Wir fragen die aufgeklärten Biertrinker, denn viele der Brauer haben inzwischen vom Bayerischen Brauerbund einen Maulkorb verpaßt bekommen. Da es beim Bier aber um den Verbraucher geht, soll er doch mal zum Zuge kommen.
Volker, 1962, Vyškov
1. Erinnerst Du Dich noch, wie es für Dich war, als Du realisieren mußtest, daß der Begriff Reinheitsgebot nur ein Marketinginstrument ist, und daß in Wahrheit nach dem Lebensmittelgesetz gebraut wird?
Es war vor einigen Jahren, als ich auf einer Feier ein Bier-Cola-Mischgetränk in die Hand gedrückt bekam – und mit großen Augen auf der Flasche lesen musste „Gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot“. Am nächsten Morgen habe ich dann begonnen, zu recherchieren, mir den Original-Wortlaut des Reinheitsgebots von 1516 genauer angesehen, dann herausgefunden, dass das gar nicht wörtlich umgesetzt wird (werden soll?), und bin schließlich beim (vorläufigen) Biergesetz gelandet. Und spätestens da hatte ich genug. Ich hatte das Gefühl, von vorne bis hinten veräppelt worden zu sein. Beschränkung auf nur vier Zutaten, selbst im interpretierten Sinne (soll heißen, Malz statt Gerste, und Hefe setzte man damals als selbstverständlich voraus)? Fehlanzeige. Stattdessen die Möglichkeit, obergärige Biere mit anderen Zutaten zu versetzen, und die Möglichkeit, Hilfsstoffe während der Produktion einzusetzen, sie aber vor der Abfüllung wieder herauszufiltern. Davon aber auf den Etiketten kein Wort. Und dann die Schizophrenie, ein Bier nach dem, naja, eingeschränkten Reinheitsgebot zu brauen, nur um es anschließend mit dem Chemie-Cocktail Cola zu vermischen, und dann trotzdem auf das Etikett zu schreiben „Gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot“?
Ich begann, mir den Frust von der Seele zu schreiben, und entstanden ist mein Blogbeitrag zum Reinheitsgebot.
2. In 2012 hat die Verbraucherzentrale ganz deutlich am Beispiel der Erdinger Brauerei entschieden, daß auf den Bieretiketten nicht mehr stehen darf „Gebraut nach dem Bayerischen Reinheitsgebot von 1516“ und das nach dem Lebensmittelgesetz gebraut werde. Man möchte meinen, daß diese Aussage zu einem Aufschrei in Deutschland und zu einer Abwendung von den Bieren, die nach dem Reinheitsgebot gebraut sind, geführt haben müßte. Tatsächlich ist verbraucherseitig nichts passiert! Kannst Du mir erklären?
Zum einen darf die Verbraucherzentrale leider nicht entscheiden, was auf den Etiketten stehen darf. Sie wird nur beratend und empfehlend tätig; entschieden wird durch den Gesetzgeber und die Behörden, die entsprechende Verordnungen des Gesetzgebers umsetzen. Und zum anderen hat die Verbraucherzentrale leider viel zu wenig Macht und mediale Reichweite, um sich in dieser Angelegenheit ernsthaft mit den Brauereien anzulegen, die mithilfe ihrer Dachorganisationen, nämlich des Deutschen Brauerbundes und des Bayerischen Brauerbundes, hervorragende Lobbyarbeit leisten.
Die ausführliche Antwort der Erdinger Brauerei zeigt deutlich, dass man einerseits aus Werbegründen am Wortlaut „Reinheitsgebot von 1516“ festhalten möchte, andererseits aber das Produkt basierend auf einer weiterentwickelten Interpretation „im Sinne des Verbrauchers“ positioniert. Das ist Dialektik in Reinkultur.
Gleichzeitig gelingt es dem Deutschen Brauerbund auf Bundesebene (und noch besser dem Bayerischen Brauerbund auf Landesebene) bei jeder Diskussion um das Reinheitsgebot zunächst – themenfremd – auf die Qualität, Vielfalt und lange Tradition deutschen (bayerischen) Biers hinzuweisen, danach ein wenig die Begrifflichkeit des Original-Reinheitsgebots zu vernebeln (Weizen ist schließlich ein höherwertiges Getreide als Gerste), und dann, wenn der Leser (Hörer, Zuschauer) dann schon leicht eingelullt ist von Worthülsen und bei genauer Betrachtung recht inhaltsleeren, weil zu kurz springenden Argumentationsketten, die Drohkulisse von der Chemiekeule herauszuholen. Reflexartig wird jede, auch jede vorsichtig und zurückhaltend argumentierende In-Frage-Stellung des Reinheitsgebots sofort mit dessen ersatzloser Abschaffung gleichgesetzt und auf Konservierungsstoffe, künstliche Aromen oder gesundheitsgefährdende Zutaten hingewiesen. Beim Zuhörer bleibt genau dieser letzte Punkt hängen, und es heißt unreflektiert: „Jawoll, Chemie im Bier, das wollen wir nicht, und deswegen muss das Reinheitsgebot bleiben!“
Der Biertrinker wird so in exzellenter Manier manipuliert, und die ähnlich argumentierende Lobbyarbeit der Brauerbünde den Politikern gegenüber ist, wenn man sie auf ihren Zielerreichungsgrad hin analysiert, hervorragend. Brillant. Exzellent. Mein Respekt. Sehr professionell gemacht.
Dass schwarz-weiß argumentiert wird, fällt dabei gar nicht auf. Dass ein Anpassen des Reinheitsgebots entweder an seinen Original-Wortlaut oder an eine biologisch oder ökologisch basierte Zutatenliste nichts mit Chemiekeule, Konservierungsstoffen, Gesundheitsgefährdung zu tun hat, tritt völlig in den Hintergrund.
Warum sollte sich also der Verbraucher abwenden, wenn er in allen Medien ständig eingetrichtert bekommt, dass nur das Reinheitsgebot in der Lage ist, die Reinheit und Natürlichkeit des deutschen Biers zu sichern und deutsche Brauereien vor „ausländischen Chemiebieren“ zu schützen?.
3. Im kommenden Jahr feiert das Bio-Reinheitsgebot sein 25jähriges Bestehen. Nach inständigem Bitten des Bayerischen Brauerbundes sehen sie aber von Feierlichkeiten ab und überlassen dem Brauerbund die Festbühne. Welche Gedanken kommen Dir dazu?
Nur schlechte. Ich möchte nicht mutmaßen, was dort hinter den Kulissen abgesprochen, vielleicht sogar gedroht worden ist. War es wirklich inständiges Bitten, oder waren es vielleicht Drohungen mit einem kostspieligen Rechtsstreit? Ich weiß es nicht!
In der Argumentation der Brauerbünde und der Apologeten des Reinheitsgebots heißt es immer wieder, dass man für Bier kein Bio-Gebot brauche, da das Reinheitsgebot per se schon für die absolute Reinheit des Biers sorgen würde. Das ist zwar Unsinn, denn über die Qualität des verwendeten Malzes, des Hopfens und des Wassers verliert das Reinheitsgebot (und auch das vorläufige Biergesetz) kein Wort, es ist also durchaus möglich, dass auf den Äckern vorher mit der Chemiekeule gespritzt worden ist, aber durch die von mir oben schon erwähnte hervorragende Lobbyarbeit wird eine differenzierte Diskussion zu diesem Thema auf diese Art und Weise recht schnell erfolgreich erstickt. Die wenigen Brauereien, die es wagen, auf ihren Etiketten und in ihrer Werbung mit dem Begriff „Bio“ zu arbeiten, haben es dementsprechend schwer, sich durchzusetzen.
4. Inzwischen haben wir es in der Branche mit einem dritten zu klärenden Begriff zu tun: CRAFT, Handwerk. Auch steht Marketing im Vordergrund, und daß das Handwerk sekundär ist, beweist beispielsweise die Tatsache, daß eine Störtebeker Brauerei sich in Braumanufaktur umbenannt hat (geschätzter Ausstoß 200.000 hl). Wollen wir betrogen werden? Wollen wir in unseren Köpfen diese Bilder vom verschwitzten Brauer, der nachts bei Mondenschein mit seiner Mutter noch das Gebräu umrührt?
Ach, das ist ein ganz anderes Thema. Was heißt denn handwerklich? Craft ist in der Tat ein Modebegriff, der nichts wirklich aussagt. Ich bin Hausbrauer, und ich braue daheim alle paar Wochen mal 20 Liter Bier. Ich bin aber auch faul, und deswegen benutze ich dafür eine kleine, teure, vollautomatische Edelstahlanlage. Mit Temperatursteuerung, Umwälzpumpen, elektronischer Programmierung. Kein Rühren mit dem Holzscheit im offen befeuerten Kupferkessel. Also bin ich schon kein handwerklicher Brauer mehr, kein Craft-Brauer. Oder?
Was zählt, ist für mich der Geschmack des Biers. Ich kenne große Brauereien, denen es gelingt, selbst mit Sudgrößen von zig Hektolitern hervorragendes Bier zu brauen, und ich kenne Klein- und Kleinstbrauer, bei denen mich das Mitleid dazu zwingt, ihre Biere nicht in der Öffentlichkeit als untrinkbar zu bezeichnen, obwohl es angebracht wäre. Ich nenne hier keine Namen, aber wer meinem Blog über längere Zeit folgt, wird merken, wann ich mit einer Großbrauerei zufrieden oder mit einer Kleinbrauerei unzufrieden bin. Meistens ist es zwar umgekehrt, denn die meisten Produkte von Großbrauereien sind langweilig, profillos, geschmacksarm und auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht, gleichzeitig auf preiswerteste (billigste?) Herstellung optimiert und mit Argumenten beworben, die aus gutem Grund Segelschiffe, Strände, Eisvögel oder ähnliches in den Mittelpunkt stellen, aber nicht den Geschmack oder das Aroma. Kleinbrauereien legen hingegen viel Wert auf individuelle Geschmackserlebnisse. Oft geht’s aber daneben, und der entstandene Sudel wird trotzdem verkauft. Gerade im Gasthausbrauerei-Bereich passiert das oft. Da gibt es sowieso häufig nur das langweilige Triplett Hell – Dunkel – Weizen, und dann oft auch noch mit einer Infektion. Dem Kunden, der es nicht besser weiß, wird dieser „Hausgeschmack“ mit dem Argument verkauft, das müsse so schmecken, es sei schließlich handwerklich gebraut. Es ist also mit Craft wie mit allen anderen Modebegriffen. Für mich also eher bedeutungslos. Der Geschmack ist es, der zählt!
(In Klammern muss ich aber zugeben, dass ich mich des Begriffs Craft in meinem Blog trotzdem oft bediene, weil er so schön kurz und einprägsam ist. Asche über mein Haupt. Aber: Soll ich statt Craft-Bier-Bar jedes Mal Bier-Bar, die sich auf die derzeit so beliebten Spezial-, Degustations- und Kleinstbrauerei-Biere spezialisiert hat, schreiben?)
5. Was wünschst Du persönlich Dir für Dein Bier?
… dass es schmeckt. Mir schmeckt. Siehe oben, in der zweiten Hälfte meiner Antwort auf Frage 4. Egal, ob Craft oder nicht
….dass es mit natürlichen Zutaten gebraut ist, ohne künstliche Aromastoffe, ohne künstliche Farbstoffe, ohne Zutaten, die lediglich der preiswerteren Herstellung dienen, aber nicht zur Aroma- und Geschmacksqualität beitragen, ohne Konservierungsstoffe, und ohne Zutaten, die dazu dienen sollen, Brau- und sonstige Herstellungsfehler zu verschleiern und zu überdecken.
… dass alle verwendeten Zutaten auf dem Etikett angegeben sind, auch alle Hilfsstoffe. Und zwar nicht nur als „Hopfen“, sondern als „Amarillo, Cascade, Hallertauer Mittelfrüh“ etc.
… dass alle interessanten „technischen Daten“ angegeben sind, also Extraktgehalt, Bittereinheiten, Farbwerte, so dass ich schon beim Kauf weiß, was für ein Bier mich erwartet. Am besten auch mit einer etwas prosaischen Stilbeschreibung – ohne Werbeplattitüden, allerdings.
Fragen: Esther Isaak
wiederveröffentlicht von Bierguerilla
mit freundlicher Genehmigung der Autorin
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