Vom Tellerwäscher zum Millionär – das ist wohl die älteste, abgedroschenste und am häufigsten missbrauchte Metapher, wenn es darum geht, zu beschreiben, welche Chancen das Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten bietet. Meistens wird dabei vergessen, dass nur die allerwenigsten diesen Weg vom Tellerwäscher zum Millionär gegangen sind, einige mehr den umgekehrten, und viele mehr einfach einen völlig anderen. Und von einem völlig anderen erfahre ich denn auch heute, während eines Spaziergangs durch Rīga: Vom Milchfarmer in Nebraska zum Bottleshop-Owner in Lettland.
Wie so oft, bin ich beruflich in Europa unterwegs, die dienstlichen Termine bestimmen das Reiseziel und den Kalender, und wenn ich Glück habe, dann findet am Zielort der Reise zufällig gerade irgend ein bieriges Ereignis statt, meistens aber nicht. Heute, am 21. August 2015, definitiv nicht. Und so lasse ich mich ziellos durch die Straßen Rīgas treiben, erkunde hier eine nette Ecke, dort einen schönen Park, und als mich schließlich Hunger und Durst beginnen, zu plagen – ehrlicherweise vor allem letzterer – greife ich zu meinem Smartphone und suche nach Craft Bier in erreichbarer Nähe.
Callous Alus – Beer Fox, schlägt Cortana vor, und nach wenigen Minuten stehe ich vor der angegebenen Adresse. Ich gehe durch die Tür und stehe in einem kleinen Bottleshop. Links und rechts stehen Regale mit phantastischen Bierspezialitäten, von Brauereien, deren Namen ich noch nie gehört habe, fein säuberlich aufgereiht. Einerseits bin ich im Paradies gelandet, so scheint es mir, andererseits: Ich wollte doch etwas trinken, und nicht zum Mitnehmen einkaufen.
Ein gewaltiger Bart, hinter dem sich ein freundlicher Herr versteckt, taucht aus dem Hinterzimmer auf: „How can I help you?“
„I’m afraid you can’t“, antworte ich, „ich habe nämlich nach einer Bierbar gesucht, weil ich Durst habe, und nicht nach einem Bottleshop.“
„But this is a bar“, kommt die trockene Antwort, „it’s over there“, und ein aus dem buschigen Bart ragender Arm weist auf eine Kiste und einen Sessel neben dem Eingang.
„You mean, I can choose a beer and drink it here, immediately?“
„Sure you can“, und Sekunden später stehen wir vor den beiden Kühlschränken im Durchgangsbereich zwischen Verkaufsraum und Hinterzimmer. Die Auswahl fällt schwer – zu viele regionale Spezialitäten und Biere aus aller Welt stehen hier. Nach langem Hin und Her und spannenden Erzählungen entscheide ich mich für ein Roggenbier der lettischen Brauerei Malduguns. Eine hervorragende Wahl, lobt mich der Bart und klopft mir auf die Schulter. „Ich heiße übrigens Mike!“
Statt mich nun in die „Bar“, also auf den Sessel neben die Kiste, zu setzen, bleibe ich am Verkaufstresen stehen, und Mike beginnt, zu erzählen. Eigentlich wäre er ja Milchbauer in Omaha in Nebraska gewesen, aber dann hätte er dieses und jenes gemacht, und schließlich hätte ihn die Liebe nach Lettland, nach Rīga entführt. Und seit Dezember letzten Jahres sei er nun stolzer Eigner eines Bottleshops hier in der Hauptstadt und habe sein berufliches Glück gefunden.
Einige hundert verschiedene Biere hat Mike in dem winzigen Lädchen, viele davon über einen Importeur in Estland besorgt. Estnische, litauische, belgische, japanische, amerikanische, niederländische, dänische Biere – die ganze Welt ist vertreten. Bis auf Deutschland, aber daran würde er noch arbeiten.
Nur unterbrochen von gelegentlichen Kunden, die hereinspazieren und sich für das Wochenende mit ein paar Spezialitäten eindecken, erzählen wir und gehen auf eine Bierreise rund um den Globus. In den nur sieben Monaten seines Bestehens hat sich der kleine Bottleshop hervorragend etabliert, und es kämen immer mehr Stammgäste. Selbst die hochpreisigen Spezialitäten – die holzfassgelagerte 0,7-l-Flasche kostet 40.- EUR – würden nachgefragt, erzählt Mike, und er hätte mittlerweile das Gefühl, nicht mehr reisen zu müssen, die Welt käme zu ihm. Touristen aus der ganzen Welt, und mittlerweile auch gezielt Bierreisende, die hier eine Beer Tour machen würden, gäben sich hier an manchen Tagen die Klinke in die Hand, und es sei eine Freude, mit Menschen aus aller Herren Länder über das Bier zu fachsimpeln. So wie mit mir!
Ich merke rasch – hier hat jemand seine Berufung gefunden. Nach zähem Kampf mit der lettischen Bürokratie hat Mike Perdue seinen Traum verwirklicht. Und es ist nicht nur der Bierverkauf, sondern er organisiert auch Bierverkostungen, Tastings, Treffen und holt sich so die große Welt in seinen kleinen Laden in der Stabu Straße in Rīga.
Der Bottleshop Callous Alus ist montags bis sonnabends ab 11:00 Uhr bis später in den Abend hinein geöffnet; gelegentlich abweichende Öffnungszeiten werden über Facebook bekannt gegeben. Von der Altstadt Rīgas sind es etwa fünfzehn Minuten zu Fuß, oder ein paar Haltestellen mit der Straßenbahn.
Callous Alus – Beer Fox
Stabu Iela 59
1011 Rīga
Lettland
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