Da fällt mir doch beim Umräumen des Bücherregals eine uralte CD-ROM in die Hände: Dirk Jasper’s Bier Journal Deutschland, ein „umfassender Multimedia-Führer über das deutsche Bier“, wie die Hülle verspricht.
Neugierig nehme ich die CD zur Hand. Stimmt, die hatte ich damals, 1995, für teures Geld gekauft. 19,80 DM hatte sie gekostet, und stolz verkündete das Inlet „läuft auch unter Microsoft Windows® 95“. Nach einem etwas umständlichen Installationsprozedere – das Journal war zwar „direkt von CD aus lauffähig“, aber das hieß in diesem Falle nur, dass man nicht den gesamten CD-ROM-Inhalt auf die Festplatte kopieren musste – konnte man dann auf einer interaktiven Oberfläche ein paar Texte abrufen, die wiederum mit Bildern und kurzen Video-Clips verknüpft waren.
333 MB an Daten finden sich auf der CD, das wäre seinerzeit in der Tat völlig unmöglich gewesen, sie auf die Festplatte zu kopieren – die hatte in meinem damaligen Rechner nur rund 800 MB, wenn ich mich richtig erinnere, und wäre dann schon halbvoll gewesen.
Ich probiere es ganz einfach und schiebe die CD 23 Jahre später in das Laufwerk meines Rechners. Sekundenbruchteile später zeigt mir der Explorer den Inhalt an, und ich klicke auf die Datei install.exe. Mal sehen, was passiert.
Nichts.
Beziehungsweise fast nichts. Ein blaues Pop-Up-Menü informiert mich, dass diese App auf dem PC nicht ausgeführt werden kann.
Nun, wirklich überrascht bin ich nicht, aber ich kann ja, das Explorer-Fenster ist noch geöffnet, einfach mal durch die Ordner und Dateien stöbern und schauen, was sich noch öffnen lässt, und was nicht.
Viel ist es nicht. Das Journal besteht nur aus einer Sammlung von kryptischen Installationsdateien. Dann finde ich das Windows Runtime-Modul. Ach ja, bevor man irgendwelche Videos anschauen konnte, musste man seinerzeit immer haufenweise spezielle Dateien installieren. Jede CD kam mit einem anderen Format, ständig gab es Probleme mit falschen Versionen. Oh, je.
Aber einen Ordner BIER gibt es, in ihm wieder viele Installationsdateien, aber auch einen Unterordner FILM. Hier werde ich fündig. 51 kurze Videoclips, maximal ein bis zwei Minuten lang. Plus ein Werbefilm des Tewi-Verlags, Tewi 2000. Ich klicke mal hier, klicke mal da, und ich amüsiere mich, wie revolutionär wir das damals empfunden haben: Videos auf dem PC. Grobkörnig, ruckelig, aber immerhin – Videos!
Die Clips geben kurze Einblicke in Bierherstellung und -abfüllung, in die Geschichte des Biers und zwischendrin finden sich auch Interviews. „Wie findet man als Laie eigentlich heraus, ob ein Bier besonderen Anforderungen entspricht?“ fragt eine junge Dame etwas unschuldig. Natürlich eine Dame, rothaarig, mit großen Kulleraugen – die Klischees müssen ja bedient werden. Der Bierfachmann, ein älterer Herr mit Schlips und Jackett, mit viel zu großer Brille, mit Doktortitel und Doppelnamen (Hurra, das nächste Klischee!), vor sich neben zwei Biergläsern auch einen gefüllten Cognac-Schwenker, doziert gestelzt, dass es darauf ankäme, dass man mit seinen Sinnen prüfen müsse, die Kühle des Glases spüren müsse, sehen müsse, ob das Bier blank oder bei hefehaltigen Bieren trüb sei, und ob auf dem Glas ein schöner Schaum sei.
„Aha!“, staunt die naive junge Dame ob dieser bahnbrechenden Erkenntnis, und ihre Augen weiten sich, als sie zusätzlich noch erfährt, dass der Schaum von der Kohlensäure stammen würde. Der ältere Herr verkopft sich mit seinen Ausführungen zum Bierschaum, bis er irgendwann den ersten Schluck aus dem Glas nimmt und der Clip endet. Mansplaining würde man das heute nennen – unnütze und offensichtliche „Informationen“ altklug präsentieren, die Frage selbst gar nicht richtig beantworten, stattdessen wichtig tun und sich selbst beweihräuchern.
Ich wage es gar nicht mehr, noch weitere Clips anzuklicken. Schlimm, diese Altherrenromantik. Aber ach, passt sie nicht so wunderbar zu der Aufschrift auf der CD? Hier: „Dirk Jasper’s Bier Journal Deutschland wird unterstützt vom Deutschen Brauer-Bund, Bonn“. Vom Deutschen Brauer-Bund! Von der Altherrenriege, die sich auch heute noch wohl dabei fühlt, Bierköniginnen zu wählen und in knappe Dirndl zu stecken (wann wählen wir denn den ersten Bierprinzen oder die erste Bier-Drag-Queen?), falsche beziehungsweise falsch dargestellte Informationen über ein angeblich mehr als 500 Jahre unverändert gültiges sogenanntes „Reinheitsgebot“ zu verbreiten, damit eine Quasi-Gehirnwäsche des Verbrauchers zu betreiben, und schließlich konservativ-rückwärtsgewandt ratlos die Ursachen zu beleuchten, warum der Bierkonsum in Deutschland langsam aber stetig zurückgeht. Der Verein, der auf seiner Homepage in den ersten dreißig (!) News-Beiträgen in den wichtigen Rollen ausschließlich Männer zeigt. In keinem (!) dieser Beiträge spielt eine Frau eine andere Rolle als als schmückendes Beiwerk. Warum auch – Frauen würden das rückwärtsgewandte Idyll doch nur stören und heutzutage nicht mehr naiv mit Kulleraugen dem Gesülze eines angeblichen Fachmanns stumm folgen, sondern kritisch hinterfragen und provozieren! Besser, man lässt sie außen vor!
Doch zurück zur CD!
23 Jahre sind seit der Herausgabe von Dirk Jasper’s Bier Journal Deutschland vergangen, 23 Jahre, in denen sich die Bierwelt in Deutschland und der Welt gewaltig verändert hat (der Brauer-Bund an diesem Wandel allerdings wenig Anteil hatte…), und die noch lauffähigen Clips betören allenfalls noch mit ihrem nostalgischen Charme.
Ich stelle die CD-ROM zurück ins Bücherregal. Wer weiß, wann sie mir das nächste Mal in die Hand fällt. Erneut in 23 Jahren vielleicht? Wie die Welt des Biers dann wohl aussehen wird? Wer hätte 1995 von hunderten Kreativbrauereien in Deutschland geträumt? Mit rund 6000 Brauereien ausgerechnet in den USA gerechnet?
Warten wir es einmal neugierig ab!
Dirk Jasper
Dirk Jasper’s Bier Journal Deutschland
Tewi Verlag GmbH
München, 1995
ISBN 3-89627-713-8
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