Ich stehe im Flughafen von Zürich und schlage in der Buchhandlung etwas Zeit tot, bevor der Anschlussflug geht, als meine Frau ruft: „Kuck mal hier, ein Comic über Bier!“
„Ein Comic über Bier? Och, nee, komm‘, geh‘ fort damit. Das ist doch albern. Bunte Bildchen, alberne Witzchen, oder wie? Lass‘ sein. Ich hab‘ schon ein Buch aus dem Tomus-Verlag mit nicht witzigen Witzen über Bier, und ein anderes aus dem Eichborn-Verlag, über das ich auch nur lachen kann, wenn ich mindestens drei Halbe Doppelbock intus habe. Nee!“
Angesichts der Zeit, die es totzuschlagen gilt, siegt dann aber doch die Neugier. „Zeig mal her! – Hm, sieht ja gar nicht mal so übel aus …“
Ich beginne zu blättern, lese mich fest, und ehe ich mich versehe, stehe ich an der Kasse und bezahle.
Ein Comic über Bier.
Aber eigentlich doch kein Comic, zumindest nicht im ursprünglichen Sinn des Wortes, demzufolge Comic von Komik kommt. Sondern eher ein Sachbuch, ein Geschichtsbuch gar, über das beliebteste Getränk der Menschheit vom Jahr 7000 vor unserer Zeitrechnung bis zur heutigen Craft-Bier-Revolution.
Nach einer kurzen, etwas merkwürdigen Einleitung, die holprig zur eigentlichen Erzählung hinleitet, folgen rund 180 Seiten mit einem chronologischen Abriss der Geschichte des Biers. Sehr informativ wird der Bogen geschlagen von der vermutlich zufälligen Entdeckung des Biers in der Antike über die Alewives und Brewsters der Dark Ages und des Mittelalters, den Siegeszug des Hopfens, die ersten Industriebiere, die Rolle von Wissenschaft und Politik in der Entwicklung des Biers bis hin zur Prohibition in den USA und schließlich in deren Folge der Verarmung des Biermarkts. Lediglich 44 Brauereien zählt dieses riesige Land im Jahr 1979, als schließlich die Craft-Bier-Revolution beginnt: Zum Zeitpunkt der Herausgabe des Buchs gibt es rund 3200 Brauereien in den Vereinigten Staaten, und weitere zweitausend, so heißt es, sind in Planung.
Eine gewaltige Geschichte, und die beiden Autoren, Jonathan Hennessey und Mike Smith, vermögen es, diese Geschichte mit kurzen, aber plastischen Beschreibungen zu erzählen, und Aaron McConnells Illustrationen erwecken ihre Worte zum Leben.
Gut gefällt, dass viele Szenen und Dokumente in den Zeichnungen sehr originalgetreu wiedergegeben werden und Aaron McConnell der Phantasie nur dort freien Lauf lässt, wo es keine Originalquellen oder Bilder gibt, auf die er Bezug nehmen könnte. Aus einem bunten Comic-Heftchen wird so ein ernstzunehmender Bildband, der insbesondere dem noch nicht mit mehreren Dutzend Bierbüchern ausgestatteten Liebhaber noch viele neue Informationen liefert. Wirklich schön.
Eingestreut in die acht Kapitel sind illustrierte Beschreibungen von Bierstilen mit ihren technischen Daten wie Farbe (in Standard Reference Method Einheiten – SRM), Bitterkeit (in International Bitterness Units – IBU) und Alkoholgehalt (in Volumenprozent – ABV) sowie ihren wichtigsten Charakteristika und ein paar Absätzen mit wissenswerten Details rund um das jeweilige Bier. Die Informationen basieren im Wesentlichen auf den Stilbeschreibungen des Beer Judge Certification Programs BJCP, haben also Hand und Fuß. Gut!
Ein bisschen albern erscheint mir lediglich die Darstellung der Hefezellen, die – offensichtlich mangels besserer Visualisierung – als kleine bagger-ähnliche Fress-Maschinen auftreten. Erst bei der dritten Wiederholung dieser Stilisierung fiel bei mir der Groschen – gar zu weit hergeholt war die Idee, die Assoziation des Illustrators.
Ach, und das Schlusskapitel… Hier können die beiden Autoren und der Grafiker nicht aus ihrer Haut. Eine pompöse, bombastische Darstellung der Craft-Bier-Revolution – schwärmerisch überhöhend, mit dem Star Spangled Banner an der Spitze der in den Himmel wachsenden Bierflaschen. Kritiklose Selbstüberschätzung und texanische Großmannssucht tragen ein wenig zu dick auf, hinterlassen den schalen Beigeschmack uramerikanischer Überheblichkeit und kritiklosen Glaubens an die nie angezweifelte oder hinterfragte Rolle der USA, die selbsternannten Retter der (Bier-) Welt zu sein.
Wer humorvoll über dieses übertriebene Kapitel hinweglesen kann, wird von dem Buch durchaus begeistert sein und sich auch nicht daran stören, dass die Zeichnungen in manchen Kapiteln durch ihren Realismus und in Folge die gedeckten Farben und teilweise geringen Kontraste die Augen schnell ermüden und ein Lesen im gemütlichen Halbdunkel unmöglich machen.
In der Summe also ein schönes Buch – ein informativer und unterhaltsamer Comic für Erwachsene. Leider allerdings auch aufgrund des Preises nur für Erwachsene – über dreißig Franken sind schon eine Ansage!
Jonathan Hennessey & Mike Smith
Art by Aaron McConnell
The Comic Book Story of Beer
Ten Speed Press
Berkeley 2015
ISBN 978-1-60774-635-5
Be the first to comment