On Tap Fresh Brew Craft Beer
Chinatown
SGP

„Ich muss beruflich nach Singapur“, verkündete ich neulich im Bekanntenkreis, und sofort bekam ich eine Reihe „Insidertipps“, was ich mir denn alles unbedingt ansehen müsse, wenn ich neben meinen Verpflichtungen auch einen Moment freie Zeit hätte. Jeder der ach so welterfahrenen Bekannten wusste etwas anderes, und doch hatten alle diese Tipps etwas gemeinsam: Es waren eben keine „Insidertipps“, sondern nichts anderes als der Abklatsch dessen, was selbst der dünnste Reiseführer über Singapur bereits in seiner Zusammenfassung („Wenn Sie nur einen Nachmittag Zeit haben…“) anbietet.

Den Super Tree Garden? Geschenkt.

Das Marina Bay Hotel mit dem riesigen Schiff als Aussichtsplattform in 200 m Höhe? Ja, klar, ein echter Insider. Man sieht diesen gewaltigen Bau ja auch erst dann, wenn man direkt davor steht …

Das Raffles-Hotel? Gerne, wenn man die Blase der Dienstreisenden und Geschäftsleute nicht verlassen möchte.

Nein, nein, nein! Das ist alles nichts. Dort treffe ich doch überall nur wieder auf die ewig gleichen Business-Typen, die sich bereits für verwegene Globetrotter halten, wenn sie die Krawatte ihres Anzugs ablegen und auf eigene Faust den Weg vom Taxistand bis zum Edelrestaurant zurücklegen, dort dann internationale Küche mit einem Hauch asiatischer Gewürze bestellen und – Geheimtipp! – ein thailändisches Singha-Bier bestellen.

Stattdessen lasse ich mich doch lieber treiben. Nehme eine Metro-Station, deren Name interessant erscheint, und gehe einfach drauf los. Heute also China Town.

Raus aus der Metro, hinein ins Getümmel. Mal links abgebogen, mal rechts, die Gassen werden kleiner, die Lichter bunter. Chinesische Heilkunst hier, gebratene Hühnerfüße dort. Leckere Gerüche, manchmal auch nicht so lecker. Bunte Farben, fremde Geräusche, dichtes Gedränge.

Ein Wolkenbruch. Von einer Sekunde zur anderen scheint die Welt unterzugehen. Eine Wand aus Wasser, ich flüchte mich in das nächstbeste größere Gebäude, den Chinatown Complex. Winzige Blechbüdchen, eine neben der anderen, endlose Reihen, in einem großen, schmucklosen, parkhausähnlichen Betonklotz. Kleine Garküchen, Handwerksläden, Souvenirs, Kitsch. Was für ein Durcheinander.

On Tap Fresh Brew Craft Beer

Ich laufe die Reihen der Büdchen ziellos ab und bleibe plötzlich wie angewurzelt stehen: On Tap Fresh Brew Craft Beer. Wie bitte? Craft Beer? Hier?

Ein wenig misstrauisch nähere ich mich dem Stand, sehe die kleine Tafel mit der Übersicht der Biersorten und die einfach gestylten Zapfhähne. On Tap steht darauf. Kein richtiger Brauereiname, und auch keine exotischen Biernamen. Einfach nur der Bierstil: Pilsner, Dunkel, Wheat, English Bitter, Brown Ale, Porter.

Ich frage den freundlichen Herrn am Zapfhahn, wo die Biere denn herkämen? „Aus meiner eigenen kleinen Brauerei“, erwidert er stolz, „in Bukit Batok.“ Auf einer kleinen 2-hl-Anlage braue er dort seine Biere, erzählt er, und er lege viel Wert auf Qualität, Frische, Bekömmlichkeit, und definitiv nicht auf schnelles Wachstum.

die Zapfhähne sind direkt in die Kühlschrankfront integriert

Während er erzählt, nimmt er ein vorgekühltes Glas aus dem Tiefkühlfach und zapft mir ein Wheat. Ein frisches, leckeres und sehr sauberes Weißbier. Ganz ausgezeichnet. Ich blicke mich ein wenig um. Wenige Quadratmeter nur bietet der winzige Stand. Gerade mal genug Platz für die Zapfanlage und ein paar Kühlschränke, in deren Front ebenfalls ein paar Zapfhähne integriert sind. Ein paar Gläser, ein Waschbecken und dazwischen gerade mal so viel Platz, dass der Brauer sich einmal umdrehen kann.

Er zapft mir ein English Bitter. Malzig, hopfig-herb und ganz leicht karamellig. Und vor allem: Ebenfalls sehr sauber. Keine aufdringlichen Ester, keine Muffigkeit, keine sonstigen Geschmacksfehler. Ein süffiges und leckeres Bier.

Viele Stammkunden habe er hier, erzählt der Brauer weiter – Patrick, wenn ich seinen Namen richtig verstanden habe. Aber ab und an kämen auch mal Gäste, die den kleinen Ausschank zufällig hier entdeckt hätten. Wäre ja auch nicht so einfach zu finden, und große Reklame würde er nicht, bräuchte er nicht zu machen.

Pils

Ich probiere das Pilsner und bin erneut sehr zufrieden. Gerade dieser Bierstil, bei dem kleine Craft-Brauer so viel verkehrt machen können, ist ja etwas sensibel. Nein, hier und heute schmeckt es hervorragend. Ein klares, aber zurückhaltendes Hopfenbild, ein schlanker, aber nicht zu trockener Körper – sehr fein!

Tja, ein richtig echtes Pilsner sei es ja nicht, gibt Patrick mit einem Augenzwinkern zu. Er habe es mit obergäriger Hefe gebraut, aber mit einer sehr sauber vergärenden, und auch sehr kühl fermentiert habe er es, so dass keine störenden Ester entstanden seien.

Stimmt, hätte er es mir nicht gesagt, ich wäre nie im Leben darauf gekommen, dass hier eine obergärige Hefe zugange gewesen sei.

für eine freundliche Unterhaltung ist immer Zeit

Ich stehe noch eine Weile am Tresen, unterhalte mich mit dem kleinen, freundlichen und bescheidenen Brauer, nur ab und an unterbrochen, wenn andere Gäste sich ein frisches Bier holen. Nach China oder Vietnam solle er sein Bier versenden, erzählt er weiter, aber dann habe er ja keine Kontrolle über die Qualität mehr. Wer weiß, wie die Fässer während des Transports behandelt werden würden, wie das Bier schließlich gezapft. Nein, das sei nichts für ihn, da bliebe er lieber hier in seinem kleinen Craft Beer Booth im Chinatown Complex. Hier hätte er seine Stammkunden, die mit ihm und dem Bier zufrieden sind, und damit sei er glücklich. Denn um das ginge es doch, um gutes Bier und nette Menschen, die es trinken.

Wie wahr, wie wahr!

Der winzige Ausschank On Tap befindet sich im Chinatown Complex in der zweiten Ebene, im Stand mit der Nummer 075. Ein bisschen schwer zu finden, man muss gezielt auf den Plänen nach der Nummer suchen. Geöffnet ist tagsüber und am Abend durchgängig, und es gibt sechs Sorten Bier sowie einen Cider. Alles aus eigener Produktion. Zu erreichen ist der Chinatown Complex von der MRT-Station China-Town in etwa fünf Minuten.

Bilder

On Tap Fresh Brew Craft Beer
335 Smith Street / #02-075
Chinatown 050 335
Singapur

2 Comments

  1. Genau diesen Ausschank habe ich im letzten Jahr bei meinem Singapur-Besuch nach einem entsprechenden Tipp in dem wirklich sehr unübersichtlichen Einkaufszentrum lange gesucht, aber dann doch nicht gefunden. Schön, dass es ihn doch gibt und es dort sogar wirklich gutes Bier zu trinken gibt. Ein paar Ecken weiter fand ich dann doch noch eine mit belgischem Bier recht gut versorgte Bar, so dass ich in Chinatown zumindest nicht verdurstet bin.

    • Ja, entweder findet man ihn zufällig, oder man muss wirklich stur nach der Nummer vorgehen. Suchen ohne Anhalt ist recht unergiebig in dem Durcheinander. Ich bin unendlich froh, ihn zufällig gefunden zu haben – es war ein rundum schönes Biererlebnis.

      Volker

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