Nørrebro – ein Stadtteil Kopenhagens, der in den Ohren mancher gar keinen so guten Klang hat. Die einen mögen sich noch daran erinnern, dass es hier in den achtziger, neunziger und nuller Jahren immer wieder Krawalle und Straßenschlachten gegeben hat, die anderen schauen mit gemischten Gefühlen auf aktuelle soziale Spannungen aufgrund eines hohen Ausländeranteils und mahnen zur Vorsicht.
Ob das alles so stimmt, oder ob auch ein Gutteil Panikmache oder Sensationslust mit dabei ist – wer weiß? Während unseres Spaziergangs durch den Bezirk präsentiert sich Nørrebro jedenfalls von seiner allerbesten Seite.
Nun ja, fast jedenfalls, denn der gewaltige Regenschauer, der uns plötzlich erfasst, als wir den Straßendamm über den Sortedams Sø nach Nørrebro hinein entlanggehen, war so eigentlich nicht geplant. Zwar sind wir mit Schirm und Regenjacke ausgestattet, aber die Windböen, die den Regen unter Schirm und Jacke peitschen, hatten wir so nicht erwartet. Es scheint, als ob der Wind über dem Sortedams Sø so richtig Schwung holen kann, um uns vor sich her zu treiben.
Fast im Laufschritt und pudelnass erreichen wir somit Nørrebro, und als wolle er uns noch ein wenig extra provozieren, lässt der Regen schlagartig nach, als wir in die Ryesgade einbiegen und das Nørrebro Bryghus schon sehen können. „Na, dann können wir uns für unser Bier ja auf die Terrasse setzen“, scherze ich, aber die Blicke meiner holden Ehefrau treffen mich wie Pfeile. Der Spruch kam wohl gerade nicht gut an…
Wir betreten also das große Ziegelgebäude, tapfer ignorieren wir zunächst die gut einsehbar platzierte Brauerei linker Hand und suchen uns erstmal einen Tisch, an dem wir uns wieder trockenlegen können. Einen Schirmständer oder eine anständige Garderobe suchen wir vergeblich, als ob Kopenhagen die Stadt des ewigen Frühlings wäre, und so verstauen wir die klatschnassen Schirme und Jacken einfach unter dem Tisch.
Jetzt darf ich mir aber einen Blick auf das Sudwerk gönnen. Die Tische in der oberen Etage bieten einen herrlichen Blick auf Sudkessel und Maischebottich, auf Holzfässer und Gärtanks. Der gesamte Produktionsprozess kann vor hier oben gut eingesehen und Schritt für Schritt verfolgt werden. Sehr schön.
Ich bin so gefangen von diesem Brauereipanorama, dass ich völlig vergesse, mir Gedanken zu machen, was ich denn trinken möchte, und etwas ungeduldig schaut mich die junge Kellnerin an. Zum Glück gibt es ein Probierbrett mit vier kleinen Gläsern, und so ist die Auswahl schnell getroffen. Ähnlich leicht geht es beim Smørrebrød – hier bietet das Nørrebro Bryghus schon seitens der Küche ein Probierbrett mit drei verschiedenen Geschmacksrichtungen an. Da fällt die Bestellung leicht.
Viel Herzlichkeit strahlt sie nicht gerade aus, unsere Kellnerin, aber wenigstens dauert es nicht lange, bis das Bier kommt, und die kurze Wartezeit überbrücke ich gerne mit dem Blick auf die Brauerei und mit ein wenig Sinnieren über artgerechte Bierhaltung, stehen neben unserem Tisch doch lange Reihen bester Flaschenbiere nicht nur hinter großen Gitterwänden (völlig ohne Auslauf, die armen Biere), sondern um des Effekts willen auch noch von Scheinwerfen grell angestrahlt. Ich kann nur hoffen, dass diese Flaschen nur der Dekoration oder vielleicht einem Alterungstest dienen und nicht irgendwann noch in den Verkauf kommen.
Da kommt schon mein Probierbrett, und fleißig mache ich mich an die Arbeit. Den Auftakt macht das What The Fuck Is A Grisette, eine Art Saison. Lediglich 4,4% Alkohol, dafür aber kräftige, leicht phenolische Hefearomen, eine mittelstarke Hopfenbittere und ein nur leicht süßlicher Malzcharakter. Ein schönes, ausdrucksstarkes Bier für den Anfang. Es folgt das Ravnsborg Rød Red Ale, ein vollmundiges, leicht melanoidinig schmeckendes Rotbier mit 5,5%. Wie alle Rotbiere empfinde ich auch dieses als saturierend und rasch sättigend. Zwar schmeckt der erste Schluck interessant, aber dann habe ich rasch genug und bin nicht unfroh, dass es nur ein kleines Probierglas ist. Dieser Bierstil und ich – Freunde werden wir wohl nie.
Jetzt kommt auch das Verkostungsbrett mit dem Smørrebrød, und ich mache große Augen, wie weit die Interpretation eines Butterbrots gehen kann. Am Rande der großen Schieferplatte liegen ein paar Scheiben Vollkornbrot, aber sie scheinen weniger den Mittelpunkt der Mahlzeit (so wie es die reine Lehre eigentlich vorsieht), sondern lediglich ein Alibi für die drei Spezialitäten zu bilden: Ein großer Klecks Tartar, mit gerösteten Rote-Bete-Scheiben und etwas Estragon-Senf garniert und mit gemahlenen, getrockneten Tomaten überstäubt. Der zweite große Klecks besteht aus einer Art Gemüsesalat mit Geflügel, garniert mit einer hauchdünnen Scheibe Trockenfisch, Stangensellerie und Kräutern, und der dritte Klecks sind Krabben mit Rettichringen, Kräutern, Estragon-Senf und einem Schaum aus Blauschimmelkäse. Alle drei Brotbeläge (denn das sollen sie ja eigentlich sein) schmecken ausgezeichnet – es gibt aber auch nicht das Geringste zu bemängeln. Wunderbar!
Der dicke Burger, den sich meine Frau bestellt hat, kann da nicht mithalten. Zwar ist auch er ohne Fehl und Tadel, auf den Punkt gebraten und herrlich gewürzt, aber mit der Exotik der Smørrebrød-Beilagen kann er natürlich nicht mithalten.
Ich wende mich wieder den Bieren zu. Das Union Session IPA, ein wirkliches Trinkbier mit gerade mal 3,5% Alkohol, ist erfrischend, ein herrlicher und leichter Durstlöscher für heiße Sommertage, aber trotz seiner intensiven Hopfenaromen und seiner kernigen Bittere heute, bei Regen und zu dem hervorragenden Essen, etwas fehl am Platz. Das letzte Bier vom Brett, das King’s County Brown Ale, könnte mit seinem malzigen Charakter und seinen feinen Karamellnoten den Bogen zu einem imaginären Nachtisch schlagen, wenn … ja, wenn die Kapazität unserer Mägen einen Nachtisch zuließe. Aber sowohl Smørrebrød als auch Burger waren so reichhaltig, dass für ein Dessert jetzt kein Platz mehr ist.
Nur Flüssiges, das geht noch, und so bestelle ich mir zum Abschluss des Festmahls noch ein German Hops = Crop Tops Pilsner, ein hopfenbetontes, im Körper schlankes Bier mit einer feinen, grasig-kräuterigen Nase und einem trockenen Finish, bei – klassisch für ein Pils – 4,8% Alkohol.
Mittlerweile geht es auf 18:00 Uhr zu. Der Barbetrieb im Untergeschoss hat begonnen; hier in der oberen Etage sind ab jetzt alle Tische reserviert, heißt es. Die etwas spröden und unterkühlten Kellnerinnen kassieren ab und fordern uns auf, doch lieber nach unten zu gehen. Dazu haben wir nun aber keine große Lust – Stehbier und gute Laune hatten wir gestern in der dia’lεgd – Ølbar genügend, und so entschließen wir uns, aufzubrechen.
Ein letzter Blick noch auf die wirklich schön einsehbare Brauerei, die hier in diesem alten Ziegelbau hervorragend zur Geltung kommt, und dann geht es wieder hinaus auf die Straße – diesmal zum Glück ohne Regen.
Unser Fazit: Das Essen ausgezeichnet, die Biere solide, aber ohne dass wir jetzt einen echten Überflieger gefunden hätten, und der Service bietet, was die Herzlichkeit und Freundlichkeit anbelangt, durchaus noch Raum für Verbesserung.
Das Nørrebro Bryghus ist täglich ab 12:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Es ist ganz gut mit der Metro zu erreichen; ab der Station Forum geht man etwa 400 m in nördlicher Richtung.
Nørrebro Bryghus
Ryesgade 3
2200 København
Dänemark
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