Deutschlands Biertrinker behaupten häufig, Deutschland sei das Bierland schlechthin. Man habe den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Bier, den größten Bierausstoß, die höchste Anzahl an Brauereien.
Nichts ist mittlerweile falscher als das.
Was den Pro-Kopf-Bierkonsum anbelangt, zeigen uns eigentlich schon immer unsere ostwärtigen Nachbarn, die Tschechen, wo der Hammer hängt und trinken ganz nebenbei fast anderthalb Mal so viel wie die Deutschen. Und selbst die Österreicher sind unlängst an Deutschland vorbeigezogen.
Den größten Bierausstoß? Den finden wir natürlich in China. Bei mehr als einer Milliarde Menschen ist ein gewisser Grundumsatz ja geradezu garantiert. Auch wenn das chinesische Alltagsbier unserem Geschmack nicht entsprechen mag – es ist Bier, und der Ausstoß zählt. Dann kommen die USA, dann Brasilien, und dann endlich Deutschland.
Und bei der Anzahl der Brauereien? Mit rund 1400 Brauereien hat Deutschland richtig viele offizielle Braustätten. Nun ja, die USA haben – mittlerweile – deutlich mehr, mit rund 5000. Aber, wer hätte das gedacht, ausgerechnet die Briten laufen uns in Europa den Rang ab und können mit sage und schreibe 2000 Brauereien auftrumpfen.
Das war aber nicht immer so – noch 2010 gab es im Vereinigten Königreich nur etwa 800 Brauereien, und gehen wir weiter zurück, so schrumpft die Zahl und wird noch niedriger.
1999, als das Buch Country Ales & Breweries von Roger Protz (Text) und Steve Sharples (Fotos) entstand, war die Bierszene in Großbritannien noch überschaubar und beschaulich, und ein kleines Büchlein wie dieses konnte mit Fug und Recht von sich behaupten, zwar keinen vollständigen Überblick über alle Brauereien geben zu können, aber doch wenigstens einen umfassenden. Und zwar, wie der Titel eindeutig beschreibt, einen über die Brauereien auf dem Land und ihre Biere.
Das ungewöhnliche Querformat und der weiche Einband machen die Handhabung des Buches etwas unkomfortabel – es im Stehen in der S-Bahn zu lesen, ist sicherlich eine Herausforderung. Lappig hängt es links und rechts herunter, will mit beiden Händen gehalten oder auf dem Tisch abgelegt werden.
Einen Vorteil bietet dieses Format erst, wenn es um die Bilder geht. Panoramafotos, die, teilweise über die ganze Seite gehend, den Charakter der jeweils besuchten Brauerei hervorragend einfangen. Sei es die alte Backsteinfassade, sei es ein uralter, hölzerner Maischebottich oder ein hypermodernes, auf Hochglanz poliertes Edelstahlsudwerk. Steve Sharples gelingt es, das Spezifische eine jeden besuchten Brauerei festzuhalten und in eindrucksvollen Bildern im durchgehend farbigen Buch auf glänzendem Papier zu präsentieren.
Liegt es daran, dass wir heute, fast zwanzig Jahre nach Erscheinen des Buchs, von den kontrastreichen, oft geduldig am Computer nachbearbeiteten Fotos, die uns im Internet begegnen, verwöhnt sind, oder warum wirken einige der Bilder bleich und blass und lassen etwas Brillanz vermissen? Schöne Bildausschnitte, interessante Perspektiven, beeindruckende Panoramen – aber gelegentlich wirken sie wie mit einem überlagerten Farbfilm der sechziger Jahre geknipst.
Kombiniert werden die Bilder durch kurze, deskriptive Texte des bekannten Bierautors Roger Protz. In schmalen Textspalten neben den Bildern, in dünner Serifenschrift und ziemlich klein gedruckt, finden sich hier Fakten zur Entstehung und Geschichte der jeweiligen Brauerei, ein paar Worte zu den hier gebrauten, typischen Bieren und ein wenig Hintergrundinformation. Ein etwas kontrastreicherer Druck oder eine kräftigere Schrifttype hätten die Lesbarkeit allerdings deutlich verbessert.
Gegliedert ist das Buch nach Regionen und wird so zu einem recht gut nutzbaren Reiseführer. Nach einem ausführlichen Vorwort, das die Geschichte des britischen Ales umreißt, und einer in ihrer extremen Kürze leider nicht wirklich hilfreichen Beschreibung des Brauprozesses läutet Protz jedes Kapitel separat mit einem kurzen Text zur betrachteten Region ein, stellt heraus, welche Bedeutung gerade diese Region für die britische Bierszene hat, und beginnt dann mit der Vorstellung der Brauereien. Neun regionale Kapitel beschrieben England, Schottland und Wales – und es bleibt offen, ob es in Nordirland keine Country Ales & Breweries gibt, oder ob die Autoren es nicht für wert befunden haben, diesen Teil des Vereinigten Königreichs mit zu betrachten.
Jede Brauerei bekommt eine oder gar eine Doppelseite; dominiert vom Bildmaterial, während die erläuternden Texte sich an den Rand quetschen.
Es schließt sich eine recht simple Übersichtskarte (ohne Nordirland…) an, die alle beschriebenen Brauereien verortet, gefolgt von einem Adressverzeichnis. Abschließend wenden sich Fotograf und Autor noch einmal mit ein paar persönlichen Worten an die Leser; irritierend, dass der Fotograf Steve Sharples seinen Kodak E100SW Film für dessen Farbsättigung und Wärme lobt…
Etwas haltlos findet sich auf der letzten Seite vor dem Index ein Bild nebst Beschreibung von einem kleinen Häuschen, in dem Hopfen getrocknet wird. Es ist keine Brauerei, hat also keinen Platz im Hauptteil des Buchs gefunden, sollte aber wohl trotzdem wegen seiner Einzigartigkeit aufgenommen werden. Nun – eine Integration in das passende Regionalkapitel, versehen mit einer kleinen Anmerkung, hätte sicherlich nicht geschadet und diesen kleinen Bericht nicht, so wie nun, als Fremdkörper wirken lassen.
Sei’s drum.
In der Summe trotzdem ein nettes Buch, das uns die britische Brauereiszene zum Ende des letzten Jahrhunderts nahebringt.
Roger Protz & Steve Sharples
Country Ales & Breweries
Weidenfeld & Nicolson
London, 1999
ISBN 0-297-83625-0
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