Wir rollen auf der Autobahn in Richtung Osten. Hinter uns verschwinden die Smogwolken Sofias, es geht eine Weile durch die Berge und schließlich weitet sich die Landschaft zur Thrakischen Ebene. Im Sommer muss es hier wunderschön sein, aber heute, Ende Januar, ist alles grau in grau. Nach fast zwei Stunden fahren wir von der gut ausgebauten Autobahn ab, hoppeln eine Weile über zunehmend schlechtere Straßen und kommen irgendwann in das winzige Nest Perushtitsa. Völlig unbekannt, höchstens der eine oder andere Historiker mag die rund 1500 Jahre alte Ruine der Roten Kirche hier kennen.
Die Straßen weisen kaum noch Belag auf, und als der Wagen irgendwann in eine Nebenstraße rumpelt, die endgültig ins Nirgendwo zu führen scheint, frage ich mich langsam, wo wir eigentlich hinwollen.
Da taucht vor uns ein fast schon futuristisches Gebäude auf, ein regelrechter Fremdkörper in dieser Umgebung. Eine skandinavisch wirkende Architektur, viel helles Holz, riesige Fensterflächen, glatte Betonflächen und rundherum eine Grünfläche mit frisch gemähtem Rasen bis zum Horizont: Die Hills Brewery / Пивоварна Хилс.
Wir stellen den Wagen ab, steigen aus, und ein junger Mann begrüßt mich in fließendem Deutsch: „Herzlich Willkommen in unserer kleinen Dorfbrauerei!“ Borislav Minkov, einer der Eigner der Brauerei, stellt sich schon nach wenigen Sätzen als Fan Deutschlands und der deutschen Braukultur heraus. „Kommt, ich zeige Euch die Brauerei!“
Er schließt die Tür auf, und wir betreten die Halle. Eindrucksvoll! Linker Hand das stählern glänzende Sudwerk, dahinter eine lange Reihe großer zylindrokonischer Tanks. Kleine Dorfbrauerei? Wohl eher eine solide, mittelständische Regionalbrauerei!
Es solle keine experimentelle Craftbier-Brauerei sein, erzählt Boris, während er uns durch die Brauerei führt. Stattdessen ein überschaubares Angebot von soliden Trinkbieren, die meisten davon dauerhaft im Angebot, ab und an mal ein Saisonbier. Biere, die, wie er und sein Team auch auf der Website der Brauerei sagen, dazu dienen, sich nach einem langen und harten Arbeitstag zu belohnen und zu erfrischen, und die auf die Herausforderungen der nächsten Tage vorbereiten sollen. Und dazu dürfen die Biere nicht selbst schon zu fordernd sein, sondern sie sollen sich leicht trinken lassen und von guter Qualität sein.
Eigentlich ist Boris IT-Spezialist, aber wie so oft in dieser Szene schreien der aufreibende Job und das anstrengende Beschäftigen mit Nullen, Einsen und mit nervigen Kunden geradezu nach einem Ausgleich im Handwerk – und was wäre da schöner, als eine Brauerei?
Was hier steht, diese gewaltige Investition mitten auf dem Land, sieht mir nach mehr als nur einem Ausgleich aus – das ist ein handfestes und großes Projekt. Ein deutscher Braumeister arbeitet hier, erzählt Boris: Wolfgang Trautner. Er habe die Anfänge der Brauerei in allen Details begleitet, dann die drei angestellten Brauer angeleitet und nun käme er ab und an für eine Woche zur weiteren Überwachung und Unterweisung hier vorbei. Die Brauerei sei bayerisch, der Braumeister deutsch, und die Biere seien auch sehr deutsch. „Ich liebe Deutschland!“, lacht Boris.
Fünf Biere entstehen hier in der Hills Brewery: Ein klassisches deutsches Hefeweizen, ein Pilsener, ein Bockbier, im Sommer ein leichtes Weizen und schließlich, ganz besonders typisch deutsch, ein Rauchbier. Boris kramt ein paar Kunststoffbecher hervor und beginnt, uns ein paar Kostproben zu zwickeln.
Wir beginnen mit dem Blanche, dem leichten Weizen. Hellgelb, leicht trübe, ein feiner Schaum. Erfrischend und spritzig, nur ganz leicht fruchtig, mit feinen Gewürznelkenaromen. „Ein belgisches Wit ist das aber nicht“, stelle ich fest. „Nein“, antwortet Boris. „Kein Koriander, keine Orangenschalen, einfach nur ein spritziges und gleichzeitig leichtes Weizenbier!“ Ich bin ja kein Weizenbierfan, aber mir gefällt es trotzdem, und in Gedanken sehe ich mich im Hochsommer vor der Brauerei auf der riesigen grünen Wiese sitzen, der Schweiß rinnt, auf dem Weizenglas in meiner Hand bilden sich Kondenswassertropfen, ich rieche die fruchtigen Ester, die Hefe und nehme den ersten, tiefen Schluck…
„Heh!“ Mein Freund Temelko Pampov, Präsident der Bulgarischen Hausbrauervereinigung, der uns hierher gelotst hat, stupst mich an. „Du verpasst das nächste Bier!“
Schlagartig in die Realität zurückgeholt, starre ich auf die Flasche Pilsner vor uns. Flasche? Wieso Flasche? „Das Bier im Tank ist noch viel zu jung zum Zwickeln“, erklärt Boris. „Da schmecken wir im Moment nur Würze und Hefe. Das bringt gar nichts!“ Und so probieren wir das Pilsener hat aus der Flasche. Frisch abgefüllt, kühl gelagert. Unfiltriert, aber trotzdem sehr klar. Ein feines Hopfenaroma, leicht heuartig, duftig. Ein erfrischender Antrunk, eine deutliche, aber sehr weiche Herbe, ein schlanker Körper. Ein Bier für den großen Schluck, aber dennoch nicht so glatt, nicht so weichgespült, nicht so dem Massengeschmack angepasst, wie die deutschen Fernsehbiere, sondern mit einem schönen, ausgewogenen Aroma. An diesem Bier kann man den ganzen Abend lang hängen bleiben und eines nach dem anderen trinken, ohne es über zu bekommen – da sind wir uns einig.
Stoycho Pampov, Temelkos Sohn und heute der eingeteilte Fahrer, schaut ein wenig neidisch, aber als er von seiner Freundin Gabi einen kräftigen, aufmunternden Stoß in die Rippen bekommt, grinst er doch wieder.
„So, jetzt folgt der Bock!“ Boris hat den Zwickelhahn umgeschraubt und ist wieder am Zapfen. Während der Schaum sich noch setzt, bestaunen wir noch ein wenig die Technik der Brauerei. Die Malzmühle, die Pelletheizung und den als einziges Element in der ganzen Brauerei etwas archaisch wirkenden Hand-Flaschenabfüller. Überall State-of-the-Art-Technik, aber die Flaschenabfüllung geschieht noch von Hand. „Die Brauerei ist eigentlich zu groß für diesen kleinen Abfüller, aber wiederum zu klein für eine vollautomatisierte Abfüllung. Da sitzen wir ein wenig zwischen den Stühlen, aber ich bin optimistisch, dass wir hier auch bald eine bessere Lösung finden“, erzählt Boris.
Jetzt wenden wir uns aber dem Bock zu. Nicht übermäßig stark, aber dafür schön rund und seidig weich. Ein feiner Malzkörper, die Kohlensäure schön gebunden – dieses Bier trägt den Namen Smooth Bock, sanfter Bock, zu Recht. Ein schöner Genuss, auch fürs Auge, den das Bier funkelt bernsteinfarben in der durch die großen Glasflächen hereinscheinenden Sonne.
„So, genug verkostet“, heißt es von Temelko. „Das Rauchbier hast Du im Rucksack, da hast Du gestern im 100 Beers eine Flasche gekauft. Und Weizen magst Du sowieso nicht so sehr. Also: Wir haben heute noch einiges vor – auf geht’s!“
Schweren Herzens löse ich mich von der Brauerei. Boris erzählt noch von den Plänen, das große Gelände rundherum für Konzerte und große Feiern zu nutzen und die Brauerei nach und nach zu einem neuen Zentrum des Orts zu entwickeln. Aber gemach – ein Schritt nach dem anderen. Schließlich ist die Brauerei noch nicht einmal zwei Jahre alt, man müsse schließlich mit Verstand wachsen.
„Viel Glück, Boris, ich drücke Dir die Daumen!“, und schon sitzen wir wieder im Auto. Das Tor hinter uns schließt sich, wir verlassen das niegelnagelneue Gelände, der staubig-graue Alltag Perushtitsas hat uns wieder…
Die Hills Brewery / Пивоварна Хилс ist 2016 als handwerkliche Regionalbrauerei gegründet worden. Sie hat keinen eigenen Ausschank vor Ort, sondern beliefert Gastronomie und Handel in der Region, einschließlich der Hauptstadt Sofia. Eine Besichtigung ist daher nur nach Absprache möglich. Zu erreichen ist die Brauerei sinnvoll nur mit dem Auto, von Sofia aus auf der Autobahn A1, der Thrakia-Magistrale, in Richtung Osten, dann die Abfahrt Tsalapitsa nehmen und in Richtung Süden bis Perushtitsa fahren. Dort im Ort hinter der zweiten Tankstelle rechts abbiegen, und dann kommen nach hundert Metern die ersten Wegweiser zur Brauerei.
Hills Brewery / Пивоварна Хилс
местност „Ленищата“ 459
4225 Perushtitsa / Перущица
Bulgarien
Sehr schönes Brauhaus! War letztes Jahr auch bei einem Anlagenbauer in Bulgarien. Extrem saubere Ausführung. Weißt Du ob das Sudhaus auch von dort stammt? Grüße vom Bodensee! Der Brauknecht
Hallo, Ralf, sorry für die späte Antwort.
Nee, das Sudhaus ist klassisch bayerisch. Beziehungsweise fränkisch. Kuck mal auf Bild 14 im verknüpften Fotoalbum, da ist im Glasfenster des Läuterbottichs neben dem Namen der Brauerei auch das rautenförmige Logo „Schulz“ eingeätzt.
Mit bestem Gruß an den Bodensee,
Volker
Ralf, du meinst glaube ich jagerhof.bg