Kanaal? Bierbar? Ist wohl bestimmt in Amsterdam, irgendwo im Bermudadreieck zwischen Königspalast, Rotlichtviertel und Hauptbahnhof, oder?
Nee, ist es nicht. Der Name klingt zwar so, aber bei der Bierbar Kanaal handelt es sich um ein kleines Craftbier-Juwel mitten in Sofia, rund 2000 km von den königlichen Grachten und zwielichtigen Coffeeshops entfernt.
Ein bisschen holländisch angehaucht ist es hier allerdings. Der Name – Kanaal. Die Lage – direkt an der einzigen „Gracht“ Sofias, nämlich dem Bachlauf des Perlovska Reka, eines winzigen Flüsschens, das Sofia in Süd-Nord-Richtung durchzieht. Die Rotlichtatmosphäre – schummriges, puffig rotes Halbdunkel im Thekenbereich, das der Bar etwas leicht Verruchtes verleiht.
Nach einem längeren Spaziergang durch die Stadt, der nach den Besuchen im 100 Beers und im Vitamin B den Kopf wieder frei gemacht hat, stehe ich mit zwei bulgarischen Hausbrauern, Maya und Kiril, vor der Bar Kanaal, der dritten und letzten Station meiner Bierwanderung durch die Stadt. Eine einladend, aber schlicht gestaltete Holzfront, eine schmale Tür, zwei, drei Schritte und wir stehen an der Theke. Es ist Sonnabend, die Bar ist recht gut besucht, aber nicht zu voll.
Ganz am Rand der Theke sind Plätze für uns reserviert, wir nehmen Platz und sehen uns erstmal um. Hinter dem Barbereich ein größeres, offen und luftig wirkendes Areal, eine Art größerer Innenhof, ein Patio, mit Glas überdacht und mit glitzernden Discokugeln unruhig illuminiert, und dahinter, durch die großen Glasflächen noch erkennbar, ein Außenbereich, in dem man bei schönem Wetter sein Bier genießen kann. Heute, an einem frostigen Tag im Januar, laden allerdings weder die Temperaturen noch der in der Nase beißende Smog dazu ein, draußen zu sitzen.
Hier an der Theke ist es aber angenehm. Warm, urig, und die Tafel vor mir verspricht zwölf verschiedene Biere. Ich zähle zwar dreizehn Zapfhähne, aber der letzte ist wohl für Wasser reserviert. Einfaches, klares Wasser. Gar nicht so schlecht, die Idee, die sich aber in Deutschland immer noch nur sehr schwer durchsetzt. Was ist für den Gastronomen eigentlich so schlimm daran, dem Biergenießer zwischendurch ein Glas Wasser hinzustellen, am besten auch noch kostenfrei? Das Investment ist nicht der Rede wert, aber es lockert nicht nur zwischen den verschiedenen Bieren auf und reinigt Zunge und Gaumen für den nächsten Genuss, sondern es ermöglicht auch, viel mehr Bier zu trinken, ohne vorzeitig zu ermüden oder gar den Rausch zu spüren. Und damit erhöht es auch den Umsatz für den Wirt. Ist das so schwierig zu verstehen?
Ach, egal, weg vom Wasser, hin zum Bier. Ich studiere die Bierliste und stutze. Krombacher! Fast hätte ich aufgeschrien. Ein deutsches Bahnhofskneipenbier, sage ich zu Maya und Kiril, ernte aber nur verständnislose Blicke. Von der Allgegenwart des Krombachers in Deutschland kann hier in Sofia nicht die Rede sein – hier ist es ein sehr ordentlicher Vertreter seines Bierstils und zwischen den teils anspruchsvollen Craftbieren als durchaus leckerer Durstlöscher völlig akzeptiert.
Ich arrangiere mich also damit, Krombacher mitten zwischen Mikkeller, Omnipollo, Evil Twin oder bulgarischen Bieren wie Hills und Byal Shturk angeschrieben zu sehen, auch wenn der Gegensatz zum Beispiel zum Anagram Maple Blueberry Cheesecake Imperial Stout mit seinen 12,0% Alkohol und seinem intensiven Geschmack kaum größer sein könnte.
Wir sind in Bulgarien, also bestelle ich mir als erstes ein Bockbier der kleinen Brauerei Hills Brewery in Perushtitsa, etwa 150 km ostwärts von Sofia, kurz vor Plovdiv. Die schlicht und eher professionell-kommerziell gestalteten Flaschen waren mir im Bottle Shop 100 Beers schon aufgefallen. Ich bekomme ein schönes, ausgewogenes und weiches, malziges Bockbier, das den Vergleich mit den guten und berühmten bayerischen Böcken nicht zu scheuen braucht. Gefährlich gut trinkbar.
Während ich an diesem Bier nippe, erzählen mir Maya und Kiril von der Bierszene in Sofia. Davon, dass Kanaal wohl die älteste und lange auch einzige richtig gute Bierbar sei, vor rund sechs oder sieben Jahren schon eröffnet und seitdem stetig verbessert. Neben den stets rotierenden zwölf Fassbieren gebe es eine Riesenauswahl an Flaschenbieren, und da sei auch für den exotischsten Geschmack etwas dabei.
Als bedürfe es dafür eines Beweises, taucht plötzlich wie von Zauberhand eine Halbliterflasche T.O.R.I.S. The Tyrant – Triple Oatmeal Russian Imperial Stout Bourbon Barrel Aged der Brauerei Hoppin‘ Frog auf. Sorgfältig wird der Inhalt auf mehrere Gläser verteilt, und wir bekommen die Gelegenheit, diese fassgelagerte Aromenbombe zu verkosten. Der Geschmack ist beeindruckend: Das Röstmalz formt einen gewaltigen Körper, der Hafer verleiht dem Bier eine gewisse Seidigkeit, die Fasslagerung im Bourbon Barrel gibt heftige Whisky-Aromen hinzu, und der hohe Alkoholgehalt von 13,8% erzeugt eine intensive Wärme im Mund und im Rachen. Kein Bier für den großen Schluck, sondern nur für bewusstes Nippen. Winzige Schlückchen nur, jedem Tropfen konzentriert hinterherschmeckend. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass ein Glas Wasser zwischendurch das Beste ist, was der Wirt seinen Gästen antun kann – hier ist er. Das Wasser spült die Geschmackspapillen wieder frei und macht jeden neuen Schluck des Tyrant zu einem neuen Erlebnis.
Liubomir Chonos zeichnet für das Konzept der Bar und deren Bierangebot verantwortlich, und bei einem abschließenden Bier, dem schon erwähnten Anagram Maple Blueberry Cheesecake Imperial Stout, einem Kollaborationssud von Omnipollo und Dugges, der aber, obwohl geschmacksstark, nach dem Tyrant schon fast verblasst, kommen wir noch ins Gespräch. Die bulgarische Bierszene hat sich viele Jahre lang kaum entwickelt, erst in den letzten zwei, drei Jahren sei etwas Schwung in die Sache gekommen, heißt es. Aber Liubomir ist froh, mit seiner Bar Kanaal daran teilzuhaben.
Wäre dies nicht schon meine dritte Bierstation für heute, und wäre ich nicht heute erst angereist und deshalb auch noch müde vom Unterwegssein – hier im Kanaal könnte ich noch lange sitzen. So viele Biere noch probieren, die nette Atmosphäre genießen und mich von meinen Gedanken beim guten Bier davontragen lassen. Und die Musik ignorieren. Denn sie ist das einzige, was mir heute nicht gefällt – ein merkwürdiges Stilgemisch und das völlige Fehlen von gutem Rock…
Der Kanaal hat täglich ab 17:30 Uhr, sonntags schon ab 15:00 Uhr durchgehend bis mindestens 01:00 Uhr geöffnet; kein Ruhetag. Um die Bierbar zu erreichen, verlässt man die Metrolinie M1 oder M2 an der Station „Sofia University St. Kliment Ohridski“ („СУ „Св. Климент Охридски“), geht ein paar Schritte bis zur berühmten Adlerbrücke (Орлов Мост) und folgt dann dem Flüsschen Perlovska Reka für etwa 600 m in Richtung Norden.
Kanaal
bulevard Madrid 2
1505 Sofia
Bulgarien
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