The Sovereign
Washington D.C.
USA

Zwei Tage Stop-over in Washington D.C. Ausgerechnet über Halloween … Schlimmer hätte es nur kommen können, wenn mich statt des Massenschwachsinns des Halloween-Fests die geschlossenen Bars und Restaurants am Thanksgiving-Day begrüßt hätten. Wo trinke ich jetzt halbwegs in Ruhe ein Bier, ohne von Pappnasen genervt zu werden? Gutes Essen, eine große Bierauswahl – das sollte in Georgetown eigentlich nicht so schwierig sein.

The Sovereign, Washington D.C., Bier in den U.S.A., Bier vor Ort, Bierreisen, Craft Beer, Bierrestaurant
es gibt wahrhaftig schöner gelegene Bierrestaurants – die USA zeigen sich mal wieder in ihrer ganzen Hässlichkeit

Ist es auch nicht, stelle ich eine halbe Stunde später fest. Ein kleiner Spaziergang die M-Street entlang, dann einmal rechts abgebogen und durch einen schmalen Gang zwischen zwei hässlichen Betonwänden hindurch, und ich stehe vor The Sovereign, einem gehobenen Restaurant mit belgisch inspirierter Küche und rund 50 verschiedenen Bieren vom Fass. Plus mehrere hundert Flaschenbiere.

Drinnen empfängt mich eine durchaus gediegene Atmosphäre. Viel dunkles Holz, dick gepolsterte Bänke, teils mit Leder, teils mit gemusterten Stoffen bezogen. Zahlreiche kleine Leuchten sind stark heruntergedimmt und geben nur sehr spärliches Licht. Mir persönlich ist es zu dunkel, aber immerhin passt es stimmig zum Gesamteindruck.

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durchaus gemütlich, aber zu dunkel

Die fünfzig Zapfhähne – ich habe sie nicht nachgezählt – sind in zwei größeren Gruppen an der Rückwand der Bar installiert, rund zehn Hähne finden sich in einer Zapfhahnbatterie auf der Theke, an der ich jetzt auch Platz nehme.

Die sehr freundliche junge Dame hinter der Theke – ihr buntes Kostüm ist zum Glück das einzige, das hier im Sovereign an Halloween erinnert – reicht mir eine Bierliste rüber und fragt mich nach meinen Wünschen. Angesichts einer Auswahl von fünfzig Bieren bitte ich um einen Moment Geduld und studiere zunächst die Liste. Was mir an ihr gefällt, ist, dass die Biere nach ihren wesentlichen Geschmacksprofilen sortiert sind. Es gibt eine Rubrik „Tart + Funky“, eine „Fruit + Spice – Bright“, eine „Fruit + Spice – Dark“ und so fort.

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Den Text mal eben überfliegen? Unmöglich!

Zu jedem Bier sind reichlich Informationen angegeben, wenn auch nicht gerade übersichtlich gedruckt. Brauereiname, Biername und Preis finden sich in der ersten Zeile, danach in der zweiten dicht hintereinander und eng gedruckt der Bierstil, der Alkoholgehalt, die Stadt oder der Bundesstaat und das Land, woher das Bier stammt, dann die Zapftemperatur in Fahrenheit (was immer die dem Rest der nicht-amerikanischen Menschheit sagen soll) und schließlich die Standard-Mengenangabe in Unzen, was zwar ebenfalls keinem Nicht-Amerikaner was sagt, aber auch völlig egal ist, denn sie ist bei allen Fassbieren gleich: 13 oz. Schließlich folgt ein bis zu vier Zeilen langer Prosatext, der das Bier und seine Besonderheiten erläutert. Abgesehen von der unübersichtlichen Gestaltung vorbildlich!

Ich beginne mal mit dem Veraison der Wolves & People Farmhouse Brewery aus Oregon. Stilistisch ein Saison, das in Eichenfässern gelagert wurde und ausschließlich mit lokalen Zutaten aus dem Bundesstaat Oregon gebraut wurde. 5,9% Alkohol. Es ist kräftig gelb, schon ins Orangene tendierend, hat einen sehr lange haltbaren Schaum und erfreut mit feinen, dezent phenolischen Aromen, einem kernigen Mundgefühl und einer recht kräftigen, ausdrucksstarken Herbe im Abgang. Ein guter Auftakt.

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das Veraison

Während mir die junge Dame das zweite Bier zapft, das Shambolic aus der Brauerei Tired Hands, blättere ich durch die Speisekarte und entschließe mich zum Essen für ein Coq au Gueuze, die bierige Interpretation eines klassischen Coq au Vin. Das Shambolic, ebenfalls ein Saison, hat 6,5% Alkohol, kommt aus Pennsylvania, ist mit Dinkel gebraut und mit Nelson Sauvin du Simcoe hopfengestopft, was ihm neben den phenolischen Aromen der Hefe auch eine leichte, fruchtige Weinigkeit verleiht. Mir gefällt es gut, und es passt von seinem Charakter auch gut zum inzwischen servierten Coq au Gueuze.

Ich versuche, mit der Bartenderin bezüglich der Bier- und Essenskombination zu scherzen und frage, ob der Koch auch Coq au Saison anböte oder wenigstens darüber schon einmal nachgedacht habe, schaue aber in zwei völlig verständnislose Augen. „Ach, ist schon gut“, winke ich ab, als ich merke, dass ich sie damit überfordere. Sie hatte eben, bei der Bestellung des Coq au Gueuze schon gestutzt und musste nachschauen, wo ich in der Karte meinen Finger hingelegt hatte. Mit der Speisekarte hat sie sich wohl noch nie wirklich beschäftigt… Entweder ist es ihr völlig egal, was da drinsteht, oder es geht ein bisschen über ihren Intellekt.

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Coq au Gueuze

Ein weiteres Saison interessiert mich, und zwar das Hickory der Brauerei Scratch aus Illinois. Ich frage die Bedienung, wie es schmeckt, ob man denn die Aromen des Walnussbaums, mit dessen Blättern, Nüssen, Schalen und Rinde es angeblich gebraut ist, auch herausschmecke. Sie greift zur Bierkarte, sucht das Bier und liest mir vor, was ich gerade eben selbst durchgelesen habe. Wenig hilfreich. Ich bestelle also auf gut Glück. Das Bier erweist sich als interessant, es tauchen nicht nur nussige, sondern auch holzige und kräuterige Aromen auf, die teilweise an Suppengewürz, an Kräutertees und an feuchten Waldboden erinnern. Spannend, aber nur so als Bier ganz allein für sich wirkt es nicht wirklich überzeugend. Mit würzigem Essen dazu, fleischbetont und deftig, und dann als kulinarische Ergänzung, da könnte dieses 5,8%ige Bier durchaus gefallen. Kleine Schlucke zu jedem Bissen, das würde passen.

Nach drei sehr unterschiedlichen Saisons steht mir für das Abschlussbier nun der Sinn nach etwas anderem. Eine Gose fällt mir auf, mit Nelson Sauvin hopfengestopft, gebraut von der Brauerei Aslin in Virginia. Nur 4,8% Alkohol und gereift in Weißweinfässern. Das klingt gut, das bestelle ich mir. Sichtlich bemüht, ihre Unwissenheit zu überspielen, ermuntert mich die wirklich nette, aber doch recht naive Dame: „Eine sehr gute Wahl!“ Mir liegt auf der Zunge, sie zu fragen, warum gerade dieses Bier eine gute Wahl sei, aber ich schlucke die Frage lieber herunter und freue mich einfach so auf das Bier.

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Gose von Aslin

Das Bier ist das erste für heute, das klar im Glas steht. Ist es gefiltert, oder steht das Fass schon tagelang aufrecht und kühl, so dass sich alle Trubstoffe haben absetzen können? Die Farbe ist kräftig golden, der Schaum stabil, und die Aromen, sowohl in der Nase als auch auf der Zunge werden vom weinigen Charakter des Nelson Sauvin Hopfens geprägt, vielleicht auch von den Weinfässern, in denen das Bier gelagert wurde. Die Säure, die zum Bierstil Gose gehört, ist gerade noch akzeptabel, fast schon zu kräftig, und das leicht mineralische Aroma, das im Originalrezept für Gose vom Salzgehalt des Brauwassers stammen soll, ist ebenfalls schon fast zu hoch.

Machen wir uns nichts vor: Die US-Amerikanern tendieren dazu, Geschmacksnuancen nicht als solche, als Nuancen nämlich, zu verstehen, sondern die zugrundeliegenden Aromen und Geschmäcker zu intensivieren, zu übertreiben. Im Resultat harmoniert in diesem Bier leider nicht mehr viel. Etwas weniger Säure, deutlich weniger Salz, und schon wäre es ein schön harmonisches Bier geworden…

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zwanzig Zapfhähne – sauber aufgereiht

Ich bin mit meinem heutigen Besuch trotzdem zufrieden. Das Essen war vorzüglich, die Bierauswahl riesig, die Atmosphäre angenehm ruhig, wenn auch etwas zu dunkel. Für den Gast, der selbst ein paar Bierkenntnisse mitbringt oder sich einfach überraschen lassen möchte, ganz ausgezeichnet. Die Beratung bezüglich der Biere allerdings ließ zumindest heute ein bisschen zu wünschen übrig. Trotzdem: Große Empfehlung!

The Sovereign bietet als Kombination von Restaurant und Bierbar auf zwei Ebenen belgisch inspirierte Küche sowie 50 Fassbiere und rund 350 Flaschenbier in für Belgien typischen Bierstilen an. Es ist täglich ab 17:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Freitags gibt es ab 11:30 Uhr zusätzlich Lunch, sonnabends und sonntags ab 11:00 Uhr Brunch, jeweils bis 15:00 Uhr. Nimmt man den Circulator-Bus und steigt an der Haltestelle M St NW & Wisconsin Ave NW aus, geht man 30 Meter weit in Richtung Norden in die Wisconsin Ave hinein und biegt dann in den schmalen Gang zwischen den Häusern links ein.

Bilder

The Sovereign
1206 Wisconsin Ave NW
Washington
DC 20007
USA

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