Die Altstadt von Valencia – gibt es etwas Schöneres, als sich hier ziellos durch die Gassen des historischen Stadtkerns treiben zu lassen? Mal hier abbiegen, mal dort, immer wieder etwas Neues entdecken: Ein kleines, gemütliches Café, ein wunderschönes Fotomotiv oder einen romantischen Winkel mit einer Bank im Schatten.
Beachten muss man dabei eigentlich nur zwei Dinge: Erstens sollte man aufpassen, dass man in diesem Labyrinth nicht verloren geht (was im Zeitalter von GPS mittlerweile aber kein echtes Problem mehr darstellt). Und zweitens sollte man dem Wagen der Stadtreinigung in großem Bogen ausweichen – wird man von ihm in einer schmalen Gasse gestellt und hat keine Möglichkeit, sich in einen Hauseingang oder irgendwo um die Ecke zu flüchten, wird man gnadenlos vom scharfen Wasserstrahl erwischt, zwar nicht zusammen mit dem Unrat vor die rotierenden Bürsten gespült, aber doch gut durchgeweicht.
So haben wir es denn auch der Flucht vor eben diesem Stadtreinigungswagen zu verdanken, dass wir in die Calle Moro Zeit geflitzt sind, eine eher graue Gasse, die uns sonst vielleicht nicht allzu sehr animiert hätte, hier entlang zu gehen. Dann hätten wir, trotz des davorstehenden türkisfarbenen Fahrrads, auch das winzige Schaufenster nicht gesehen mit dem kleinen, lindgrünen Schriftzug Cerveses Artesanes. Und wirklich etwas verpasst, denn seit Anfang des Jahres befindet sich hier das kleine Biergeschäft Llúpol Celler Cerveses, ein winziger Bottleshop mit Schanklizenz.
Zugegeben, der erste Eindruck ist etwas nüchtern. Graue Bodenplatten, halbhoch geflieste Wände, davor simple, aber robuste Regale. Ansonsten sind Wände und Decken weiß. Keine barocke Deko, keine bunten Biergimmicks überall, sondern einfach nur die Regale. Und zu allem Überfluss zwischen den Regalen auch noch reichlich Platz für Zuwachs – Platz, auf dem die weißen Wände noch ganz besonders kahl wirken. Minimalismus pur. Hat so ein bisschen was von einer Junggesellenbude. Alles, was funktional ist, findet Platz, anderes braucht man nicht. Meine holde Ehefrau würde hier vermutlich erstmal anfangen, Gemütlichkeit reinzubringen, käme mit Körben voller buntem Plunder und wäre ein, zwei Tage lang beschäftigt. Dann sähe es wärmer und gemütlicher aus, hätte vermutlich aber auch seinen Junggesellenbudencharakter völlig verloren.
Ich persönliche finde es gar nicht so schlecht. Form follows function. Das wichtigste ist doch: Hier gibt es Bier! Und zwar nicht nur in Flaschen zum Mitnehmen, sondern auch vom Fass. Hinter der kleinen Theke mitten im Raum ist eine Zapfanlage mit drei Hähnen, daneben hängt eine kleine, schwarze Tafel, und der Barmann trägt gerade gewissenhaft die angebotenen Biersorten ein.
Geduldig sehe ich ihm zu und lasse mich überraschen, was ich wohl gleich werde bestellen können. Ich nutze die Zeit und sehe mich noch ein wenig um.
In einem Regal sehe ich ein paar belgische Biere, sogar eine Oude Gueuze aus der Gueuzerie Tilquin, und thematisch passend, wenn auch aus einer völlig anderen Region kommend, stehen hier auch ein paar Flaschen authentisches Trappistenbier aus … den Vereinigten Staaten von Amerika. Spencer – die einzige amerikanische Trappistenbrauerei, vor wenigen Jahren erst gegründet. Im Gegensatz zu den europäischen Trappistenbrauereien fokussiert sie sich nicht fast ausschließlich auf schwere und komplexe, malzige und süßliche Biere, sondern präsentiert sich mit einem zwar ebenfalls alkoholstarken, dafür aber kernig hopfenbetonten India Pale Ale. Ein Exot unter den (relativ wenigen) Trappistenbieren, und in Europa gar nicht so einfach zu bekommen. Hier in Valencia, in diesem unscheinbaren Lädchen, anscheinend aber schon.
Mittlerweile erstrahlt die kleine schwarze Tafel in neuem Glanz. Neugierig lese ich, was es gibt, und entscheide mich für ein leichtes Blonde Ale von Espiga aus der Nähe von Barcelona. Ein schönes, frisches und hopfiges Bier mit einem angenehmen und fruchtig-runden Malzkörper dazu. Ein Hauch belgischer Atmosphäre in diesem katalanischen Bier, und das bei gerade einmal 4,5% Alkohol.
Ich lobe das Bier, und auf der anderen Seite der Theke beginnt ein Augenpaar zu strahlen. Wie sich herausstellt, stammt Foll, der Besitzer und Barmann des kleinen Lädchens, aus der Region und freut sich ganz besonders, wenn mir ein katalanisches Bier schmeckt.
Außer mir ist gerade kein weiterer Kunde im Laden, und so haben wir Zeit für ein Gespräch, entdecken rasch, dass wir beide auf einige Jahre Hausbrauerfahrung zurückblicken. So richtig überzeugend seien seine Biere nicht gewesen, lacht Foll, und deswegen sei es wohl besser, er führe diesen kleinen Laden, anstatt sich weiterhin vergeblich an ausgezeichneten Bieren zu versuchen. Ich pflichte ihm bei – gerade in der letzten Zeit seien viele kleine Brauereien entstanden, die gar nicht so gute Biere brauen, und da sei eine gewisse Selbsterkenntnis sicherlich prima. Und schließlich seien es auch die Distributionskanäle, also die winzigen Geschäfte, die der Szene noch fehlen. Experimentierfreudige Brauer findet man mittlerweile reichlich, aber ihre Produkte sind oft nur mit Schwierigkeiten zu bekommen – da ist jedes einzelne Fachgeschäft, das hinzukommt und ein spannendes Bierangebot hat, zu begrüßen!
Hugh, ich habe gesprochen. Nach dieser mutigen Marktanalyse gönne ich mir ein weiteres Bier, und Foll schenkt mir ein India Pale Ale, das Comrade Games IPA der Brauerei Moor aus Bristol ein. Mit 6,0% schon deutlich kräftiger als das Bier von Espiga, und vom Charakter her völlig anders. Harzige, erdige Hopfennoten prägen den Charakter. War das Blonde Ale ein spielerisches Bier, einem warmen, sonnigen Frühlingstag gleich, kommt das Comrade Games eher wie ein herbstlicher Oktobertag daher. Feuchtes Laub, Nässe hängt in der Luft, es riecht nach Wald. Durchnässt und etwas verfroren nimmt man sich dieses eher schweren Biers dann gerne an.
Mittlerweile füllt sich das Geschäft. Ein paar Kunden kaufen Flaschen zum Mitnehmen, andere bleiben an der Theke hängen und trinken erstmal was. Es wird laut in dem kleinen Laden und schwieriger, ein zusammenhängendes Gespräch zu führen. Es reicht noch, den alten Vinylplattenspieler neben der Theke zu entdecken und zu bedauern, dass wir keine Zeit gefunden haben, ein paar Songs aus den guten alten Zeiten zu hören – aus unserer Jugend, Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger.
Das kleine Holzregal über dem Plattenspieler birgt dann auch noch eine echte Überraschung zum Abschluss: Fast versteckt zwischen ein paar Gläsern mit Malz, so ziemlich der einzigen zweckfreien Deko in diesem Geschäft, steht eine kleine Flasche Thomas Hardy’s Ale, und zwar aus dem Jahr 1975! Über vierzig Jahre alt und selbstverständlich noch voll. Vorsichtig nehme ich sie einmal in die Hand, halte sie gegen das Licht. Es bedarf bestimmt einer ganz besonderen Gelegenheit, um diese Flasche irgendwann einmal zu öffnen und zu genießen. Heute, an einem x-beliebigen Arbeitstag, aber ganz gewiss nicht, zwinkert mir Foll zum Abschied noch zu.
Das kleine, aber sehr gut sortierte Bierfachgeschäft Llúpol Celler Cerveses ist dienstags bis sonnabends von 11:00 bis 14:00 Uhr und von 17:00 bis 21:00 geöffnet; sonntags und montags ist Ruhetag. Neben den Flaschenbieren zum Mitnehmen gibt es auch einige Flaschen vorgekühlt, die man vor Ort trinken kann, und drei regelmäßig wechselnde Fassbiere. Geographischer Schwerpunkt der Bierauswahl ist – natürlich? – Spanien. Zu erreichen ist das Geschäft am besten mit dem Stadtbus, Linie 73; die Haltestelle Carda – Moro Zeit ist etwa 50 m südlich des Lädchens.
Llúpol Celler Cerveses
Moro Zeit, 2
46001 Valencia
Spanien
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