Zu früh zu sein, ist auch eine Form der Unpünktlichkeit, schießt es mir durch den Kopf, und ich erinnere mich an frühere Zeiten, als es in der Deutschen Botschaft hieß: „Du kannst gerne zu spät zu einem Empfang kommen, dafür gibt es tausend Gründe. Stau, Panne, Erkrankung, Schießerei und Raubüberfall. Aber sei niemals zu früh, denn damit desavouierst Du Deine Gastgeber.“
Nun, es geht jetzt gerade nicht darum, zu desavouieren, aber ein bisschen doof ist es schon, vom freundlichen Kellner beschieden zu werden, dass wir zu früh dran seien. Eigenes Bier gebe es doch noch gar nicht…
Es ist vielleicht eine Woche her, dass ich im tschechischen Online-Portal Pivní Obzor, der Bier-Rundschau, die Schlagzeile gelesen habe: „Nový pivovar v Jílovišti u Prahy“ – „Eine neue Brauerei in Jíloviště bei Prag“. Fein – am Sonnabend fahren wir sowieso an Prag vorbei, dann wird das doch die perfekte Gelegenheit sein, dort einzukehren und als einer der ersten das dort gebraute Bier zu trinken.
Und so fahren wir frohgemut von der Autobahn ab, fünf Minuten nur in südlicher Richtung, und schon rollen wir auf den Parkplatz des Hotel Palace Cinema. Leuchtend gelb begrüßt uns die Fassade, frisch renoviert, und wir haben den Eindruck, dass nicht nur die Brauerei, sondern der gesamte Komplex gerade erst renoviert und frisch eröffnet worden ist. Und in der Tat: Auch das Hinweisschild an der Zufahrt verkündet stolz: „Restaurace nově otevřeno“ – „Restaurant neu eröffnet“.
Rasch ist der Wagen auf dem Parkplatz abgestellt, und wir nähern uns dem Hintereingang, nehmen die Abkürzung über die Rampe für den behindertengerechten Zugang und stehen schon mitten in einer Art Wintergarten. Einfache Holzmöbel, weiße Wände, bunt mit Filmplakaten und Bildern beklebt, ebenso die Säulen, die eine Decke aus Milchglas tragen. Hell und farbenfroh ist alles – fast schon erinnert uns der Raum an ein Spielzimmer in einer Kindertagestätte. Ein netter Platz, um auch in der dunklen Jahreszeit ein wenig Licht zu bekommen und hier gemütlich sein Bier zu trinken.
Wir wollen aber nicht nur das Bier probieren, sondern auch etwas essen, und so gehen wir die drei Stufen vom Wintergarten in das Restaurant hoch. Nur ein paar Schritte, aber eine völlig andere Atmosphäre. Stilvoll und gediegen. Ledermöbel und Wandverkleidungen in dunklem Rotbraun, weiße Tischdecken, die Wände und Decken weiß mit pastellgrünen Strukturen. Elegant.
Wir suchen uns eine etwas abgeteilte Ecke, nehmen Platz und studieren die Speisekarte. Klassische böhmische Küche, dazu ein paar internationale Gerichte. Der freundliche Kellner kommt und fragt uns zunächst nach unseren Getränkewünschen. Während meine holde Ehefrau ab jetzt das Steuer übernehmen wird und sich deshalb auf Früchtetee beschränkt, frage ich, welche Sorten Bier es denn schon aus eigener Produktion gebe.
Etwas kleinlaut druckst der Kellner herum. Also, man habe schon ausgezeichnete Biere im Angebot, sagt er, aber aus eigener Produktion seien die leider noch nicht. Die Brauerei stünde zwar schon dort, ich hätte sie doch sicherlich gesehen, gleich rechter Hand zwischen Wintergarten und Restaurant, und gebraut habe man auch schon, allein, das Bier sei noch nicht fertig, sondern reife noch in den Tanks. Gute zwei Wochen müsse ich mich wohl noch gedulden, und derzeit plane man, am 11. November das erste Fass anzuzapfen.
Ein bisschen enttäuscht sind wir nun schon. Da hatten wir uns Hoffnung gemacht, als eine der ersten das Bier aus Jíloviště zu probieren, und dann das…
Die Alternative, die uns angeboten wird, ist aber auch interessant. Kein Industriebier, kein seelenloses Massenprodukt, sondern ein feines American Pale Ale, ein Zwölfer, also ein Bier mit 12° Stammwürze. Callista 12° APA heißt es, und es stammt aus der Pivovar Trilobit s.r.o., einer noch recht neuen, kleinen Prager Handwerksbrauerei.
Na bitte, so komme ich wenigstens in den Genuss eines Biers aus einer Brauerei, von deren Existenz ich noch gar nichts wusste. Klar, dass Name und Adresse blitzschnell notiert werden, und auch die Tatsache, dass Trilobit einen eigenen Taproom hat (allerdings nicht direkt bei der Brauerei), entgeht mir nicht. Da haben wir doch schon wieder einen schönen Anlaufpunkt für unseren nächsten Prag-Besuch!
Wir fokussieren uns heute also mehr auf das deftige Essen, als auf die komplett neue Biererfahrung. Der Rinderbraten ist zwar ein wenig zäh, dafür sind die tschechischen Knödel und die Soße dazu ein Gedicht, und auch die Nudeln mit offensichtlich selbst gesammelten Wildpilzen sind ausgezeichnet. Das Callista dazu erfrischt, und so ist es dann wenigstens eine angenehme Rast, bevor wir die letzten zweieinhalb Stunden Fahrt angehen.
Und die Brauerei? Ein wenig schmucklos, aus einfachem Kupfer gedengelt, leicht verbeult steht sie da. Im Gegensatz zum Rest des Hotels und Restaurants folgt das Sudwerk eher dem Motto „form follows function“, macht kein Gewese aus seinem Äußeren, sondern ist einfach nur klein und zweckmäßig. Fast wie ein Fremdkörper wirkt es, und eigentlich wäre ich jetzt wirklich neugierig, wie das Bier aus dieser kleinen Anlage schmeckt. Na, vielleicht beim nächsten Mal, wenn ich erneut die D1 entlangbrause und auf Höhe des Prager Rings Zeit und Lust für einen kurzen Abstecher habe.
Das Restaurant und die Bar im Hotel Palace Cinema sind täglich von 11:00 bis 22:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Zu erreichen ist das Hotel komfortabel mit dem Auto, ausreichend Parkplätze sind vorhanden. Alternativ bleibt nur noch der Bus, die Linien 318 und 449 von Prag halten in etwa 200 m Entfernung an der Haltestelle Jíloviště -U Mostu.
Hotel Palace Cinema s.r.o.
Všenorská 45
252 02 Jíloviště
Tschechien
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