Eine Station mit der roten Metrolinie von der berühmten Union Station in Richtung Norden, dann einmal unter den Schienen hindurch in Richtung Osten, und schon steht man vor der Glastür, die ins Reich der Red Bear Brewing Co. führt.
Das Gebäude ist, wie so oft in den Seitenstraßen Washingtons, nicht sehr attraktiv. Rote Ziegelwände, große, teils blinde Fenster, alles sieht ein bisschen heruntergekommen aus. Aber einmal durch die Glastür gegangen, ändert sich der Eindruck.
Eine lange Theke zieht sich U-förmig durch den großen Saal. Im Inneren des „U“ hängen die großen Tafeln mit dem Bierangebot und reihen sich die Zapfhähne auf, außen herum stehen Tische und Bierbänke, an denen sich die Besucher verteilen. Die, die allein kommen, suchen sich eher einen Platz an der Theke und versuchen dort, Anschluss zu finden oder die Sportbeiträge auf den großen Bildschirmen zu verfolgen.
Ich spaziere einmal durch die Halle und sehe gegenüber vom geschlossenen Ende des „U“ die Brauerei. Silbrig glänzende Gärtanks und ZKGs aus Stahl stehen in zwei Reihen nebeneinander, und weiter hinten sehe ich die Pfannen und Bottiche des Sudwerks, ebenfalls aus Stahl. Heute ist mit Sicherheit nicht gebraut worden, denn zwischen den ganzen Installationen stehen palettenweise Pappkartons herum, Fässer verteilen sich in den Zwischenräumen, und ein kleiner Hubwagen mit Holzpaletten versperrt ebenfalls den freien Weg. Aber genauer lässt es sich nicht erkunden – eine dicke Kette verwehrt Besuchern den Zugang zur Brauerei. Kucken ja, hineingehen nein, heißt die Devise.
Die vorderen Tanks und die auf einem Metallgestell stehenden Holzfässer sind – gestern war Halloween! – mit künstlichen Spinnweben verziert, an der Decke hängen Lampions in Kürbisform, und an der Theke sitzt, ganz einsam und allein, ein Skelett und stiert, die Baseballkappe tief in die Stirn gezogen, missmutig in ein leeres Glas Bier.
Ich stelle meinen Rucksack unter die Theke und studiere die große Tafel mit dem Bierangebot. Vierzehn Holztäfelchen hängen auf einem Gitterrost, der wiederum in einem Holzrahmen installiert ist. Vierzehn spannende Biere. Vierzehn Mal der Name des Biers, der Stil, der Alkoholgehalt und die Bittere in IBUs. Und natürlich der Preis. Eigentlich sehr übersichtlich, das Ganze.
Uneigentlich stutze ich aber schon. Unter dem Holzrahmen sind 24 Zapfhähne, scheinbar sind nicht alle in Betrieb. Und die Nummerierung der vierzehn Täfelchen ist auch seltsam. 1, 2, 4, 5, 6, 7, 9, 11, 13, 15, 16, 17, 18 und … 51. Nun ja… Die Idee hinter der 51 erschließt sich mir, weil das Bier 51st State heißt und daneben mit Kreide die Flagge von Washington D.C. gezeichnet ist. Die subtile Botschaft, dass die Bewohner Washingtons gerne der 51. Bundesstaat der Vereinigten Staaten wären, und nicht nur ein District, der dem Kongress direkt unterstellt ist und dessen Bewohner nur ein eingeschränktes Wahlrecht haben. Eine der vielen Merkwürdig- und Unstimmigkeiten der US-amerikanischen Demokratie.
Der etwas exaltiert auftretende junge Barmann fragt mich nach meinen Wünschen, und ich erkläre ihm, dass ich heute lieber nach etwas gut Trinkbarem suchen würde, „low in alcohol, you know?“
„Schadenfreude“, erwidert er, und verständnislos schaue ich ihn an. Schadenfreude? Wieso? Und wieso spricht er deutsch? „Schadenfreude. It’s a dry hopped pilsner, with just 4,8% alcohol. Wanna try?“ Der Groschen fällt langsam, und ich nicke: „Yes, indeed, a small glass, please.“
Das Bier gefällt gut. Feine Hopfenaromen, nicht zu viel, aber trotzdem spürbare Bittere (33 IBU, erklärt mir die Holztafel), schön ausgewogen und wirklich gut trinkbar. Davon würde jetzt problemlos auch ein richtig großes Glas gehen, denke ich. Durst genug hätte ich.
Aber auch genug Vernunft, um den Abend langsam anzugehen, füge ich in Gedanken hinzu, und bleibe meinem Entschluss treu, heute nur kleine Gläschen zu trinken. Die Auswahl ist schließlich groß, da möchte ich gerne mehr als nur eine Sorte verkosten.
Ich schaue nach dem Alkoholgehalt und bestelle das 4,6%ige NoMa Pride. NoMa ist der Name des Stadtbezirks, in dem sich die Red Bear Brewing Co. befindet – North of Massachusetts Avenue. Es handelt sich um ein SMaSH Pale Ale, ein Single Malt and Single Hops Pale Ale, gebraut nur mit einer Sorte Malz und einer Sorte Hopfen. Milchig trüb kommt es ins Glas und erinnert mich sehr an die New England IPAs, die derzeit so in Mode sind. So trüb, dass die Biere eher wie ein Fruchtsaft aussehen als wie ein „richtiges“ Bier. Leuchtend orange, blickdicht trüb, mit nur wenig, aber haltbarem Schaum steht das Bier vor mir. Das Aroma ist fruchtig, und eine ausgeprägte Bittere dominiert die Sinneswahrnehmungen im Mund, obwohl die 38 IBU doch gar nicht so viel mehr sind als die 33 eben in dem anderen Bier.
Spätestens nach dem zweiten Bier kommt der Hunger. Immer.
Ich frage den Barmann, was es denn drüben in der Küche, in die man durch ein offenes Fenster hineinsehen kann, alles gibt. „Oh, da muss ich Dir erst eine Geschichte erzählen“, heißt es, und ich erfahre, dass die Red Bear Brewing Co. die Küche nicht selbst betreibt, sondern immer mal wieder einen neuen Caterer hineinlässt. Heute ist es das Team Smoke & Ember, das sich auf Wood Fired BBQs spezialisiert hat und immer mal wieder eine Pop-up Küche aufmacht. Derzeit für ein paar Wochen halt hier in der Brauerei. Ein nettes Konzept, stellt es doch sicher, dass nicht nur die Biere, sondern auch die Speisen immer mal wieder durchrotieren.
Das Pulled Pork mit dicken Bohnen, das ich mir aussuche, schmeckt gut. Kräftige Raucharomen, deftiges, aber ganz zartes Fleisch – eine sehr gute Begleitung zum kräftig bitteren Bier.
Apropos Bier: Mein Glas ist schon wieder leer. Ich schaue auf die Tafeln. Ein Brut Kölsh sticht mir ins Auge. Kölsh? Naja, immerhin schon mal mit dem richtigen Umlaut geschrieben. Aber ein Brut Kölsh, also ein knochentrocken vergorenes, gibt es laut Kölsch-Konvention bestimmt nicht, und schon gar nicht mit 6,4% Alkohol, also in Bockbier-Stärke. Aber ich probiere es trotzdem, unter anderem auch wegen seines originellen Namens: Dom Peri-Yaaas. Nicht Dom Perignon, sondern Dom Peri-Yaaas, nicht „non“, sondern „yes“. Gebraut mit Hallertau Blanc Hopfen und vergoren mit Chardonnay-Trauben, also ein Bier mit durchaus weinigem Charakter. Lediglich 21 IBU. Sein fruchtiger und in der Tat leicht weiniger Charakter ist nett. Blumig, ganz leicht säuerlich, ziemlich trocken. Aber leider zum Essen nicht wirklich passend – da habe ich mich mit meiner Auswahl selbst in die Falle gelockt, denn dass diese weinigen Aromen nicht wirklich zum Rauch passen, hätte ich eigentlich vorher wissen können.
Ein letztes Bier gönne ich mir noch, bevor ich wieder aufbreche. Ein ESB, vielleicht? Ein Extra Special Bitter? Ein Bier in diesem englischen Stil habe ich schon lange nicht mehr getrunken – das gibt es in der Szene der Kreativbrauer nur recht selten. Der merkwürdige Name – Cammy Cam Cam’s – schreckt mich nicht ab, und so kann ich mich an einem bräunlichen, wirklich schön bitteren (50 IBU!) Bier mit 5,9% Alkohol erfreuen. Ein kräftiger, kerniger Abschluss eines netten Aufenthalts hier in der Brauerei.
Ein netter und mitteilsamer Service, noch erträgliche Preise, ein interessantes Küchenkonzept und ein breites Bierangebot, das auch einige nicht übermäßig alkoholstarke Biere umfasst – die Red Bear Brewing Co. ist durchaus eine Empfehlung wert. Und auch wenn man in der Unterführung, die von der Metro hierher führt, zwischen Obdachlosen, die sich hier mit Plastikplanen, Einkaufswagen und Schlafsäcken ihre improvisierten Quartiere eingerichtet haben, Zickzack laufen muss, sollte man sich davon nicht abschrecken lassen. Die armen Teufel, die sich hier verkrochen haben, sind friedlich und freuen sich aufrichtig über ein paar nette Worte und ein, zwei Dollar.
Die Red Bear Brewing Co. ist täglich ab 15:00 Uhr, freitags bereits ab 13:00 Uhr und sonnabends und sonntags schon ab 11:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Von der Metro-Station „NoMa-Gallaudet U New York Ave“ der roten Linie sind es ungefähr fünf Minuten zu Fuß.
Red Bear Brewing Co.
209 M Street NE
Washington
DC 20002
USA
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