Urban Village Brewing Company
Philadelphia
USA

Wenn das mal kein guter Start ist: Am 1. Juni erst hat die Urban Village Brewing Company eröffnet, vor gerade einmal dreieinhalb Wochen, und bei unserem Besuch heute sind wir rundum zufrieden. Chapeau!

Nachdem die Yards Brewing Company mit ihren ungewöhnlichen Öffnungszeiten uns nach den Last Orders freundlich hinauskomplimentiert hat, stehen wir in irgendwo im Nirgendwo in Philadelphia und haben noch keine Lust, zurück zum Hotel zu fahren. JEtzt noch groß Sehenswürdigkeiten anzuschauen, ist um 19:00 Uhr auch nicht mehr das Wahre, und so fragen wir die Cloud, ob es nicht vielleicht doch noch eine weitere Brauerei hier in der Umgebung gibt, die ich möglicherweise bei der Reiseplanung vor einigen Wochen übersehen habe. Und tatsächlich! Die Urban Village Brewing Company, spuckt mir mein schlaues Telefon aus. Nur eine Viertelstunde Fußweg entfernt. Auf geht es also!

Auf dem Weg dorthin überlege ich, wie es sein konnte, dass mir diese Brauerei bei der Planung unserer Reise durchgerutscht ist. Ihre Website sieht interessant aus, ihre Bierauswahl ebenfalls, und ihre Lage nicht weit weg von der U-Bahn prädestiniert sie doch gerade für einen kurzen Besuch.

Wir unterqueren die Metro-Linie, halten in der verpissten Unterführung für einen Moment die Luft an, und als wir auf der anderen Seite ankommen, hat sich die Szenerie völlig geändert. Statt eines eher wenig attraktiven Gewerbegebiets sind wir in einem recht ordentlichen Wohnviertel gelandet. Zwei, drei Ecken noch, und wir stehen vor einem komplett neu errichteten (naja, oder wenigstens von Grund auf renovierten) Gebäudekomplex, mit Wohnungen, kleinen Geschäften, Appartements, Büros und einem für amerikanische Verhältnisse gar nicht mal so ungemütlichen Innenhof. Zwar immer noch eine Orgie in Beton, in der die wenigen kleinen Bäumchen und Büsche ihr Dasein in bunten Kübeln fristen müssen, aber immerhin: Es ist sauber und ordentlich, und es ist farbenfroh.

Am Rand des Platzes sehe ich schon hinter großen, spiegelnden Glasscheiben ein Sudwerk glänzen, und als wir außenherum biegen, kommt ein kleiner Biergarten und dahinter ein großer Schankraum. Nicht alle Tische sind besetzt, aber dafür, dass es ein Sonntagabend ist und morgen wieder der Arbeitsalltag ruft, ist durchaus noch genug los.

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Urban Village Brewing Company

Wir gehen zwischen den Biergartentischen hindurch, an einem Raumteiler in Form von auf Europlatten drapierten Malzsäcken vorbei und setzen uns an einen kleinen Tisch am Fenster; nur wenige Sekunden später steht eine junge und sehr freundliche Kellnerin neben uns. Ein Dutzend verschiedene Biere könne sie uns anbieten, ob wir Beratung bräuchten?

Na klar, und zwar in allererster Linie mit Blick auf die verfügbaren Glasgrößen, ob es denn einen Tasting-Flight gebe, scherze ich. Sie schüttelt den Kopf. Nein, einen Flight gebe es nicht, aber die kleinste Glasgröße, die ich bestellen könnte, seien 4 oz, das sei so wenig, da könne ich mir quasi meinen eigenen Flight zusammenstellen, ob das so in Ordnung sei? Was immer 4 oz auch sind, ich zucke mit den Achseln. Zusammen mit Myanmar und Liberia sind die USA das dritte Entwicklungsland, das noch keine metrischen Maße eingeführt hat, und sie sind es definitiv nicht wert, dass ich mir die Mühe mache, die Umrechnung zu lernen. Aber ich vertraue der jungen Dame und bestelle eine erste Auswahl von drei Gläsern.

Meine holde Ehefrau hat derweil auf der Speisekarte Pizza entdeckt und strahlt. Kein Bier mehr heute, sie habe genug, aber eine kleine Pizza ginge auf alle Fälle noch.

Es dauert nicht lange, bis wir unsere Bestellung bekommen, und sowohl beim Zapfen als auch beim Pizzabacken in der zum Schankraum hin offenen Küche können wir zukucken.

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zwölf Hähne, aber ein Bier scheint gerade aus zu sein

Die Pizza ist lecker und knusprig, die Biere schmackhaft. Das Space Station Experimental Ale mit 5,4% macht den Auftakt. Was daran so experimentell ist, vermag ich nicht zu sagen, es ist ein schönes, helles, gut trinkbares, leicht hopfiges und ganz leicht phenolisches Bier. Ein schöner Durstlöscher. Das Land Down Under Hoppy Saison ist dann schon etwas spannender. 6,5% Alkohol, deutlich phenolische Noten der Saisonhefe und ein festes, kompaktes Aroma. Gefällt mir sehr gut. Ebenso wie das C.P.A., das Citra Pale Ale, das mit seinen 5,9% und einer fruchtigen Hopfenaromatik den Abschluss dieser ersten Probe darstellt. Drei sehr schöne Biere.

Entspannt lehne ich mich zurück, eigentlich sollte es für heute reichen. Ich beobachte meine Frau, wie sie ihre Pizza genießt, und irgendwie bekomme ich doch noch Appetit. Wider besseren Wissens bestelle ich mir eine Kleinigkeit, und zwar frittierte Fischbällchen. Lecker. Aber sie machen Durst. Und schon bin ich wieder in diesem kleinen Teufelskreis gefangen. Das Bier macht Appetit, das Essen macht Durst. Und so könnte es abwechselnd den ganzen Abend weitergehen…

Na gut, zwei kleine Probiergläschen dürfen es dann doch noch sein. 4 oz sind ja, wie sich gezeigt hat, wirklich nicht viel. Und so bekomme ich das Huntington Drive India Pale Ale, das mit 6,7%, einer kräftigen Hopfenbittere, einem soliden Malzkörper und einer schönen Ausgewogenheit zu überzeugen weiß. Klasse! Aber noch klasser… Nee, der Komparativ geht ja gar nicht, also lieber anders: Aber noch viel besser ist die letzte Bierprobe für heute, das Liquid Courage Belgian Golden, das auf Eichenholzchips gereift ist. Ein kräftiges Belgisches Gold, mit 8,6% Alkohol trumpft es auf, bietet leichte estrige Noten an, eine feine Malzcharakteristik, ein bisschen blumig, und das Ganze gepaart mit feinen holzigen Aromen, einem Hauch Vanille aus den Holzchips, und alles so harmonisch zusammenspielend, dass ich genießerisch die Augen schließe und gedanklich fünf Sterne vergebe.

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Huntington Drive India Pale Ale und Liquid Courage Belgian Golden

Die Stimme meiner Ehefrau holt mich zurück in die Realität. „So ein Genussbier will ich auch“, tönt sie und wirft ihren guten Vorsatz um, heute Abend keinen weiteren Alkohol mehr zu trinken. Jamie, unsere Kellnerin, hat den Dialog mitbekommen und eilt an unseren Tisch. Für den richtig großen Genuss hätte sie da noch etwas, flötet sie und empfiehlt das Tyson Imperial Stout. Und wirklich, das ist genau das, was meine Frau jetzt gesucht hat. Heftig im Alkohol zwar, mit immerhin 9,7%, aber mit komplexen Kaffee- und Röstaromen, einem mächtigen Malzkörper dahinter – ein Bier für winzige Probierschlucke.

Im Resultat bleiben wir wesentlich länger sitzen als eigentlich beabsichtigt, genießen in winzigen Schlückchen unsere letzten beiden, wirklich großen Biere und wundern uns, wie lange man sich mit 4 oz aufhalten kann. Von Jamie, die sich nun reizend um uns kümmert, erfahren wir, dass die Urban Village Brewing Company vor etwas mehr als drei Wochen erst aufgemacht habe, am 1. Juni, und dass es daher kein Wunder sei, wenn wir sie bei unserer Reiseplanung im Mai noch nicht im Internet gefunden hätten. Alles sei neu gemacht, viel Geld investiert und nur solide Handwerkskunst akzeptiert worden. Ob ich denn auch mal die Brauerei etwas näher betrachten wolle?

Das lasse ich mir natürlich nicht zweimal sagen, und Jamie öffnet mir die Glastür zum Sudhaus. Ein grundsolides Edelstahlsudwerk, mit einer sehr aufgeräumten Verrohrung. Die Ventile zum Steuern liegen in zwei Reihen übereinander, diagonal, wie mit dem Lineal ausgerichtet – der planende Ingenieur muss ein Ordnungsfanatiker gewesen sein. Darüber der Touchscreen, mit dem alle Parameter eingestellt werden können, und rechter Hand, ein paar Stufen tiefer, zwei Reihen von Gär- und Lagertanks. Ein paar etwas größere, für die Standardbiere, und ein paar kleinere, für die exotischeren Spezialitäten. Sehr schön, sehr ordentlich!

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Blick in den Gär- und Lagerkeller

Jamie hat noch eine Reihe von Empfehlungen für unsere weitere Zeit in Philadelphia – sie schreibt uns einen kleinen Zettel mit Tipps auf, einschließlich ein paar weiterer Brauereiadressen, und wir schließen nicht nur die kleine Brauerei hier, sondern auch Jamie in unser Herz.

Die beiden Starkbiere zum Abschluss beginnen aber, sich bemerkbar zu machen, und so langsam machen wir uns wieder auf den Weg zurück zum Hotel. Ein kleines Goldkörnchen haben wir hier entdeckt. Wenn das Niveau so bleibt, die Küche und die Biere so exzellent bleiben, wie sie sind, dann sollte die Urban Village Brewing Company wohl ein voller Erfolg werden. Wir wünschen es den Betreibern jedenfalls. Und unserer bezaubernden Bedienung Jamie ganz besonders!

Die seit 1. Juni 2017 betriebene Urban Village Brewing Company ist täglich von 11:00 Uhr bis Mitternacht durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Die zwölf angebotenen Biersorten umfassen ein paar reguläre Biere, aber auch einige Seasonals, also Biere, die regelmäßig wechseln. Die angebotene Glasgröße von 4 oz, knapp 120 ml, ermöglicht es, fast alle Sorten an einem Tag zu probieren. Zu erreichen ist die kleine Brauerei am besten mit der Metro, etwa dreihundert Meter südlich der Station Girard der MFL (Market Frankford Line).

Bilder

Urban Village Brewing Company
1001 N 2nd Street
Philadelphia
PA 19123
USA

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