Deutscher Brauerbund et. al.
Bier – Unser Volksgetränk

Ich liebe es, in alten Bierbüchern zu schmökern und in Gedanken auf eine Zeitreise zu gehen. Wie haben die Menschen damals gelebt, woran haben sie Spaß gehabt, wie waren sie gekleidet, was haben sie gegessen und getrunken, wie sind sie miteinander umgegangen? Und welche Rolle spielte das Bier in ihrem Leben.

Manche Bücher reichen nur ein paar Jahre in die Vergangenheit, zwanzig oder dreißig vielleicht, und trotzdem bin ich beim Blättern und Lesen überrascht, wieviel sich seit damals verändert hat und an wie viele Dinge ich mich gar nicht bewusst erinnere, obwohl ich sie doch selbst miterlebt habe.

Und dann gibt es Bücher, die erschienen sind, als ich noch gar nicht auf der Welt war, und die mich entführen in eine Zeit, die ich nur aus Erzählungen meiner Eltern und Großeltern kenne. So wie das Buch „Bier – Unser Volksgetränk“, das 1956 im Steinbock Verlag in Hannover erschienen ist und als gemeinsames Werk des Deutschen Brauerbunds, weiterer Brauer-Vereinigungen, der Fakultät für Brauwesen in Weihenstephan und der Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin erschienen ist.

Auf über 130 Seiten (die Zahl ist geschätzt, denn merkwürdigerweise sind die Seiten nicht nummeriert) gibt das Buch einen reich bebilderten Überblick über die deutsche Bierkultur in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Seltsam vertraut erscheinen mir manche Fotos, sie erinnern mich an Bilder aus dem Familienalbum, aus dem alten Schuhkarton meiner Oma, die mit meinem Opa die Bahnhofskneipe in meinem Geburtsort betrieben hat. Die Menschen, die beim Bier zusammensitzen, ihre Kleidung, die Einrichtung, das Geschirr – fast höre ich die Stimme meiner schon lang verstorbenen Oma, die mir aus dieser Zeit erzählt.

Aber es sind nicht nur Bilder von Menschen beim Biergenuss, sondern es sind auch zahlreiche Fotos, die dokumentieren, wie seinerzeit das Bier hergestellt, abgefüllt und vertrieben wurde. Harte Arbeit in der Mälzerei und im Sudhaus, weiß bekittelte Wissenschaftler in der Lehre und im Labor, Bierfahrer mit Lederschürzen und Schirmmützen, die teils mit Pferdefuhrwerken, teils aber auch schon mit Lastwagen über manchmal noch unbefestigte Wege und Straßen das Bier ausfahren.

Die Abfüllung erfolgte in Holzfässer, teils aber auch schon in rundliche, bauchige Stahlfässer. KEGs gab es damals noch nicht. Die Flaschenabfüllung in Bügelflaschen, die dann in Blech- oder Holzkisten gestellt wurden, aber auf einer Seite wird schon stolz gezeigt, wie Bier in Blechdosen gefüllt wird: „Dosen sind die jüngsten Erzeugnisse einer fortschrittlichen Zulieferindustrie“, heißt es in der Bildüberschrift, die eine Reihe von Bierdosen zeigt, die eher an Konservenbüchsen als an unsere heutigen Aluminiumverpackungen erinnern.

Hunderte von detailreichen und sorgfältig ausgewählten Schwarzweiß-Bildern dokumentieren in faszinierender Vielfalt das Leben mit dem und rund um das Bier.

Die erläuternden Texte sind kurz, meistens ein wenig oberflächlich und laden wenig zur Diskussion ein. Dogmatisch wird auf das sogenannte „Reinheitsgebot“ verwiesen, Beschreibungen des Brauprozesses werden im Ungefähren gelassen, als ob es sich bei der detaillierten Kenntnis der einzelnen Prozessschritte um Herrschaftswissen handeln würde. Und das war es ja eigentlich auch – die Veröffentlichung von Anleitungen zum Bierbrauen war seinerzeit nicht legal, und so beschränkt sich das Buch auf Angaben wie „Der Brauer muss genaue Temperaturen einhalten, damit sich die Stärke in Zucker verwandelt.“

Ich muss an meinen alten Biologielehrer denken, der uns Schüler in den siebziger Jahren ähnlich wertfreie Merksätze hat auswendig pauken lassen, um sie in überraschenden Tests wortgenau abzufragen. Überflüssiges, weil nicht anwendbares Wissen. Schein-Wissen, sozusagen.

Aber so war die Zeit damals.

So ist dieses Buch nicht nur ein schöner Bildband mit hochauflösenden Fotos auf glänzendem Papier, so dass auch die feinsten Details zu erkennen sind, sondern auch ein Zeugnis davon, wie damals gedacht und Wissen vermittelt wurde.

Mir hat es große Freude bereitet, mich auf eine Zeitreise zu begeben, und an gemütlichen Winterabenden nehme ich ab und an nicht nur die Fotoalben meiner Eltern und Großeltern in die Hand, sondern auch genau diese Sorte Bücher.

Deutscher Brauerbund et. al.
Bier – Unser Volksgetränk
Steinbock Verlag
Hannover, 1956
ISBN -ohne-