„Merkwürdige Öffnungszeiten“, denke ich, als ich in Philadelphia in einem kleinen Café sitze und Cortana befrage, ob sich in unmittelbarer Nähe eine Brauerei befindet. Yards Brewing Company lautet die Antwort der elektronischen Stimme, „geöffnet noch bis 19:00 Uhr“.
Ein genauerer Blick: In der Tat, jeden Tag von 12:00 bis 19:00 Uhr. Ulkig!
Mit der Metro ist es nicht weit – gerade einmal zwei Stationen von der Liberty Bell entfernt, Richtung Nordosten, bis Spring Garden. Wobei der Name der Metro-Station viel mehr verspricht, als die Gegend halten kann. Spring Garden – Frühlingsgarten. Das klingt nach Blumenwiese, nach frischem Grün, nach Kleinstadtidyll. Stattdessen erwarten uns eine vollgepisste Unterführung, dilettantisch verlegte Betonplatten, rostige Maschendrahtzäune.
Drei, vier Minuten durch dieses Paradies, und dann stehen wir an einer sechsspurigen Straße und sehen gegenüber eine lange flache Halle: Yards Brewing Company. Große, grüne Ranken sind auf die Ziegelwand gemalt – offensichtlich eine gut gemeinte Auftragsarbeit von jemandem, der mit Bier und seinen Zutaten nicht viel zu tun hat: Stämmige, grüne Pflanzen mit Blättern, die die Form von Hopfendolden haben. Das ist das Resultat, wenn man jemanden bittet „Mal mal ein paar Hopfenranken!“, der noch nie Hopfen gesehen hat. Ach, egal, es ist der gute Wille, der zählt. Und „gut gemeint“ war immer schon das Gegenteil von „gut gemacht“.
Daneben steht TASTING ROOM. Im typisch amerikanischen Stil: Versalien mit Serifen. Darunter ein paar junge Leute.
Wir steuern auf die Tür zu, als uns ein junger Mann anspricht: Am Eingang gebe es eine kleine Gratis-Kostprobe vom neuesten Bier, einem Saison. Wir mögen bitte nicht einfach daran vorbeieilen, sondern sollten es unbedingt probieren. Und danach dann aber reingehen und uns durch den Rest des Angebots trinken.
Das lassen wir uns nicht zweimal sagen, empfangen brav je einen winzigen Plastikbecher und verkosten das Saison Summer Wheat. Ein kleiner Schluck aus der Flasche für jeden, ein leckeres Crossover, in dem die herb-phenolischen Aromen der Saisonhefe sich nett mit dem spritzigen Weizen paaren. Schmeckt süffig, hat aber mit 6,5% Alkohol eine gefährliche Stärke für ein Sommerbier…
Von hinten wird gedrängelt, und wir verlassen den Eingangsbereich, machen ein paar Schritte in die ziemlich volle Halle, und nur mit viel Glück ergattern wir in zweiter Reihe hinter der Theke zwei freie Stühle, die etwas unmotiviert mitten im Weg stehen. Meine holde Ehefrau versucht, sie freizuhalten, und ich schiebe mich zur Bar durch und bestelle einen ersten Tasting-Flight, den ich vorsichtig wieder zu unserem Platz zurück balanciere.
Der Auftakt ist vielversprechend. Ein India Pale Ale mit 7,0% (eigentlich viel zu stark für den Auftakt…) erweist sich als grundsolider Vertreter seines Stils, gefolgt von einem herrlich hopfigen Phila.Pale Ale mit 4,6%. Süffiger, besser trinkbar, noch aromatischer. Schön!
Das Extra Special Ale mit seinen 6,0% macht ebenfalls Spaß, ist rötlich-braun, malzig und die Hopfennoten leicht harzig. Und mit dem Brawler, dem Streithammel, und seinen 4,2%, einem gut trinkbaren, leichten und eher unauffälligen Bier, findet der erste Tasting-Flight, die Runde der Signature-Ales seinen Abschluss.
Wir sehen uns ein wenig in der Halle um. Bunt dekoriert, mit Etiketten, Reklametafeln, T-Shirts. Seit 1994 gibt es die Brauerei, sie gehört gewissermaßen schon zum Inventar der Stadt und bezeichnet sich dementsprechend auch als Philadelphia’s Hometown Brewery. Durch große Glaswände kann man in den Produktionsbereich sehen, sieht die großen Lagertanks und am Rand auch das Sudwerk. Alles in Edelstahl, kein besonderes Styling, nichts fürs Auge, sondern für die effiziente Produktion von leckeren Bieren.
Die Rockmusik aus den siebziger Jahren (Yeah! Das gefällt mir!) dröhnt, und ich muss die junge Dame an der Bar fast anschreien, um unseren zweiten Tasting-Flight zu bestellen, den Revolutionary-Flight. Die Biere haben nun spannendere, interessantere Namen, schmecken aber ähnlich gut wie die aus dem ersten Flight.
Den Auftakt macht General Washington’s Tavern Porter, 7,0% , dunkelbraune Farbe, schönes Röstaroma, gefolgt von Thomas Jefferson’s Tavern Ale, mit 8,0% noch stärker, goldgelb, kremiger Schaum, ein schön fülliges Bier, etwas zum Abbeißen.
Nach Militär (Wsahington) und Politik (Jefferson) folgt der Plebs, und Poor Richard’s Tavern Spruce unterstreicht dies mit seinem niedrigen Alkoholgehalt von 5,0%, der aber kompensiert wird von einem interessanten Aroma von Tannennadeln, offensichtlich sind im Spruce tatsächlich die kleinen Spitzen der Blautanne mit verbraut worden. Den Abschluss bildet das Love Stout. Kein Ereignis in Philadelphia ohne den Verweis auf die berühmte Skulptur LOVE von Robert Indiana. Mit Nitro gezapft, daher mit einem wunderbar weichen, kremigen Schaum. Nur leicht röstig, ein Hauch von Säure, leider mittlerweile ein wenig zu warm. 5,5% Alkohol.
Neun leckere Biere bisher, aber der Durst ist noch da – es waren ja auch alles nur homöopathische Mengen, winzige Verkostungsgläser. Mutig bestelle ich ein normal großes Glas einer zehnten Biersorte und wähle den Weizenbock mit Ingwer und Melasse, einem zähem Sirup, der bei der Zuckerproduktion abfällt. Mit 6,5% nicht allzu stark für einen Weizenbock. Die Ingweraromen und das an Rum erinnerte Aroma der Melasse paaren sich gut mit den Estern der Weizenbier-Hefe, das Ganze vor einem malzig-süßen Hintergrund fast ohne Hopfenaromatik – ein schönes Genussbier, das den Durst zwar auch nicht löscht, dazu ist es zu gehaltvoll, aber trotzdem einen sehr leckeren Endpunkt setzt.
Sehr zufrieden schieben wir uns durch die nach wie vor gut gefüllte Halle. Hinter uns ertönt ein Signal. Die letzten Bestellungen werden entgegengenommen, gleich, um 19:00 Uhr, ist Schankschluss. Man könnte noch ein Bombengeschäft machen, die Crowd ist gerade in bester und durstigster Stimmung, aber entweder will man sich bewusst ein wenig rar machen und den Spannungsbogen (den Durst…) bis zum nächsten Tag aufrechterhalten, oder man darf aufgrund irgendwelcher merkwürdiger rechtlicher Auflagen nicht länger.
Uns ist es gleich, wir sind für heute zufrieden.
Draußen, auf der kleinen Grünfläche (naja, fast ist es in der Sommerhitze schon eine Graufläche) vergnügt man sich noch in einer Art Biergarten; Bänke stehen herum und sind gut besetzt, davor spielt man Geschicklichkeitsspiele und lässt es sich gut gehen. Und auf der anderen Seite steht ein kleiner Street-Food-Truck und bietet Dr. Wutzit’s Wonder Balls an, eine deftige Stärkung und Grundlage für eigentlich noch viele weitere Biere.
An alles ist gedacht, alles stimmt. Dennoch heißt es offiziell: Schluss für heute!
Die 1994 gegründete Yards Brewing Company hat den Tasting Room in ihrer Produktionshalle täglich von 12:00 bis 19:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Es werden über ein Dutzend verschiedene Biere angeboten, von denen einige ständig durchrotieren. Kein großer Service, dafür gute Stimmung, laute Musik, dichtes Gedränge. Neue Biersorten werden mit kleinen Gratispröbchen beworben, und für den Hunger steht vor der Tür ein Street-Food-Truck bereit. Zu erreichen ist der Tasting Room in etwa drei, vier Minuten von der Metro-Station Spring Garden der MFL (Market Frankford Line).
Yards Brewing Company
901 N Delaware Ave
Philadelphia
PA 19123
USA
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