Targowa – Craft Beer and Food
Wrocław
POL

Die Markthalle in Breslau – seit über hundert Jahren ein Anziehungspunkt für Touristen und Einheimische gleichermaßen. Nach zwei Jahren Bauzeit wurde die Stahlbeton-Konstruktion im Oktober 1906 eröffnet und entwickelte sich rasch zu einer Attraktion. Die Halle überstand den Zweiten Weltkrieg mit schweren Schäden und wurde zunächst lediglich improvisiert wieder hergerichtet. Es dauerte bis in die achtziger Jahre, bis sie grundlegend renoviert wurde – seitdem ist sie aber wieder eine der beliebtesten Einkaufsmöglichkeiten der Stadt. Vorwiegend Obst und Gemüse werden hier angeboten, aber in letzter Zeit zunehmend auch andere Spezialitäten.

Da liegt es nahe, hier auch zeitgemäße Gastronomie anzubieten, und seit 2015 lädt nun das Szene-Restaurant Targowa – Craft Beer and Food in die Keller mit den Ziegelgewölben unter der Halle. An zwölf Zapfhähnen werden kreative Biere vorwiegend aus Polen, aber auch aus dem Rest der Welt angeboten, dazu gibt es Küche, die vom klassisch-polnischen bis zum internationalen Ansatz jeden Geschmack und auch das Auge befriedigen soll. Eigentlich ja eine tolle Idee.

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nicht so schreiend bunt wie die Weihnachtsbeleuchtung entlang der Oder

Nach einem abwechslungsreichen Tag in der Stadt kehren wir am späten Nachmittag hier ein. Es ist schon dunkel; die kitschige Weihnachtsbeleuchtung am Ufer der Oder blinkt in allen Farben des Regenbogens, so dass der eher dezent illuminierte Schriftzug an der Ziegelwand des Uhrturms der Markthalle gar nicht groß auffällt. Eine steile Treppe führt uns hinunter in den Keller, wir passieren eine uralte Aufschrift „Rauchen verboten!“, die aus Zeiten stammt, als die Stadt noch Breslau hieß und hier noch deutsch gesprochen wurde.

Uns empfängt eine ansprechende, gemütliche Atmosphäre. Unter den alten Ziegelgewölben moderne Holztische und Bänke; schlichte Zweckmäßigkeit paart sich mit dezenter und ansprechender Dekoration. Rechter Hand sehen wir die Theke mit den zwölf Zapfhähnen, und dahinter können wir einen Blick in die Küche erhaschen. Sehr ansprechend.

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zwölf Zapfhähne erwarten uns

Wir haben uns kaum gesetzt, da kommt schon die freundliche junge Kellnerin und fragt uns nach unseren Wünschen. „Gibt’s ein Bierbrettchen?“, frage ich neugierig und ernte ein strahlendes Lächeln: „Na klar. Fünf kleine Gläser. Mit zwei Brettchen und zwei Extra-Gläsern hast Du dann unser Angebot durch!“

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, und rasch sind die ersten fünf Biere ausgewählt. Dazu einen kleinen Salat mit Kürbis und einer Ofenkartoffel, und so können wir es uns jetzt gut gehen lassen.

Die Biere kommen – serviert auf einem Brettchen und mit bunter Kreide so markiert, dass auch der vergesslichste Gast noch genau weiß, was er in welcher Reihenfolge bestellt hat. Sehr schön!

Wir trinken uns einmal kreuz und quer durch das Angebot, beginnen mit dem leider eher enttäuschenden, weil muffelig schmeckenden Weißbier „Targnova“ (5,0%) der Brauerei Probus, setzen fort mit dem eher bitter als fruchtig schmeckenden American Pale Ale „Apanaceum“ (5,0%) der Brauerei Wbrew, dem ebenfalls nicht wirklich frisch wirkenden West Coast IPA „Califia“ (7,0%) der Brauerei Trzech Kumpli und dem nicht wirklich harmonisch zusammenspielenden Wheat Black IPA „Jama“ (6,0%) der Brauerei Cztery Ściany und enden mit dem schon arg überaromatisiert wirkenden Chocolate Vanilla Milk Stout „Chocolate Factory“ (5,9%) der Brauerei Deer Bear.

Etwas betrübt sehen meine holde Ehefrau und ich uns an. Keines der fünf Biere – alle von polnischen Brauereien – hat uns überzeugt. Zum Teil nicht sehr frisch wirkend (da bleibt dann die Frage offen, ob das Bier anderes geschmeckt hat, als es die Brauerei gerade erst verlassen hat, oder ob es den etwas „alten“ Geschmack schon von Anfang an hatte), zum Teil im Übermut, einfach mal auszuprobieren, was brautechnisch alles geht, unausgewogen (wir probieren mal ein völlig neues Rezept jenseits aller etablierten Bierstile und wundern uns, warum das vor uns noch niemand versucht hat). Da haben wir vor zwei Stunden in der Brauerei Stu Mostów ganz andere Bierqualitäten kennengelernt.

Wir lassen uns aber von der überschäumenden Herzlichkeit unserer Bedienung trotzdem überzeugen, noch einen zweiten Tester zu nehmen. Immerhin ist es hier sehr gemütlich, der kleine Salat schmeckte ganz hervorragend, und wir fühlen uns trotz der bisher eher enttäuschenden Bierauswahl doch sehr wohl. Also, fünf weitere Biere, bitteschön, die Dame!

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noch einmal fünf Biere, bittesehr

Wird es besser? Ach, leider nein, es wird nur anders. Das Imperial Witbier „Przekupka“ (6,1%) der Brauerei Profesja schmeckt dumpf, das Imperial IPA „Hurk Hopgun“ (9,0%) der Brauerei Hopium lässt zu seiner extremen Hopfenbittere den balancierenden Malzkörper vermissen, das Rice IPA „Oryza IPA“ (6,7%) der Brauerei Palatum ist ganz nett, aber zu trocken und schlank, und das Witbier „Quatro“ (4,5%) der Brauerei Caminus ist alles, aber kein Wit, sondern eher ein nur mäßig fruchtiges, etwas erdiges Allerweltsbier mit einem Hauch Weizen. Einziger Lichtblick, und jetzt wird es ein bisschen peinlich für die bunte und ehrgeizige Szene der kleinen Craftbrauer in Polen, ist das unter Konzernaufsicht (Grupa Żywiec, zu Heineken gehörend) in der Browar Zamkowy Cieszyn gebraute „Rye Wine“ (9,9%). Ein Barley Wine, gebraut mit Roggen. Das Siegerbier des großen nationalen Hausbrauwettbewerbs im Sommer 2018, nachgebraut auf dem historischen Sudwerk der kleinen Brauerei in Cieszyn, die zwar zum Heineken-Konzern und zur Grupa Żywiec gehört, aber ein gehöriges Maß an unternehmerischer Freiheit genießt. Voll und rund, sehr sämig und vollmundig, schön wärmend und die 9,9% Alkohol sind so gut maskiert, dass man sie gar nicht wahrnimmt. Ein feines Bier, das den Abend rettet und die Ehre der polnischen Braukunst fürs erste wieder herstellt.

Tja, wirklich merkwürdig. Neun von zehn Bieren haben uns enttäuscht. Woran liegt es? Haben die polnischen Craftbrauer in ihrem Bestreben, immer neue und immer wildere Rezepte auszuprobieren, den Bogen überspannt? Sind zu viele kleine Brauer an den Start gegangen, die in Wirklichkeit gar nicht gut brauen können und nur auf den Zug aufgesprungen sind, um Geld zu verdienen oder weil Bierbrauen in Mode ist? Oder liegt die Schuld auf Seiten der Betreiber des Targowa? Pflegt man vielleicht die Leitungen nicht gut? Laufen die Biere nicht schnell genug und altern deswegen am Hahn? Oder nimmt man von den Brauereien einfach nur irgendwelche Sorten, die man noch nicht im Angebot hatte, nur weil sie neu sind, aber nicht, weil das Bier etwas Besonderes oder etwas besonders Gutes ist?

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das nette Ambiente gefällt uns

Fragen über Fragen, die uns unsere nette Kellnerin nicht beantworten kann. Freundlich lächelnd zuckt sie mit den Achseln, entschuldigt sich, aber ohne so recht zu wissen, wofür. Sind wir vielleicht die ersten, die eine ehrliche Rückkopplung geben und nicht hingerissen aus lauter Begeisterung über die Vielfalt nicht mehr zu ehrlicher Kritik in der Lage sind?

Ein bisschen unzufrieden steigen wir die Treppe aus dem Keller der Markthalle wieder hinauf. So eine schöne Atmosphäre, so netter Service, so leckeres Essen. Aber das, wessentwegen wir vorrangig hierher gekommen sind, hat uns ein wenig enttäuscht: Das Bier.

Das Markthallen-Restaurant Targowa – Craft Beer and Food ist täglich ab 11:00 Uhr durchgehend geöffnet, sonnabends und sonntags bereits ab 10:00 Uhr; kein Ruhetag. Zu erreichen ist es mit der Straßenbahn (Linien 8, 9, 11, 17 und 23) oder dem Bus (Linien 251 und 259) – die Haltestelle ist direkt vor der Tür.

Bilder

Targowa – Craft Beer and Food
Piaskowa 17
50-158 Wrocław
Polen

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