Touristennepp? Auf den ersten Blick mag es schon so wirken…
Zum einen erwartet man in dieser Straße nichts anderes. Nur wenige Meter nördlich des Grote Markt, was soll hier schon sein? Hier, wo sich täglich tausende und abertausende Touristen hindurchschieben, herangekarrt in Bussen, Bahnen und Autos, und die dann in einer bunten Masse durch die Gassen gespült werden wie das Abwasser nach einem heftigen Regen durch die Brüssel Kanalisation. Und während unten in der Kanalisation die Ratten hoffen, dass ihnen ein besonders nahrhafter Brocken vor die Füße geschwemmt wird, sind es in den Gassen rund um den Grote Markt die Reinschnacker, die, mit Prospekten und Speisekarten in der Hand, unermüdlich in den Touristenstrom hineinspringen und glauben, ihnen etwas Besonderes bieten zu können.
Warum das funktionieren soll, habe ich noch nie verstanden – ich habe immer das Gefühl, wenn es ein Geschäft oder ein Restaurant nötig hat, einen Reinschnacker beschäftigen zu müssen, dann kann es wohl mit Qualität alleine nicht ausreichend punkten, muss irgendetwas kompensieren.
Außer auf der Reeperbahn, da ist es etwas anders.
Und zum anderen wirkt das Schaufenster völlig überladen. Ein farbenfrohes Sammelsurium von Dingen, die die Welt nicht braucht. Anscheinend völlig unsortierter Nippes und Kitsch.
Das Urteil über De Biertempel liegt also vorschnell auf der Hand: Touristennepp.
Und trotzdem gehe ich hinein. Ich kann ja gar nicht anders. Ich habe ein wenig Zeit, keinen festen Plan, und es geht um Bier. Fast wie von selbst lenken sich meine Schritte nach rechts, ich ignoriere die Kakophonie der Farben im Schaufenster und betrete den Verkaufsraum.
Ein heilloses buntes Durcheinander. Bierflaschen, Biergläser, Bierbücher, Biernippes, Bierkisten, Bierfässer, Bier-T-Shirts, Bierspiele, Bierflaggen, Bierkartons, Biertabletts – es gibt nichts, was es nicht gibt. Und zwischendrin immer wieder rosa Elefanten. Das Wappentier der Brouwerij Huyghe, die mit ihrem Delirium eines der bekanntesten Biere Belgiens produziert.
Langsam, ganz langsam strukturiert sich das Chaos vor meinen Augen aber, und ich realisiere, dass sich hinter der touristischen Fassade so manches kleine Schätzchen versteckt. In den Regalen stehen die Biere aus belgischen Brauereien. Gar nicht mal so chaotisch, sondern fein säuberlich sortiert und aufgereiht. Alle Trappistenbiere, zahllose Abteibiere, einiges aus eher industrieller Fertigung und mehr und mehr Biere von kleinen und Kleinst-Brauereien. Nach eigenen Angaben des Ladens über 600 Sorten, was ich nicht bezweifeln mag.
Die vielen Geschenke und Souvenirs dazwischen: Es ist viel Tand dabei, aber auch Sinnvolles. Die zu den jeweiligen Bieren passenden Gläser, die aus jedem ordentlichen belgischen Biercafé auch gleich eine umfassende Bierglassammlung machen, sind Bestandteil der hiesigen Bierkultur. Kein Belgier käme auf die Idee, beispielsweise ein Chimay-Trappistenbier in einem Orval-Glas zu servieren, oder, schlimmer noch, einer Pilstulpe. Und so findet sich hier im Biertempel auch eine gewaltige Auswahl an originalen und originellen Biergläsern.
Mich zieht es heute zu den Büchern hin. Bierflaschen kann ich im Flieger später nicht mitnehmen – der Koffer ist randvoll, und ins Handgepäck dürfen die Flaschen nicht. Aber Bücher lassen sich immer irgendwo noch in den Rucksack quetschen. Und siehe da: Die Auswahl ist gar nicht so schlecht, und als ich mich schließlich für ein Buch über die Trappistenbiere Belgiens und der Welt entschieden habe und feststelle, dass das Ansichtsexemplar schon ein paar Eselsohren aufweist, ist es für die nette Dame an der Kasse das Selbstverständlichste der Welt, den Schrank zu öffnen und nach einem unbeschädigten Exemplar zu suchen.
Ganz und gar kein Touristennepp also, sondern freundlicher und hilfsbereiter Service.
Ob ich jetzt wirklich eine der eher seltenen Bierspezialitäten kaufen würde, wenn die Flasche im Schaufenster gestanden hat und schon wochen-, vielleicht monatelang von der Sonne beschienen worden ist, sei einmal dahingestellt – man kann einem Fachgeschäft aber schlecht vorwerfen, dass es sein Schaufenster mit dem dekoriert, was es auch verkauft, in diesem Falle also mit Bier. Orthopädische Schuhe oder Tuning-Zubehör für Dieselmotoren würden als Blickfang im Biertempel doch eher als unpassend empfunden werden, nicht wahr?
In den Regalen im Innern verbirgt sich das eine oder andere Schätzchen, und die Preise sind zwar relativ hoch, aber das sind sie in Brüssel überall. Das hat wenig mit Touristennepp zu tun, sondern eher mit einem durch die vielen internationalen Organisationen in dieser Stadt verdorbenen allgemeinen Preisniveau.
Mein frisch erworbenes Buch unter dem Arm spaziere ich noch ein wenig zwischen den Regalen hin und her, amüsiere mich über den Einfallsreichtum der Bierwerbemittelhersteller, begebe mich gedanklich auf eine Reise von einer Brauerei zur nächsten oder stelle mir vor, wie ich eine Flagge mit einem überdimensionierten rosa Elefanten bei mir im Garten hissen werde…
Nein, De Biertempel ist kein Touristennepp. Es ist ein netter kleiner Laden, in dem es alles gibt, was man sich rund ums Bier vorstellen kann. Ein buntes Sammelsurium von Bierwerbemitteln, aber auch eine gewaltige Auswahl an Bieren aus dem ganzen Land. Und schließlich hat auch der größte Kitsch irgendwie seine Daseinsberechtigung. Würde ihn niemand, wirklich absolut niemand kaufen, dann gäbe es ihn nämlich nicht. Irgendwo auf der Welt wartet ein Japaner, US-Amerikaner oder Neuseeländer genau auf diesen Flaschenöffner in Tirolerhut-Form oder jene Kerze in Bierglasform, die ihm in seiner Sammlung noch fehlt und den Partykeller nun endlich komplett macht.
De Biertempel ist täglich von 10:00 bis 19:00 Uhr geöffnet; außer Weihnachten gibt es keinen Ruhetag. Zu erreichen ist er bequem zu Fuß; er liegt mitten im Zentrum der Stadt, nur wenige Schritte nördlich des Grote Markt.
De Biertempel
Grasmarkt 56b
1000 Brussel
Belgien
Hallo Volker,
so habe ich den Laden auch eingeschätzt, der erste Eindruck war der gleiche wie bei dir, doch als ich bis anfing zu stöbern, viele interessante Biere und Gimmicks.
Etwas teurer als üblich, aber mit vielen interessanten belgischen Bieren die ich selten bis nie in „meinem“ Bierladen in Arlon finde.
Wir waren dieses Jahr während den Osterferien ein paar Tage mit den Kindern in Brüssel und haben uns ein paar Flaschen zur Verkostung abends im Appartement mit genommen.
Ich wünsche dir noch schöne Tage in Brüssel und viele neue Bierentdeckungen.
Hallo, Claude,
Herzlichen Dank für Deinen Kommentar – ich freue mich, dass ich mit meinem Empfinden nicht alleine bin. Wir alle sind immer wieder von Vorurteilen geprägt, und so bin froh, dass ich sie überwunden und den Laden betreten habe!
Leider bin ich schon nicht mehr in Brüssel, sondern arbeite meine Erlebnisse der letzten Woche auf, trotzdem aber danke für Deine Wünsche – schöne Tage und viele neue Bierentdeckungen habe ich in der Tat gehabt.
Mit bestem Gruß,
VQ