicht trinken möchte, sondern sich nur ein wenig anfeuchten möchte, würde nie ein Drittel bestellen, um sich nicht vor der ganzen Welt schämen zu müssen, sondern einen Schnitt. Ein Schnitt ist ein halber Liter, aber nicht ganz gefüllt, mit Schaum bis zur Hälfte; und es hängt vom guten Willen des Wirts ab, wieviel Bier der halbe Liter Schaum ausmacht.“
Výčep Na Stojáka Pekanda
Pekařská 2
602 00 Brno
Tschechien
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