Oh, spannend! Ich bekomme eine Pressemitteilung zugeschickt, die mich darüber informiert, dass ein Bier ein neues Etikett bekommt. „Mit der Bitte um redaktionelle Berücksichtigung“, heißt es, also in der Erwartungshaltung, dass ich auf meinem Blog dafür kostenlos Reklame machen soll.
Nun heißt redaktionelle Berücksichtigung beim Brunnenbräu aber nicht kostenlose Reklame, sondern inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Und das mache ich gerne.
Also: Die Biermarke St. Erhard bekommt neue Etiketten. Jedenfalls für drei ihrer vier Biere.
Was fällt mir dazu ein?
Erstens:
Wenn ein Bier oder eine Biermarke, die erst wenige Jahre am Markt ist, einen neuen Markenauftritt ankündigt, dann drängt sich mir der Verdacht auf, dass es dafür einen handfesten Grund gibt, nicht ausreichender Umsatz nämlich. Neue Markenauftritte, neues Design, neue Corporate Identity werden von Unternehmensberatern meistens dann ins Spiel gebracht, wenn die Absatzzahlen in den Keller gehen und ein Produkt mit seiner Qualität allein nicht zu überzeugen vermag. Prominentestes Beispiel: Die Warsteiner-Brauerei, die ihre Absatzkrise mit neu gestalteten Bierkisten überwinden möchte. Ob das so für St. Erhard zutrifft, weiß ich natürlich nicht…
Zweitens:
Ein schwedischer Star-Designer hat die neuen Etiketten entworfen – was auch immer einen „Star“-Designer ausmacht. Frei nach Andy Warhol kann heutzutage jeder für ein paar Minuten ein Star sein. Ich bin kein Angehöriger der Werbe- und Design-Filterblase und kenne Perniclas Bedow daher leider nicht. Was allerdings nichts heißen muss. Für St. Erhard freue ich mich aber. Hoffentlich war er nicht zu teuer.
Drittens:
Die Biermarke St. Erhard war bereits 2014 mit dem German Design Award ausgezeichnet worden, und zwar wegen ihrer Klarglasflasche. Ich sehe das als Beweis dafür, dass die Filterblasen „Werbung und Design“ und „Bierliebhaber“ eine nur geringe Schnittmenge haben. So schön nämlich eine Klarglasflasche in ihrer minimalistischen Gestaltung aus Sicht eines Berufsgestalters sein mag, die Sicht des Biergenießers ist eine andere: Bier in Klarglasflaschen sieht für mich immer unappetitlich aus, fast wie eine Urinprobe.
Viertens:
Die neuen Etiketten sehen gut aus. Wirklich! Sie gefallen mir als Grafikobjekte richtig gut. Sie sind aber unzweckmäßig. „Die Buchstaben reduziert auf die pure Essenz ihrer Form“, heißt es in der Pressemitteilung. Wenn die Reduktion aber so weit geht, dass man auch mit viel gutem Willen nicht mehr lesen kann, was sie denn bedeuten sollen, dann wird Übertreibung zum Selbstzweck, und von der Essenz ist nicht mehr allzu viel übriggeblieben. Wer in dem Bild von links nach rechts die Bezeichnungen Farmer, Mayflower und Saison herauslesen kann, ohne diese Wörter vorher genannt bekommen zu haben, vor dem ziehe ich den Hut.
Fünftens:
Nur die Flaschen der drei genannten Spezialbiere bekommen die neue Gestaltung; das als erstes St. Erhard Bier eingeführte Kellerbier, das in der Pressemitteilung ebenfalls als Spezialbier bezeichnet wird (was immer an einem Kellerbier auch „spezial“ sein soll…), allerdings nicht. Es habe sich bereits zur Stilikone entwickelt, heißt es als Begründung. Ich stelle mir allerdings die Frage, warum man einer Stilikone dann gestalterisch im eigenen Haus Konkurrenz machen muss und die Corporate Identity aufgibt. Der Wiedererkennungswert? Der wird beschädigt – wer nimmt denn das Kellerbier einerseits und die anderen drei neu gestalteten Biere andererseits als aus dem gleichen Hause stammend wahr?
Fazit:
Ich muss diesen Aktionismus mit immer neuen Etiketten, Gestaltungen und Stilen nicht verstehen. Mir wäre es lieber, dieser Ehrgeiz und Aufwand flösse in die Qualität des Produkts selber ein oder, falls dies nicht notwendig sein sollte, in eine bessere Preisgestaltung oder eine durchgängige Kühlkette in der Distribution. Denn gerade bei letzterer liegt in Deutschlands Spezialbierhandel noch viel im Argen.
Das lernt man als Betriebswirt: Wenn der Umsatz nicht den (stets zu hohen) Erwartungen entspricht, muss was Neues her. Das gilt in Warstein wie in Bamberg. Neues heißt: Neues Design, neuer „Werbeauftritt“, neue Vertriebskanäle, neue Kundensegmente, neue Preisstrukturen, neue Kooperationen usw… Das eigene, in der Regel mittelmäßige und austauschbare Produkt zu VERBESSERN fällt denen im Traum nicht ein, denn dazu müsste man ja was vom Produkt verstehen. Und was Erhard angeht: Schon damals fand ich eine Bierflasche mit der Anmutung einer Flasche Karottensaft unmöglich. Sieht man auch nur noch selten irgendwo im Regal.
Danke für Deine Bewertung, Ludger, ich kann Dir da eigentlich nur zustimmen und wundere mich immer wieder, warum gerade große Brauereien viel Geld in die Hand nehmen, um Unternehmensberater zu füttern, die mit sehr vorhersagbaren Vorschlägen und Erkenntnissen „überraschen“.
Wie gut sich St. Erhard verkauft, kann ich aus der Ferne nicht feststellen. Ich weiß nur, dass mir die Klarglasflasche überhaupt nicht gefällt, und dass ich bei der Marke St. Erhard ein schlüssiges Identifikationsmerkmal vermisse. Ich persönlich identifiziere die Marke mit nichts. St. Erhard ist nichtssagend, es steht keine Brauerei dahinter, keine Tradition, kein besonderes Bierrezept, kein Gesicht, keine spannende Geschichte. Es wirkt alles künstlich und ist – für mich – im Resultat nichtssagend.