Was für eine Enttäuschung … Wäre da nicht die bezaubernde junge Dame gewesen, die an unserem Tisch bedient hat, wir wären völlig frustriert und enttäuscht aufgestanden und gegangen! So aber hat es wenigstens diesen einen, kleinen Lichtblick in Form dieser Kellnerin gegeben.
Am Ende eines spannenden Tages in Baltimore wollen wir noch auf ein letztes Bier in der sich langsam senkenden Sonne einkehren. Vor uns liegt das große Baseballstadion der Baltimore Orioles, der lokalen Baseballmannschaft, und zwischen Stadion und uns steht ein gewaltiger Riegel aus Ziegelsteinen – sieben oder acht Stockwerke hoch und bestimmt 200 m lang. Wir haben keine Ahnung, was in diesem Gebäude alles untergebracht ist, ob es Büro- und Geschäftsräume sind, Lager oder Wohnungen, was wir aber wissen, ist, dass sich im Erdgeschoss eine Brauerei befindet, Dempsey‘s Brew Pub and Restaurant.
Zwei Eingänge hat das Brew Pub: Einen zur Stadtseite hin, in Richtung Hafen, auf derjenigen Seite des Ziegelbaus, auf der auch die Straßenbahnen und Nahverkehrszüge halten. Und einen zweiten zum Stadion hin, so gelegen, dass man, wenn man aus dem Pub kommt, direkt auf den Haupteingang zur Tribüne zuläuft. An Spieltagen ist ausschließlich dieser Eingang geöffnet, und man kann die Brauerei nur erreichen, wenn man auch ein Ticket für das Spiel hat; sie fungiert dann gewissermaßen als Stadionpub.
Beim Stichwort Stadionpub wird ein kleiner Einschub notwendig:
Das Dempsey‘s Brew Pub and Restaurant ist nicht die einzige Möglichkeit, sich während des Spiels mit Craftbier zu versorgen. Links und rechts des Eingangs stehen ganze Reihen von kleinen Bierständen, an denen man sich eindecken kann. Ein einziger davon trägt Reklame für Budweiser Light, alle anderen bieten Craftbier von unterschiedlichen Brauereien aus den ganzen Vereinigten Staaten an: Flying Dog und Dogfish Head beispielsweise als überregional bekannte Brauereien, aber auch Heavy Seas als Marke der eher kleinen Brauerei Clipper City Brewing aus Halethorpe direkt vor den Toren Philadelphias.
Schön wäre es, eine solche Auswahl auch einmal in deutschen Sportstadien zu finden, aber hier binden sich die Vereine ja immer vertraglich an Großbrauereien und benennen sogar oft ihr Stadion danach – ich sag‘ nur Veltins-Arena! Schlimm, schlimm, schlimm!
Ende des Einschubs.
Nachdem wir die durchaus ansprechende Front des Ziegelgebäudes ausgiebig bewundert haben und auch einmal am Stadion entlanggeschlendert sind, betreten wir Dempsey‘s Brew Pub and Restaurant und sind zunächst einmal von der ungemütlichen Plastik-Atmosphäre enttäuscht. Da sind ja selbst deutsche Autobahnraststätten mittlerweile gemütlicher – und das will was heißen.
Wir suchen uns einen Tisch, und eine junge Kellnerin mit strahlendem Lächeln kommt auf uns zu. Sie sieht aus wie gerade einmal achtzehn Jahre alt, wenn überhaupt, und ich muss überlegen: Bier trinken darf man in den Vereinigten Staaten erst ab einem Alter von 21 Jahren. Bier servieren darf man offensichtlich aber schon früher, oder wie? Logisch scheint das nicht zu sein. Aber mit Logik darf man in diesem Land sowieso nicht argumentieren.
Zeit für einen zweiten Einschub:
Logik. Ab wann ist ein Mensch in den Vereinigten Staaten erwachsen? Wenn es um den Umgang mit Feuerwaffen geht, offensichtlich bereits in dem Alter, in dem die kleinen Händchen kräftig genug sind, einen Revolver zu halten, ohne ihn ständig fallen zu lassen. Wenn es um Alkoholkonsum geht, frühestens mit 21 Jahren. Dann aber auch noch eingeschränkt, denn das Mitführen von offenen Behältern mit Bier scheint lebensgefährlich zu sein, denn es ist außerhalb der Pubs und Bars verboten.
Wenn es um unschuldiges Freizeitvergnügen geht, darf der US-Amerikaner offensichtlich nie erwachsen werden. Überraschungseier werden als gefährlich erachtet – nicht nur ihr Verkauf ist in diesem Land verboten, nein, selbst das Mitbringen als Souvenir wird ähnlich streng geahndet, als habe man ein Kilogramm Semtex-Plastiksprengstoff im Handgepäck. Und wenn ich im Hafenbecken von Baltimore einen kleinen Ausflug mit dem Tretboot machen möchte, bin ich verpflichtet, eine unförmige und dreckig-spakige Schwimmweste anzulegen und darf mich sowieso nicht weiter als nur ein paar Meter vom Ufer entfernt bewegen.
Nein, in diesem Land wird man nie erwachsen. Darf man nicht erwachsen werden, der Staat hält ständig als Nanny die Hand über seine angeblich so freien Bürger. Nanny States of America.
Ende des zweiten Einschubs.
Zurück ins Dempsey’s: Wir bestellen bei dem netten Mädel einen Dempsey’s Flight für mich und ein Blood Orange Ale von Flying Dog für meine holde Ehefrau. Dazu einen Salat mit – lokale Spezialität! – Krabbenfleisch. Und das Drama nimmt seinen Lauf.
Die Dame hinter der Theke zapft das Blood Orange Ale, dann drei der vier Gläser des Flights, und dann stellt sie fest, dass bei der vierten Sorte irgendetwas nicht stimmt. Das Probierglas ist halb voll, das Bier versiegt. Immer wieder rüttelt sie am Zapfhahn, minutenlang. Manchmal kommt noch ein Tropfen, der in das Glas fällt, manchmal nicht. Irgendwann, es sind bestimmt schon drei oder vier Minuten vergangen, dämmert es ihr, dass vielleicht das Fass leer sein könnte. Sie geht Hilfe holen.
Die Zeit vergeht, nichts passiert. Die fertig gezapften Biere stehen am Tresen und werden langsam warm. Wir bitten unsere junge Kellnerin, die Biere doch schon zu servieren, bevor sie völlig schal sind, das vierte, fehlende Bier könne sie uns später bringen. Sie schüttelt den Kopf. Das dürfe sie nicht, es sei streng verboten für sie, an der Theke in den Ablauf einzugreifen. Wir drängen noch ein wenig, aber als wir den Eindruck bekommen, dass sie wohl die Wahrheit sagt und bald den Tränen nah ist, hören wir auf. Wie war das? Ab wann darf man sich hier erwachsen fühlen? Als abhängig Beschäftigter in manchen Betrieben wohl nie!
Irgendwann taucht die Bardame wieder auf, begleitet von einem jungen Mann. Hinter der Theke wird hantiert, irgendwann fließt das Bier auch wieder, das Probierglas wird aufgefüllt, alle Biere werden serviert. Wir versuchen noch einmal, mit dem jungen Mädchen zu diskutieren, dass die Biere jetzt alle viel zu warm seien, doch auf ihren flehenden, bittenden Blick hin lassen wir die Sache dann doch auf sich beruhen, weil wir den Eindruck bekommen, dass sie dann dafür verantwortlich gemacht werden würde. Was für eine widerliche Arbeitsatmosphäre muss hier wohl herrschen, was für ein unangenehmes Management hinter dem Laden stehen!
Die Biere erweisen sich als mäßig. Das Wild Pitch Wheat schmeckt trotz der in das Glas gesteckten Orangenscheibe noch halbwegs ordentlich, lässt ahnen, wie spritzig frisch es vor einigen Minuten hätte gewesen sein können. Auch das Rick’s Red Ale ist zwar zu warm, ansonsten aber ein akzeptables Rotbier, bei dem lediglich das Malz vielleicht ein wenig zu stark dominiert. Das ’83 Golden Ale und das Rain Delay India Pale Ale schmecken jedoch beide etwas kartonartig, oxidiert. Nicht wirklich überzeugend.
Das Blood Orange Ale meiner Frau ist noch nicht ganz so warm – es war ein großes Glas, blieb während der vertändelten Zeit halbwegs kühl. Aber ein wenig abgestanden ist es trotzdem, ein uneingeschränkter Biergenuss ist es leider auch nicht mehr.
Dass der Salat mit dem Krabbenfleisch dann auch noch recht matschig und lustlos in die Schüssel geklatscht worden war, spielt nun auch keine Rolle mehr.
Die junge Dame bemüht sich noch mit Leibeskräften, uns ein wenig aufzuheitern, kümmert sich wirklich rührend um uns. Aber ganz alleine retten kann sie die total verkorkste Situation auch nicht. Schade, Mädel, Du hättest es mit Deiner herzlichen Freundlichkeit verdient, in einem besseren Brew Pub oder Restaurant zu arbeiten.
Dempsey‘s Brew Pub and Restaurant – so, wie wir es heute erlebt haben, definitiv keine Empfehlung!
Dempsey‘s Brew Pub and Restaurant ist an Nicht-Spieltagen täglich ab 11:00 Uhr durchgehend geöffnet, beide Eingänge sind nutzbar; kein Ruhetag. An Spieltagen gilt ein anderer Zeitplan: Beginnt das Spiel erst um 19:05 Uhr, ist von 11:00 bis 15:00 Uhr allgemein geöffnet; ansonsten gilt, zwei Stunden vor Beginn des Spiels (13:35, 16:00 oder 19:05 Uhr) wird geöffnet, allerdings nur der Eingang vom Stadion aus; der Zutritt ist somit nur mit gültigem Ticket möglich. Zu erreichen ist das Pub in etwa zehn Minuten zu Fuß von der Inner Harbor Area, mit dem Auto (Parkplätze sind reichlich direkt vor der Tür, es ist ja der Stadion-Parkplatz) und mit der Light Rail, Haltestelle Camden Yards, direkt vor der Tür.
Dempsey‘s Brew Pub and Restaurant
333 W Camden Street
Baltimore
MD 21230
USA
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