Das Jahr 2013 ist vorbei – unwiderruflich. Und in Gänze! Denn bereits seit Anfang Dezember überbieten sich Zeitungen, Fernsehen und Blogs im Wettlauf um den ersten Jahresrückblick. Analysen der vergangenen zwölf (eigentlich oft nur elf) Monate beleuchten Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Sport aus allen möglichen und unmöglichen Blickwinkeln. Frühanalysten blicken panisch auf Spätereignisse, wie zum Beispiel den Tod von Nelson Mandela oder den Bombenterror in Wolgograd. Ereignisse, die die Dreistigkeit hatten, erst nach dem mentalen Jahresabschluss stattzufinden.
2013 war ein bewegtes und bewegendes Jahr. Für mich ganz persönlich, für meine eigene Betrachtung der Welt des Bieres. Auf meiner Suche nach gutem Bier bin ich erneut durch große Teile Europas und Teile Asiens gereist, habe Brauereien besucht, Bierbars getestet, mich auf Bierfestivals herumgetrieben und in guten Biergeschäften die Vorräte für daheim aufgestockt. Die Bierszene ist dynamisch gewesen. Die sogenannte Craft-Bier-Revolution ist auf dem Vormarsch.
Selbst im bierkonservativen Deutschland entstanden zahlreiche neue Kleinbrauereien. Junge Wilde, die sich an neuen, exotischen Bierstilen üben. Mit teilweise beachtlich hohen Eigeninvestitionen, teilweise liebevoll improvisiert, oft in Zusammenarbeit mit existierenden Brauereien als Wanderbrauer, oder manchmal einfach nur beratend in Zusammenarbeit mit größeren Betrieben. Die Großbrauereien betrachten diese Entwicklung aufmerksam, noch ohne Sorge. Aber die Marketingstrategen entwickeln erste Schlachtpläne.
Und schon ist der Streit da. Große Konzerne bringen neue Biermarken und –stile unter dem Label „Craft“ auf den Markt. Eine Brauerei versucht sogar, sich diesen Begriff als Wortmarke schützen zu lassen. Eifersüchteleien beginnen. Man gönnt sich alles, den anderen nicht viel. Auf der Graswurzelebene herrscht hingegen eitel Sonnenschein – die handwerklichen Kleinbrauer der neuen Szene kennen sich, unterstützen sich, inspirieren sich. Noch … Es bleibt abzuwarten, wie lange.
Die handwerklichen Kleinbrauer der alten Szene kämpfen. Oft vergebens. Auch 2013 hat zahlreiche Kleinbrauereien schließen sehen. Nach teilweise mehreren hundert Jahren wird der Braubetrieb eingestellt. Unwirtschaftlich. Von der Konkurrenz erdrückt. Krankheitsbedingt. Oder weil der Nachwuchs den elterlichen Betrieb nicht übernehmen will. Kleinodien der Brauereigeschichte gehen vor die Hunde. Anderswo, manchmal nur wenige Kilometer entfernt, entstehen neue, und der Kreis schließt sich, wird zum ewig rotierenden Rad des Lebens.
Im Nachbarland Polen ist die Entwicklung noch dynamischer. Selbst die zuverlässigsten Beobachter der Szene verlieren den Anschluss an die tagesaktuelle Entwicklung. Wer ist noch Hausbrauer? Wer schon in Zusammenarbeit mit einer etablierten Brauerei etwas mehr? Wer hat sich schon selbständig gemacht? Als Kleinbrauer, als Wanderbrauer, als graue Eminenz hinter einer unverändert unscheinbar agierenden Regionalbrauerei? Oder als aus dem Nichts entstandener nationaler Player. Pinta lässt grüßen!
Dynamik allerorten. Selbsternannte Auguren der Bierszene sprechen bereits von einer Craft-Bier-Blase und warten, dass sie platzt, während andere sich noch mühen, den Begriff Craft überhaupt erst definieren zu wollen. Ist das, was in den Vereinigten Staaten noch als handwerklich, als „Craft“ gilt, bei uns nicht oft schon eine Großbrauerei? Ändert Konzernabhängigkeit den handwerklichen Brauprozess in einer Kleinstbrauerei, gilt das dann nicht mehr als Craft? Mehr eine Philosophie, als eine objektive Betrachtung. Unsere polnischen Nachbarn beginnen, „Craft“ durch „Kraft“ zu ersetzen. Nicht im Sinne des deutschen Wortes, nicht auf Starkbiere beschränkt, aber um sich vom amerikanischen „Craft“ abzusetzen und eine eigene Philosophie des handwerklichen Bierbrauens zu schaffen.
2014 wird Antworten auf manche Frage des vergangenen Jahres geben. Platzt die Craft-Bier-Blase wirklich? Gibt es überhaupt schon eine? Wie behaupten sich die alteingesessenen Kleinbrauer, insbesondere im Bierwunderland Franken? Bringt der Generationswechsel, der in vielen Betrieben ansteht oder gerade stattgefunden hat, neuen Schwung? Holla, die Waldfee! Hier ist Bewegung. Werden die neuen Biere endlich problemlos überall im Land zu kaufen sein? Erschließen sie sich die klassischen Distributionskanäle oder bleibt das den finanzstarken Playern wie denen hinter Braufaktum vorbehalten? Wieviel ist der deutsche Biertrinker dauerhaft bereit, für sein Bier zu zahlen? Für sein Alltagsbier, für ein Degustationsbier, für den besonderen Anlass?
Ach ja, und was passiert eigentlich mit dem Deutschen Reinheitsgebot? Nur noch zwei Jahre vor seinem 500. Jahrestag gerät es unter Druck wie nie zuvor. Vehemente Gegner des Reinheitsgebots kämpfen um neue Bierstile, um das Schleifen der Bastion zugunsten des neuen Geschmacks. Internationale Großkonzerne (und nationale Großbrauereien?) reiben sich im Hintergrund schon die Hände und sehen Möglichkeiten, Bier noch billiger, noch effizienter produzieren zu können. Die Vielfalt der Argumente ist nicht immer sachlich, die Gefahr des Chemiebiers mit künstlichen Enzymen, genmodifizierten Hefen und Billigst-Rohstoffen aus importiertem Getreide wird heraufbeschworen. 500 Jahre durchgängige Tradition (die es leider objektiv nie gegeben hat) wird als Gegenargument ins Feld geführt, ja sogar die UNESCO instrumentalisiert. Unsachliche Argumente auf beiden Seiten, die Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber.
Vermutlich wird der Brauerbund mit dem Mut der Verzweiflung bis 2016 durchhalten, um 500 Jahre Reinheitsgebot aus seiner Sicht gebührend feiern zu können. Danach wird man sich in der Mitte pragmatisch einigen. Früchte, Gewürze, natürliche Zutaten werden erlaubt; Chemie und Gentechnik verboten? Wo zieht man die Grenze? Die Fachanwälte des Lebensmittelrechts werden sich schon vorbereiten!
Aber bis 2016 ist es noch lang. Vor uns liegt 2014. Was es in der Bierszene bringen wird, weiß ich nicht. Dass es viel Neues bringen wird, dessen bin ich mir sicher. Ob es mir gelingen wird, auf Ballhöhe zu bleiben? Ich werde es versuchen.
Neujahrsmorgen
Heute, am Neujahrsmorgen, läute ich das Jahr wieder mit meinem ersten Sud ein. Ich baue die Anlage in der Küche auf, stelle mich an den Kessel und werde brauen, während um mich herum das Land langsam verkatert die Augen öffnet. Das Bier wird mein erster Beitrag zur Bierszene 2014.
Deutschland schläft, Volker braut!
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