Lervig Aktiebryggeri
Stavanger
NOR

Lervig – eine Brauerei mit Kultstatus in der neuen Bierszene. Exotische Biere, spannende Kollaborationen, präsent auf allen wichtigen Bierfestivals der Welt. Vorreiter der Bierrevolution. Doch wer weiß schon, dass die Lervig Aktiebryggeri 2003 eigentlich als reine Lagerbier-Brauerei gegründet worden ist? Oder besser: Wer will das heute noch wissen?

Ich stehe am frühen Abend, kurz vor sieben Uhr vor dem Brauereigebäude im Regen. Natürlich im Regen. In Stavanger regnet es immer. Im Sommer ist der Regen etwas wärmer, im Winter ist er etwas kälter. Nass ist er immer. Auf sieben Uhr habe ich mich mit Trine Salvesen hier verabredet. Sie ist Ølambassadør der Brauerei und zuständig für die Organisation von Bierfestivals (beziehungsweise Lervigs Teilnahme daran), für Öffentlichkeitsarbeit und für Brauereiführungen.

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gemalte Hopfenranken an der Hallenwand – die Brauerei lädt ein

Vor dem Brauereieingang ballt sich eine Meute junge Männer – ob die sich auch die Brauerei anschauen wollen? Gerade als ich hinüber gehen will, um sie zu fragen, öffnet sich hinter ihnen die Tür, Trine kommt heraus und bahnt sich einen Weg durch die Gruppe. „Hallo, Volker, schön dass Du da bist.“ und: „Stör‘ Dich nicht an den Jungs. Die haben an unserer Brauerei kein Interesse. Aber wir haben offensichtlich mal wieder einen besonderen Pokemon im Innenhof, der sie anlockt“, lacht sie.

Wir betreten die große Halle, und Trine führt mich als erstes zu einem Kühlschrank in einem Seitenraum. „Ich erzähle Dir mal ein bisschen was über die Brauerei, bevor wir rumlaufen, aber damit das nicht so trocken ist, probierst Du erstmal unser Bier.“

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No entry? Heute gilt dies nicht für mich!

Sie öffnet zwei Dosen und entschuldigt sich, dass sie leider nur Plastikbecher zur Verkostung hat. Dose Nummer 1 enthält das Supersonic Double IPA, laut Dosenaufschrift „more than double-hopped with Citra”. Immerhin 8.5% Alkohol warten auf mich. Sie gießt mir einen großzügigen Schluck in den Becher und lässt mich zunächst daran schnuppern. Eine Wolke von Fruchtaromen betört meine Nase.

Während ich noch schnuppere, erzählt Trine mir von den Anfängen der Brauerei. „Es hat alles 2003 angefangen, als Carlsberg die letzte Brauerei in dieser Region übernommen hat und die Produktion nach Oslo verlagerte. Das vor Ort gebraute Bier Tou, ein einfaches Pilsner, verschwand dann gewissermaßen vom Markt, und das haben die Menschen hier überhaupt nicht gut gefunden.“

In kürzester Zeit habe sich ein Investor gefunden, so erzählt Trine weiter, der das ändern wollte. Stavanger brauche doch schließlich sein eigenes Bier. Und so wurde die Lervig Aktiebryggeri gegründet, als Lagerbierbrauerei, die die Lücke schließen sollte, die das verschwundene Tou-Bier gerissen hatte. Zunächst sei das Bier noch bei Mack in Tromsø gebraut worden, ab 2005 dann aber hier.

Ich nehme einen ersten Schluck von meinem Bier. Ein kräftiger Körper, robust und malzig, aber vom vielen Hopfen auch kernig bitter. Schön ausbalanciert, und die 8,5% Alkohol sind so perfekt maskiert, dass ich sie beim besten Willen nicht spüre. Ein ganz hervorragendes Double IPA – das würde ich wohl gerne jederzeit verfügbar haben. Gedanklich verleihe ich ihm fünf Sterne, vielleicht nicht ganz unbeeinflusst von der angenehmen Atmosphäre und dem netten Gespräch mit Trine, aber ganz sicher auch, weil es in der Tat ein Spitzenbier ist.

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eine kleine Verkostung zum Auftakt

„Ab 2005 wurde hier also in relativ großem Stil Lagerbier gebraut“, fährt Trine fort und schenkt mir das Bier aus Dose Nummer 2 ein: Tasty Juice, ein „double hopped Citra India Pale Ale“ mit 6,0% Alkohol. Erneut faszinieren mich die kräftigen Fruchtaromen, wenn sie auch nicht ganz so theatralisch auftreten, sondern eher dezent die Nase umschmeicheln.

„Erst 2010 änderte sich etwas an der Grundausrichtung der Brauerei. Das war das Jahr, in dem der Amerikaner Mike Murphy hier als Head Brewer anfing.“ Trine erzählt und erzählt. Ich fühle mich hin- und hergerissen zwischen den spannenden Geschichten und Anekdoten aus der Brauerei, die sie so lebhaft schildert, als seien wir beide dabei gewesen, und dem leckeren Bier. Etwas schlanker, etwas frischer als das Supersonic tritt das Tasty Juice auf.

„Er begann, mit neuen Stilen zu experimentieren, neue Sorten auf den Markt zu bringen. Das war genau der richtige Zeitpunkt, denn im gleichen Jahr begann letztendlich auch in Norwegen die Bierrevolution“, erzählt Trine. „Aber wie das so ist – das brachte natürlich auch Herausforderungen und Probleme mit sich“, schränkt sie gleich ein wenig ein. Da in Norwegen Bier nur bis zu einem Alkoholgehalt von höchstens 4,7% frei verkauft werden darf, mussten die neuen Spezialbiere über die staatliche Monopolorganisation Vinmonopolet vermarktet werden, mit all den damit verbundenen Schwierigkeiten: Der Kampf mit den Großen der Branche wie Carlsberg oder Tuborg um den knappen Platz in den Läden des Vinmonopolet. Das separate Listen jedes neuen Biers. Die träge Bürokratie dieser Organisation.

Ich blicke auf mein Tasty Juice. Seine extrem starke Trübung weist es als Vertreter des merkwürdigen neuen Bierstils NEIPA, New England India Pale Ale aus, ein Bier, das seine explosiven Fruchtaromen eigentlich nur dann so richtig zur Geltung bringen kann, wenn es ganz, ganz frisch getrunken wird.

„Genau“, nickt Trine. „Du hast es in der Hand: Ein Bier, das sofort getrunken werden soll, das nach acht Wochen schon nur noch halb so lecker ist. Vinmonopolet braucht manchmal diese acht Wochen, bis das Bier überhaupt gelistet ist und in den Handel kommt. Das ist für uns nicht einfach. Zum Glück gibt es mehr und mehr begeisterte Biertrinker in Norwegen, die die Monopolläden regelrecht belagern und ständig nachfragen, wann es denn endlich das neue Pale Ale X oder das neue Stout Y gebe. Die bauen durchaus Druck auf, schließen sich zu gemeinsamen Einkäufen oder gezielten Bestellungen zusammen, und dann muss auch Vinmonopolet darauf reagieren.“

Die Dose, die ich in der Hand halte, ist natürlich frisch – schließlich stehe ich hier genau an der Quelle. Und so kann ich mich über Mangel an Fruchtaromen nicht beklagen.

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das riesige Sudwerk

„So, jetzt nimm noch einen großen Schluck, und dann gehen wir durch das Sudhaus“, entscheidet Trine und marschiert vorneweg. Zunächst in die große Halle mit dem Sudwerk. Bis zu 250 hl könnten hier gebraut werden, sagt sie, es sei ja schließlich als Lagerbierbrauerei geplant gewesen. Und die minimale Sudgröße für eher experimentelle oder exotischere Bierstile sei rund 60 hl. Zum Glück sei Lervig in der Szene mittlerweile so bekannt, dass diese Mengen auch zuverlässig abverkauft werden könnten, fährt sie fort und fügt hinzu: „Und das war auch nötig, denn wir sind erst seit zwei Jahren mit der Brauerei in der Gewinnzone – vorher rechnete sich der Betrieb einfach noch nicht ganz. Zum Glück ging es den Investoren nicht um kurzfristigen Gewinn, sondern darum, dass in der Region Stavanger gutes Bier gebraut wurde!“

Ich werfe einen Blick in Maischebottich und Sudpfanne, wir klettern zwischen den großen Geräten herum und schauen uns alles von allen Seiten an. Im Nachbarraum dann die Gär- und Lagertanks. Riesig. Man merkt, Lervig ist keine kleine Hobbyklitsche, sondern für eine Handwerksbrauerei sicherlich an der oberen Grenze dessen, was geht. Die einzigen Tanks, die eine handwerkliche Größe zu haben scheinen, entpuppen sich als die Tanks für die Hefepropagation…

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die Gär- und Lagertanks

Pittoresk und schön anzusehen ist das zwar alles nicht – alle Anlagen und Installationen sind auf Zweckmäßigkeit getrimmt. Aber interessant ist es, und mir gehen die Augen über, als wir in den Keller mit der Fassreifung hinabsteigen. Dicht an dicht stehen hier die alten Holzfässer, in den vorher mal Bourbon, Scotch oder welche Schnäpse auch immer gelagert haben, und in denen nun starke Stouts oder Barley Wines sachte vor sich hin reifen und die Aromen der Destillate aufnehmen. Da kommen in den nächsten Monaten und Jahren aber noch spannende Biere auf uns zu, stelle ich fest.

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Holzfassreifung

Wir laufen weiter in den Abfüllbereich und kommen an einer Wand vorbei, wo Aufkleber aller Brauereien kleben, mit denen Lervig schon Kollaborationssude produziert hat. Eine Weltreise durch das Reich der neuen Handwerksbrauereien kann man hier machen: Mikkeller, BrewFist, Artezan, Brew by Numbers, Buddelship, Jopen, …

Der Abfüllbereich: Sowohl Flaschen als auch Dosen werden hier gefüllt. „In der Anfangszeit haben wir das Bier hier gebraut, dann wurde es in Tanks nach Oslo gefahren und dort abgefüllt, und danach wieder hierher gebracht. Effizient war das nicht“, erzählt meine Ølambassadør und lacht. „Mittlerweile läuft aber alles in house ab.“ Und selbst den allerletzten Schritt der Abfüllung habe man mittlerweile automatisiert, nämlich das Verpacken der abgefüllten Flaschen oder Dosen in Kartons. Bis neulich haben dort noch die Mitarbeiter jede Flasche, jede Dose einzeln vom Band gehoben und verpackt – eine langweilige Knochenarbeit, die auf den Rücken geht.

„Und jetzt zeige ich Dir etwas ganz Neues, das haben noch nicht viele gesehen, weil es erst seit dem 30. November in Betrieb ist“, macht Trine mich neugierig. „Hier ist er: Unser Bottleshop! Vor fünf Tagen erst eröffnet!“

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der Shop – brandneu

Leider kein echter Taproom, da sind die norwegischen Biergesetze davor. Aber man kann alle leichten Biere von Lervig hier kaufen, also alles bis 4,7%. Und T-Shirts, Flaschenöffner und sonstige Souvenirs. Immerhin. Denn selbst das ist in einem Land wie diesem mit seiner patriarchalischen Gesetzgebung nicht selbstverständlich.

Wir gehen wieder zurück zum Bierkühlschrank, an dem unser Rundgang begonnen hat. Unterwegs zeigt mir Trine noch einmal das gesamte Bierangebot, das im Laufe des Jahres 2017 hier entstanden ist – von jeder Sorte ist eine Flasche auf die Abfüllanlage gestellt worden. Eine beeindruckend lange Reihe.

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Jahresrückblick 2017

Ein ganz besonderes Abschlussbier bekomme ich nun noch, den Lervig Barley Wine 2017. Zwölf Monate in Bourbon Barrels gereift, 12,9% Alkohol. Bei ratebeer.com noch gar nicht gelistet. Fast schon ölig-viskos fließt er in den Becher, entwickelt keinen Schaum. Aber eine Aromenkomplexität, die ihresgleichen sucht. Weich und aromatisch fließen die winzigen Schlucke den Gaumen hinunter, wärmen zunächst im Rachen und im Magen, und dann spüre ich, wie sich meine Wangen röten. Was für ein Bier! Am liebsten würde ich, wenn es die Skala denn hergäbe, sechs Sterne vergeben. Auf alle Fälle aber fünf. Und das ganz am oberen Rand. Eines des besten und komplexesten Biere, das ich je getrunken habe. Hut ab!

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Lervig Barley Wine 2017

Trine freut sich über meine Begeisterung und weiß nach fast anderthalb Stunden immer noch mehr zu erzählen. Zum Beispiel würde Lervig seit 2017 kein Weihnachtsbier, kein Juleøl mehr brauen. Vinmonopolet habe nämlich in der Vergangenheit direkt nach dem Fest alle nicht verkaufen Juleøls knallhart an die Brauerei zurückgeliefert, ohne Rücksicht darauf, dass erstens das Mindesthaltbarkeitsdatum noch lange nicht erreicht war (teilweise auf Jahre hin nicht…) und zweitens viele Bierliebhaber die leckeren Weihnachtsbiere wohl auch noch im Januar und Februar gerne als Winterwärmer gekauft hätten. Schluss, aus, vorbei, das bürokratische Monopol hat sich durchgesetzt.

Und auch von ihren Reisen zu den Bierfestivals überall auf der Welt erzählt sie noch. Auf rund fünfzig Festivals pro Jahr ist die Lervig Aktiebryggeri vertreten, vorwiegend natürlich in der warmen Jahreszeit. Und immer sei auch ein fachkundiger Vertreter der Brauerei selbst mit dabei, damit alle Fragen der Bierliebhaber auch zu deren Zufriedenheit beantwortet werden können. Mal sei es Mike als Head Brewer, mal sie selbst als Ølambassadør. Anstrengend sei das, aber auch toll. Rund um die Welt zu reisen, auch wenn es unter Zeitdruck geschieht, und Bierliebhaber und Fans aus aller Herren Länder zu treffen, das sei einfach wunderbar.

Einfach wunderbar war auch die Führung durch die Brauerei. Eine anderthalbstündige Individualführung am Abend, das ist nicht selbstverständlich. Wunderbar, dass Trine ihren Abend für diesen Rundgang und diese Bierverkostung geopfert hat.

Die Lervig Aktiebryggeri hat ihren Souvenirshop seit dem 30. November 2017 donnerstags und freitags von 14:00 bis 19:00 Uhr und sonnabends von 13:00 bis 17:00 Uhr geöffnet. Die Brauerei selbst kann nur im Rahmen von Führungen besichtigt werden. Zu erreichen ist sie vom Hauptbahnhof aus mit den Buslinien 2 und 3, Haltstelle Kvaleberg Skole, etwa 100 m von der Brauerei entfernt.

Bilder

Lervig Aktiebryggeri
Vierveien 1
Hillevåg
4016 Stavanger
Norwegen

Hinweis: Die private Brauereiführung und die Bierverkostung wurden von der Lervig Aktiebryggeri finanziert, ich habe dafür nicht zu bezahlen brauchen. Ich habe versucht, mich im Text davon nicht beeinflussen zu lassen.

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