Travois Ale Works
Medicine Hat
CAN

Erstaunt stelle ich fest: Medicine Hat hat tatsächlich so etwas wie eine gemütliche Innenstadt. Nicht nur endlos in die Prärie hinauswachsende, langsam ausfransende Gewerbegebiete mit Shopping Malls, Hotels und Tankstellen, und reine Wohngebiete, in denen sich Einfamilienhäuser aneinanderreihen, ohne dass dazwischen Platz für etwas wie öffentliches Leben wäre.

Nein, das Viertel, das gebildet wird von den vier Linien South Saskatchewan River, der Eisenbahnlinie, der Aberdeen Street und der 3rd Avenue, ist tatsächlich so etwas wie ein lebendes, pulsierendes Herz der Stadt. Kleinere Geschäfte, Bankenfilialen, Cafés, die Heilsarmee und Restaurants erzeugen so etwas wie Atmosphäre. Sicherlich nichts, um lange hin und her zu flanieren, aber doch Gemütlichkeit genug, dass man versucht sein könnte, sein Auto abzustellen und den Rest der Erledigungen, einschließlich eines Abschlusskaffees oder -biers zu Fuß zu erledigen. Immerhin.

Abschlussbier ist dann auch das Stichwort, denn mitten im Zentrum der Stadt befindet sich die jüngste Brauerei Medicine Hats, die Travois Ale Works.

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ein sorgfältig abgezäuntes Biergärtchen

Erst im Herbst 2018 wurde sie in einem alten Ziegelgebäude aus dem Jahr 1939 eröffnet. Ein kleiner und schmaler Taproom öffnet sich zur Straße hin, und vor der Tür stehen ein paar Tische und Stühle, notdürftig beschattet von einem zu kleinen Sonnenschirm. Sorgfältig ist eine Schnur mit ein paar blauen Wimpeln außenherum gezogen, um nur ja deutlich zu machen, dass der Konsum von Bier (Alkohol! Gefährlich!) nur on premises, also innerhalb des improvisierten Zauns und drinnen erlaubt ist. Es möge bitte niemand auf die Idee kommen, mit seinem halbvollen Glas einmal außen am Zaun entlang zu schlendern – da sei schon die im nicht weit entfernt gelegenen Büro residierende Heilsarmee vor.

Drinnen laufe ich direkt auf die Theke zu und sehe im Hintergrund durch eine schmale Glastür das stählern glänzende Sudwerk. Zwischen Theke und Sudhaus befinden sich die Restrooms in einem kleinen Kubus, der ein wenig künstlich wirkt und eher wie ein kleines Kühlhaus aussieht.

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Blick zur Theke

Hinter der Theke hängt die Bierliste, und …. nein, es ist keine schwarze Kreidetafel! Stattdessen sind Holzleisten an der Wand befestigt, auf denen, aus einzelnen Holzlettern zusammengestellt, die Biere angepriesen werden. Neun Sorten sind im Angebot, und ich frage den freundlichen, aber etwas wortkargen Barmann, ob es denn auch Tastingboards gebe, und wenn ja, wie viele Bierproben so ein Board denn umfassen würde. „Sure, kein Problem. In jeder Größe, die Du Dir wünschst“, lautet die lapidare Antwort, und genauso lapidar klingt dann auch meine Antwort: „Okay, dann alle neun!“

„Alle Neune!“, das klingt nach Kegeln, aber da man in Nordamerika eher Bowling mit zehn Pins spielt, verzichte ich darauf, dem Barmann dieses doch sehr europäische Wortspiel zu erklären, schnappe mir den Tray mit den neun Bierproben und suche mir einen Platz.

Ich habe freie Auswahl, denn außer mir ist nur ein weiterer Gast da, und der sitzt am Fenster und stiert in das leere Biergärtchen.

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Alle Neune!

Während ich mit meiner Verkostung beginne, hantiert der Barmann fleißig herum. Ob er Geschäftigkeit nur simuliert, oder ob tatsächlich so viel zu tun ist, obwohl keine Gäste da sind, erschließt sich mir nicht ganz, aber es ist wirklich sehr beschäftigt…

Bier Nummer 1 nennt sich German Pils. Es sieht zwar nicht so aus, weil viel zu hell und ein bisschen trüb, und erinnert daher eher an ein Belgian Wit, aber es schmeckt. Ein bisschen herb, schön schlank, abgesehen von der Optik passt’s. Wie man allerdings den Alkoholgehalt so exakt bestimmt, dass man wagt, 4,75% anzugeben, das erschließt sich mir nicht.

Bier Nummer 2 – ein English Summer Ale. 4,85%. Das mit den Prozentzahlen hat wohl System… Das Bier ist fruchtig, riecht und schmeckt im ersten Moment ganz vorzüglich, hinterlässt aber einen etwas harschen Geschmack am Gaumen.

Das dritte Bier nennt sich Grisette, hat 4,5%, und ist erstaunlicherweise fast blank. Entweder ist gefiltert worden oder die Hefe hat sich extrem gut abgesetzt. Ein bisschen fruchtig, ein bisschen phenolisch ist es im Geschmack – eine interessante Kombination.

Weiter geht’s mit dem vierten Bier, einem Guava Lime Blonde. Nur 3.8% hat es, weist eine ganz feine, fruchtige Säure auf, ohne schon ein echtes Sauerbier zu sein, und erfreut mit frischen, erfrischenden Fruchtnoten. Ein feiner Durstlöscher für heiße Tage wie heute.

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North West Wheat

Das fünfte Bier – mehr als die Hälfte ist schon geschafft. North West Wheat, ein Weizen mit 5,25%. Nicht so richtig ein Weißbier, ein belgisches Wit auch nicht, eher ein Pale Ale, bei dem auch Weizen mit verbraut wurde. Der Hopfen dominiert, harmoniert aber nicht ganz mit der feinen Crispyness des Weizens. Kann man zwar gut trinken, stilistisch sitzt man aber zwischen allen Stühlen.

Gelungen ist wieder das sechste Bier, ein American Pale Ale. 5,25% Alkohol und in sich schlüssig. Schöne, kräftige und fruchtige Hopfenaromen für die Nase, eine kernige, aber nicht überbordende Hopfenbittere für Zunge und Gaumen. Hohe Durchtrinkbarkeit. Der klassische nordamerikanische Bierstil – hier sehr gelungen.

Ich nehme mir einen Moment Zeit, ein bisschen über die Brauerei zu recherchieren. Die Geschichte begann 2016 oder so, angeblich zunächst aus einer sich einfach so bietenden Gelegenheit. Einer war Hausbrauer und wollte mehr, ein anderer hatte sich ein altes, renovierungsbedürftiges Gebäude in Downtown Medicine Hat gekauft, ein dritter hatte gerade seinen Job verloren und suchte etwas Neues, und ein vierter kannte sich mit Computern aus und konnte die Social Media Aufgaben übernehmen. Rob, Todd, Jorey und Jacques. Und im November 2018 wurde schon eröffnet. Alles ging ganz schnell.

Wenn die Geschichte stimmt, ist sie nett, wenn nicht, dann ist sie zumindest gut erfunden.

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viel los ist am frühen Nachmittag noch nicht

Auch der Name für die Brauerei ist mit einem Narrativ hinterlegt: Travois ist ein einfaches Zuggeschirr. Zwei lange Stangen und viele Lederriemen, links und rechts am Zugtier – Hund, Pferd oder Ochse – werden die Stangen befestigt, zwischen die Stangen kommt hinten ein geflochtenes oder geknüpftes Tragnetz, und fertig. Einer der vier Brauereigründer, Jacques, hat einen Hund, der so aussieht, wie die vor hundert Jahren in der kanadischen Prärie zum Transport eingesetzten Hunde, und schon stand der Name fest. Travois Ale Works, also.

So einfach kann es also sein. Wenn es denn stimmt.

Aber zurück zum Bier:

Das Scottish Export, Bier Nummer 7, ist stilistisch eigentlich nicht mein Fall. Zu oft bin ich von zu ausgeprägter, sättigender Malzigkeit enttäuscht worden. Hier und heute aber nicht. Es ist sehr gelungen, sehr rund, ohne zu mastig zu wirken. 5,0% Alkohol. Sehr schön.

Es geht dem Ende entgegen. Das vorletzte Bier ist ein Cold Brew Porter. Dem Namen nach müsste ihm ein Kaltextrakt von Kaffee hinzugegeben worden sein. Und genau so schmeckt es auch: Schöne, aromatische Kaffee- und Mokkanoten auf einem vollen, malzigen Fundament. 4,9% Alkohol nur, aber geschmacklich sehr stark.

Und schließlich das neunte Bier, das letzte für heute. Eigentlich dasselbe Bier wie die Nummer 7, nämlich das Scottish Export. Jetzt aber mit Nitro gezapft. Kremiger und weicher wirkt es dadurch, regelrecht samtig. Das unterstreicht noch einmal den runden, sehr harmonischen Charakter dieses fünfprozentigen Biers. Gelungen!

Eine schöne und umfassende Bierprobe. Der Barmann hantiert immer noch fleißig hinter der Theke herum, und nach wie vor erschließt sich mir nicht wirklich, was er denn die ganze Zeit dort so macht. Gäste sind nach wie vor nur ganz wenige da.

Die Tür zum Taproom öffnet sich, herein kommt mein „designated Driver“, ein Kollege, der sich bereit erklärt hat, mich abzuholen und zurück zum Hotel zu fahren. „Aber einen Moment hinsetzen möchte ich mich. Meinst Du, die haben hier auch alkoholfreies Bier?“, fragt er mich. Nun, fragen kostet nichts, und der Barmann nickt. „Eine Dose habe ich noch da.“

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Wir lernen: Selbst ein Kölsch kann man noch verdünnen!

Eine Dose? Wir sind gespannt. Es kommt ein Stone Sofa Kölsch, gebraut von der One for the Road Brewing Co. Ein Experiment noch. Die Marke One for the Road möchte mit alkoholfreiem Craftbier auf den Markt kommen, und das Stone Sofa Kölsch ist ihr erstes und bisher einziges Produkt.

Im Glas ist es extrem blass. Wir scherzen. Das wäre für ein Kölsch ja schon mal typisch. Wenig Farbe, wenig Geschmack, wenig von allem. Leider aber auch wenig Aroma, wenig Herbe, wenig Charakter. Hätte der Barmann ein Glas Sprudelwasser eingeschenkt und dann einen winzigen Schuss Bier obendrauf gezapft, es hätte weder anders geschmeckt noch anders ausgesehen. Wir sind enttäuscht. So macht man sich als alkoholfreies Bier keine Freunde, und die Marke One for the Road wird mit diesem Produkt wohl alles andere erreichen als sich einen Markt für Autofahrerbiere zu erschließen. Ein merkwürdiger und enttäuschender Schlusspunkt. Aber wenigstens war die umfangreiche Bierprobe vorher durchaus interessant und spannend.

Der Tasting Room der Travois Ale Works ist täglich ab 11:00 Uhr durchgehend geöffnet; sonntags nur von 13:00 bis 19:00 Uhr. Kein Ruhetag. Durch seine Lage mitten in Downtown Medicine Hat ist er problemlos mit den Öffis zu erreichen – das Transit Terminal als zentrale Bushaltestelle für alle Fernbusse liegt gerade mal zwei Minuten zu Fuß entfernt.

Bilder

Travois Ale Works
612 3rd St SE
Medicine Hat
AB T1A 0H5
Kanada

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