Schön war es am 18. April 2020 gewesen, sich wenigstens virtuell mal zu einer gemeinsamen Bierverkostung getroffen zu haben, und so war der Entschluss schnell gefasst: Das machen wir in zwei Wochen wieder! Es wäre doch gelacht, wenn die Hausbrauer Nassauer Land sich vom Virus SARS-CoV2 vom gemeinsamen Biertrinken abhalten lassen würden.
Weniger schnell ging es dann mit der Entscheidung, welchen Bierstil wir verkosten. Belgien vielleicht? Belgische Abteibiere? Gibt es solche in der jeweiligen Heimatregion der Verkostungsteilnehmer zu kaufen? Und wenn ja, welche? Oder kann man sie sich noch rechtzeitig zuschicken lassen?
Es dauerte ein paar Tage, bis wir uns geeinigt hatten: Jeder besorgt mal, was er so an belgischen Abteibieren bekommen kann, und dann schauen wir über Doodle mal, welche davon jeder hat.
Naja, am Ende landeten wir bei zwei Abteibieren, sogar Trappistenbieren, die aber nicht aus Belgien stammten, sondern aus den Niederlanden (La Trappe), und zwei Strong Blond Ales, die zwar aus Belgien stammten, aber keine Abteibiere waren (Duvel). Einer hatte immerhin noch Biere von Leffe aufzubieten, die zwar aus dem weltgrößten Bierkonzern ABInBev stammen und mit echten Abteibieren nichts zu tun haben, aber immer immerhin geschmacklich und stilistisch halbwegs passen. Und der Allgäuer Teilnehmer an der Verkostung, meine Wenigkeit nämlich, hatte gleich gar keine passenden Biere auftreiben können, weder belgisch noch Abtei, denn in der unmittelbaren Nähe gibt es so was nicht zu kaufen, und für den Internet-Versand kam die ganze Entscheidung zu spät – die Post schafft es wegen Überlastung derzeit nämlich nicht, zuverlässig innerhalb von zwei oder drei Tagen zu liefern.
Nun denn, so werden oben in Hessen ein paar Biere aus Belgien und den Niederlanden getrunken, und im Allgäu ein amerikanisches Bier und eines aus Berlin.
Kann man das noch Verkostung nennen? Oder ist es eher ein offener Stammtisch geworden?
Völlig Wurscht! Allerdings gilt für das Biertrinken ganz formal: „Thema verfehlt!“
Zwei Stunden lang fachsimpeln wir über die Bierszene und ihre rosigen Zeiten, als alles noch seuchenfrei genießbar war, und ihren Wandel nun unter den pandemiebedingten Einschränkungen. Über die belgischen Biere, über Trappistenbiere und ihre geschützte Bezeichnung und nicht zuletzt auch über die amerikanische Bierwelt und wie die sich wohl ändern wird.
Euer Chronist verkostet derweil zunächst ein West Coast Style India Pale Ale, und zwar das Union Jack der Brauerei Firestone Walker. Fast klar, nur ganz leicht opalisierend, und schön orange leuchtend steht es im Glas, trägt einen feinen, weißen Schaum und verzückt mit wunderbar fruchtigem, spielerisch leichtem Duft. Der Antrunk ist im ersten Moment süßlich, dann etwas hopfenbitter, aber weder die Malzigkeit noch die Bittere werden aufdringlich. Das Bier weicht angenehm ab vom typischen US-amerikanischen Ansatz „viel hilft viel“ und vereint auf sehr dezente Art die schönen, süßlichen Malznoten, duftige Aromen und eine deutliche, aber sehr saubere und nach dem Schluck nicht lange anhaltende Bittere. Ein Musterbeispiel für sorgfältige Komposition und Balance. 7,0% Alkohol und … fünf Sterne! Die hat es sich verdient.
Als zweites folgt ein Bier, das ebenfalls weder belgisch noch Abteibier ist, nämlich das Endboss Ale aus der Holy Shit Serie von Schoppe Bräu aus Berlin. Unter der Bezeichnung Holy Shit bringt Thorsten Schoppe immer mal wieder extrem starke Biere heraus, in diesem Fall ein Triple IPA mit 12,0% Alkohol. Immerhin kann ich so mit den Alkoholstärken meiner Mitgenießer auf der anderen Seite des Bildschirms mithalten, sie sogar übertreffen. Während im Raum Limburg und Frankfurt nun das Strong Blond Ale aus dem Hause Duvel verkostet wird, mache ich mich über das Endboss Ale her. Eine schöne dunkelgelbe, fast schon ein wenig orange wirkende Farbe, eine gleichmäßige Trübung, aber nur wenig Schaum, was angesichts der Alkoholstärke aber nicht verwundert. Die Nase erfreut sich an fruchtigen Aromen, teils wohl aus den Hopfensorten, teils aber auch Ester der bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit getriebenen obergärigen Hefe. Auf der Zunge erweist sich das Bier als angenehm fruchtig, ich schmecke und fühle retronasal tropische Früchte, bilde mir etwas Passionsfrucht und ein wenig Ananas ein und spüre eine intensive Malzsüße. Im Abgang kommt eine sehr feste, aber trotzdem samtige Bitterkeit zum Vorschein, und nach dem Schluck erst spüre ich den Alkohol mit einer angenehmen Wärme – auf Zunge und Gaumen hat er sich noch nicht in den Vordergrund gespielt. Erneut vergebe ich gedanklich fünf Sterne.
Was für eine vorzügliche Verkostung also!
Die alkoholstarken Biere fordern ihren Tribut, und nach etwas mehr als zwei Stunden steigen die ersten Verkostungsteilnehmer aus. Es geht nicht ganz so lang wie beim letzten Mal.
Schnell koordinieren wir noch das Thema für die nächste virtuelle Verkostung in zwei Wochen: Hefeweißbier. Das sollte doch jetzt ein Bierstil sein, von dem wir alle, egal, wo wir wohnen, ein paar typische Beispiele zeitgerecht einkaufen können. Auf dass es dann also eine Verkostung und nicht „nur“ ein stammtischmäßiges gemeinsames Biertrinken wird.
Ein virtuelles „Cheers!“ klingt einmal quer durch Deutschland.
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