Auf Initiative von Paweł Leszczyński, einem der Vorstandsmitglieder der Polnischen Hausbrauervereinigung PSPD und Organisator des Warschauer Bierfestivals, einem der größten Craftbier-Festivals in Polen, trafen sich Vertreter aus einem halben Dutzend europäischer Länder am 19. September 2015 in Warschau, um auszuloten, ob es möglich ist, eine Europäische Hausbrauervereinigung zu gründen, und wenn ja, in welcher Form dies geschehen könnte.
Warschau begrüßte die Gäste mit perfektem Wetter, Sonnenschein und 22°. Die knapp über zwanzig Vertreter aus Polen, Norwegen, Schweden, Bulgarien, Deutschland, der Slowakei und Italien konnten den Tag mit einem kleinen Spaziergang beginnen, bevor um elf Uhr das Treffen in dem vor gerade einmal acht Wochen eröffneten Craft-Beer-Pub Jabeerwocky begann.
das Pub Jabeerwocky hat die Gastgeberrolle übernommen
Paweł hatte die Veranstaltung von vornherein als strukturierte Arbeitssitzung geplant, und nach einer kurzen Vorstellungsrunde begann eine Reihe von Präsentationen.
Marcin Ostajewski präsentierte die Polnische Bier- und Hausbrauerszene und erläuterte insbesondere die legalen Restriktionen, denen die Weitergabe des selbstgebrauten Bieres unterliegt. Zwar darf ein Hausbrauer in Polen eine unbegrenzte Menge an Bier produzieren, aber er darf dies nur im engsten Freundes- und Familienkreis ausschenken; jegliche – auch nicht-kommerzielle – Weitergabe darüber hinaus ist verboten. Aber natürlich wies er auch darauf hin, dass Polen nicht Polen wäre, gäbe es nicht doch immer irgendeinen Weg, diese Beschränkungen zu umgehen.
Als nächstes präsentierte Paweł Leszczyński ein paar interessante Informationen über die Polnische Hausbrauervereinigung PSPD (Polskie Stowarzyszenie Piwowarów Domowych), und anschließend berichtete Marusia (Agnieszka Wołczaska-Prasolik) über die Hausbrauer- und Brauereiaktivitäten in Breslau / Wrocław, die sich deutlich von den Aktivitäten der PSPD absetzen und somit eine eigene, regionale Bierszene schaffen.
Paweł Leszczyński stellt die Polnische Hausbrauervereinigung vor
Artur Napiórkowski stellte anschließend das PSPD Certification Programme vor – die Ausbildung zum zertifizierten Beer Judge. In bisher neun dreitägigen Lehrgängen wurden rund 130 Beer Judges ausgebildet und etwa einhundert von ihnen sind derzeit noch aktiv und lassen sich regelmäßig weiterbilden und rezertifizieren. Auf über einem Dutzend Hausbrauwettbewerben jährlich mit zusammen vielen tausend eingereichten Bieren sitzen sie nun in der Jury und verkosten.
Jens Davidsen und Per Øyvind Arnesen von Norbrygg, der Norwegian Home Brewers Association, brillierten mit einem humorvollen Vortrag über die Norwegische Bierszene, die sich erst in den letzten zehn Jahren, dann aber mit viel Schwung, entwickelt hat. Nach wie vor leidet die Szene aber gewaltig unter strengsten gesetzlichen Regelungen, beispielsweise der Einschränkung des Verkaufs alkoholischer Getränke von mehr als 4,75% Alkohol ausschließlich in den staatlichen Monopolläden. Trotzdem hat sich der Verkauf von Bier in den Monopolgeschäften seit 2003 vervierfacht – und zwar ausschließlich aufgrund obergäriger Biere, die es vorher de facto nicht gegeben hat. Die Norwegische Hausbrauervereinigung (Norsk Hjemmebrygger Forening) wurde 1997 gegründet und zählt mittlerweile etwa 4000 Mitglieder – Tendenz rapide steigend! Beide, Jens und Per, überzeugten mit klaren Vorstellungen, was sie beziehungsweise Norbrygg im Rahmen einer Europäischen Hausbrauervereinigung gerne erreichen wollen würden – insbesondere einen Europäischen Hausbrauwettbewerb. Beeindruckend!
Jens Davidsen und Per Øyvind Arnesen von Norbrygg
Svenska Hembryggareföreningen, die Swedish Homebrewers Association, kam als nächstes. Gegründet 1990, kämpft sie mit vergleichbaren rechtlichen Problemen wie Norbrygg. Bier ab 3,5% muss im Monopolgeschäft verkauft werden, Bier mit mehr als 5,6% war bis 1995, bis Schweden der Europäischen Union beitrat, gleich ganz verboten. Mittlerweile sieht es besser aus. 1988 wurde die erste neue Brauerei Schwedens (nach 53 Jahren!) gegründet, und mittlerweile gibt es eine sich stetig entwickelnde Bier- und Brauereiszene in Schweden: Von 1984 bis heute stieg die Anzahl der Brauereien in Schweden von 10 auf 191, fünfzig davon alleine im letzten Jahr, was einer neuen Brauerei pro Woche entspricht! Und auch die Hausbrauervereinigung wächst stetig – 2500 Mitglieder hat sie und verzeichnet einen jährlichen Zuwachs von konstant 10% seit 2010. Trotz aller rechtlicher Schwierigkeiten, wie zum Beispiel der Tatsache, dass die Vereinigung bei einem Hausbrauwettbewerb nicht autorisiert ist, den Teilnehmern und Siegern eine Belohnung zu geben, weil dies einem kommerziellen in den Verkehr Bringen des Bieres entsprechen würde, finden viele Aktivitäten statt, und man ist erfinderisch im Umgehen der Beschränkungen – beispielsweise indem man sich kommerzieller Sponsoren, die eine Lizenz zum Verkauf von Alkohol besitzen, bedient.
Italien war mit vier Vertretern angereist: Francesco Antonelli, Stefano Stotowski, Raffaello Spina und Andrea Romani. Zwar gibt es keine echte Hausbrauervereinigung, aber es gibt eine italienische Bierverkoster-Vereinigung, Associazione Degustatori di Birra. Sie zählt etwa 1000 Mitglieder mit einer Wachstumsrate von etwa 100 pro Jahr, die sich alle einer Verkosterausbildung unterziehen müssen. Die Hausbrauer selber sind lediglich in Form eines Blogs bei Facebook organisiert, zählen dort aber immerhin 3400 likes und 21000 page views pro Monat. Was es allerdings gibt, ist eine Anzahl von regionalen Hausbrauervereinigungen, die sich in ihrem lokalen Dialekt, in ihrer lokalen Kultur vernetzen – sei es auf Sizilien, auf Sardinien oder in Rom. Was die internationale Vernetzung anbelangt, leidet die italienische Hausbrauerszene unter der Tatsache, dass niemand genügend Englisch versteht, um sich aktiv auszutauschen. Nur wenige internationale Bücher über das Hausbrauen werden ins Italienische übersetzt, und so entwickelt sich die Szene nur langsam. Neben einem nationalen Hausbrauwettbewerb der Italienischen Bierbewegung Movimento Birrario Italiano, der seit etwa fünf Jahren stattfindet und sich etwa 200 eingereichter Biere erfreut, haben nun auch die Hausbrauer einen nationalen Hausbrauwettbewerb ins Leben gerufen, und zwar seit 2015, mit etwa 40 Teilnehmern, der in vier Phasen mit jeweils einem Bierstil über das Jahr verteilt abgehalten wird. Ganz anders sieht die Craft-Brewer-Szene aus, die sich in Italien seit 1996 in atemraubender Geschwindigkeit entwickelt.
Hausbrauen in Italien
Deutschland stellte sich anschließend ebenfalls vor – leider hatte kein Vorstandsmitglied der Haus- und Hobbybrauervereinigung in Deutschland e.V. (VHD) für einen Vortrag gewonnen werden können, so dass ich selber einen Überblick über die aktivsten Gruppierungen gegeben habe – neben der VHD das Hobbybrauerforum hobbybrauer.de und die englischsprachige Hausbrauergruppierung Hobbybrauer Hamburg.
Temelko Pampov, der Vorsitzende der noch jungen bulgarischen Hausbrauervereinigung Асоциация на домашните пивовари в България trat als nächstes auf. 60 Mitglieder zählt die Bulgarian Homebrewers Association im Moment, aber sie wächst stetig. Mit vielen bunten Bildern stellte er die bisherigen Aktivitäten vor und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass sich in den kommenden Jahren viel in Bulgarien tun werde. Besonders schön war für ihn, dass er bereits in der kurzen Zeit seit Gründung der Bulgarischen Hausbrauervereinigung viele Gäste aus Polen, der Slowakei, Kroatien, Ungarn und Tschechien hat begrüßen können.
Peter Bognar aus der Slowakei stellte gemeinsam mit Paweł Leszczyński die slowakische Hausbrauerszene vor. Sie ist noch nicht sehr aktiv, stark getrieben von Peters persönlichem Engagement, aber es entwickelt sich einiges. Die Zusammenarbeit mit den kleinen kommerziellen Brauereien in der Slowakei ist exzellent – viele Hausbrauer dürfen Biere nach ihren eigenen Rezepten in diesen Brauereien herstellen. Auch die Slovak Acedemy of Sciences schätzt Peters Engagement sehr und arbeitet eng mit ihm zusammen.
gute Diskussionen in den Pausen
Nach einer kurzen Verpflegungspause im benachbarten Restaurant Bibenda, das neben gutem Essen auch ausgezeichnete (Craft-)Biere anbietet, stellte Bo L. Jensen die European Beer Consumers Union EBCU vor – eine Bewegung, die zum Ziel hat, die Diversität von Bier zu fördern, über seine Inhaltsstoffe zu informieren, und seine Verbreitung für einen akzeptablen Preis zu unterstützen. Schade, dass Deutschland aufgrund des Fehls einer nationalen Dachorganisation nach wie vor kein Mitglied der EBCU ist, aber mit den neuen Statuten der EBCU, die unterschiedliche Klassen von Mitgliedsorganisationen erlauben, könnte dies vielleicht in Zukunft gelingen. Bo ist jedenfalls optimistisch.
Jan Lichota, ein Pole, der in Belgien lebt und arbeitet, also ein echter Europäer ist, stellte nun Europa und seine Internationalen (Bier-) Organisationen vor. Insbesondere die Parallelität zwischen dem komplexen Brauprozess und dem nicht minder komplexen politischen Entscheidungsprozess der Europäischen Union stellte er in geradezu genialer Weise vor und erntete mehr als einmal offenen Beifall während seines Vortrags. In knallharter (im positiven Sinne) Art und Weise hielt er den Anwesenden den Spiegel vor und fragte zunächst danach: Was wollen wir mit einer Europäischen Hausbrauervereinigung eigentlich erreichen? Was sind die Ziele? Wen wollen wir beeinflussen? Was ist die beste Organisationsform?
Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen, aber dann zeigte sich, dass genau diese brillante Analyse die folgende Diskussion ganz enorm beflügelt hat.
Wo wollen sich die Hausbrauer in der Europäischen Union verorten?
Und so war es denn auch nur konsequent, dass Paweł Leszczyński direkt im Anschluss die Stichworte aufnahm und die Diskussionen über unsere gemeinsamen Ziele einleitete.
Zum einen gilt es natürlich, sich auf das Hausbrauen zu fokussieren, um einerseits sich nicht zu verzetteln und andererseits sich auch nicht in Konkurrenz zur EBCU zu begeben, die das Feld der Bierliebhaber und –genießer bereits recht erfolgreich und fast europaweit abdeckt. Zum zweiten muss es darauf ankommen, Ziele zu formulieren, die gleichzeitig sowohl realistischer Weise erreichbar sind, als auch ausreichend ambitioniert, um die Menschen zu motivieren, sich zu engagieren.
intensive Gespräche
Ein weitere spannender Punkt, der die Diskussion lange Zeit nährte, war die Frage, ob in einer potentiellen European Homebrewers Association nur Vereine und Organisationen oder auch Individuen Mitglied sein können.
Letztendlich lief die Diskussion darauf hinaus, für heute ein kurzes, gemeinsames Statement zu formulieren, dieses im Laufe eines Monats mit Substanz zu füllen und dazu ein englischsprachiges Forum zu etablieren, in dem diese Koordinationsarbeit geleistet werden kann. Jens und Per von Norbrygg waren in der Lage, bereits während der Diskussion ein solches Forum einzurichten, und stellten uns so unmittelbar ein perfektes Instrument zur Verfügung.
Jan Lichota übernahm die Aufgabe, die Abschlussdeklaration zu formulieren, und nachdem sie abgestimmt und zu Papier gebracht worden war, wurde sie von den anwesenden Vertretern der verschiedenen Länder unterschrieben. Eine Version trägt die Unterschriften derer, die mit einem Mandat ihrer nationalen Organisation angereist und ermächtigt waren, für diese zu sprechen, und ein zweites Exemplar wurde von denjenigen zusätzlich unterschrieben, die als Individuen ohne Mandat lediglich eine unverbindliche Stellungnahme abgeben konnten:
We, Homebrewers who gathered in Warsaw, agreed today to create a network of homebrewers organizations to exchange knowledge, promote events and foster homebrewers interests in Europe.
Warsaw, 19th September 2015
Nach acht Stunden harter Arbeit hatten sich die Delegierten aus den sechs Ländern einen entspannten Pub-Crawl verdient, und zogen hinaus in die Warschauer Nacht, endlich ein Bier ohne Hintergedanken genießen zu können.
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