Einmal über den Grand Place, ein paar mehr Schritte Richtung Nordosten, dann durch die eindrucksvollen Koninklijke Sint-Hubertusgalerijen, und dann steht man schon davor, vor dem Café À la Mort Subite. Eine altmodische Leuchtreklame, der Name des Cafés in roter Frakturschrift. Darunter genauso altmodisch die Holztüren und Fenster mit den großen Glasscheiben, die einen Blick ins Innere ermöglichen. Ich drücke mir die Nase platt und schaue in einen langgestreckten Gastraum, der wirkt, als sei die Zeit hier vor vielen, vielen Jahrzehnten ganz einfach stehen geblieben.
Nichts wie hinein.
das Café À la Mort Subite
Die beiden Türflügel stehen im Winkel zueinander und bilden einen Windfang, durch den ich den Raum betrete. Einfache Holzstühle, noch einfachere Holztische reihen sich aneinander, füllen den Raum in Gänze. Es ist noch früh, es sind noch nicht alle Tische besetzt, und ich suche mir einen Platz unter einem der riesigen Wandspiegel, von dem aus ich das ganze Lokal sehen kann.
Hier eine Gruppe junge Männer, die sich ihr Mort-Subite-Bier aus einfachen, robusten Wassergläsern schmecken lassen. Dort ein älterer Herr, in die Lektüre der Tageszeitung vertieft. Gegenüber ein mittelaltes Touristenpärchen, geduldig in der Bierkarte blätternd, sich immer wieder unschlüssig über die Einträge unterhaltend, bis sie endlich, endlich ein Bier bestellen.
Keiner scheint einen Blick für die wunderbare Dekoration übrig zu haben, die riesigen Spiegel, die verspielten Jugendstilranken, die Säulen mitten im Raum, die uralten Reklamebilder oder den langsam verwitternden, gelblich-ockerfarbenen Anstrich. Am Ende des Raums eine schöne Treppe, die in das Obergeschoss führt; auch hier wieder Spiegel, aber auch ein paar bunte Glasfenster. Vor der Treppe, rechter Hand, die Theke. Etwa ein Dutzend Zapfhähne zähle ich, dahinter die verspiegelte Wand mit unzähligen Gläsern. Beste belgische Tradition: Zu jedem Bier das passende Glas.
zwei Mal sechs Zapfhähne
Ich recke den Hals, drehe den Kopf links und rechts und kann mich gar nicht sattsehen an dem Dekor, lasse meine Gedanken durch die Zeit wandern und versuche, mir vorzustellen, wie viele Menschen, wie viele Generationen von Bierliebhabern hier schon gesessen haben, getrunken, gegessen, gelacht und gefeiert.
„Haben Sie schon gewählt?“, reißt mich der Ober aus meinen Träumen. Nein, habe ich natürlich nicht, ich Schussel. Schnell einen Blick in die Bierkarte. Die Brauerei Lefebvre ist mit ihrem kräftig gehopften und gleichzeitig belgientypisch fruchtigem Bier Hopus prominent vertreten – ja, genau das ist es jetzt. Das Bier möchte ich haben. „Aber bitte nur ein kleines!“, füge ich meiner Bestellung noch hinzu.
Der Ober kommt mit einem Halbliterglas zurück, das er zu rund zwei Dritteln gefüllt hat. Kleine Gläser gibt es nicht passend, also wird mit großzügigem Augenmaß gezapft, das passt dann schon.
statt eines kleinen Bierglases bekommt man ein großes, das nicht ganz gefüllt wird
Mir ist es recht – und dem Bier offensichtlich auch, denn so gibt es genug Raum für den Schaum, dass er sich entfalten kann. Ich schnuppere am Glas, rieche die estrigen Fruchtnoten der Hefe, aber auch die kräftigen Aromen des Hopfens. Der erste Schluck. Spritzig, erfrischend, gefährlich süffig. Schönes Bier!
Aber trotzdem ein Stilbruch. Eigentlich sollte ich hier, im Café À la Mort Subite doch eines der gleichnamigen Lambics trinken, und kein modernes Kreativbier. Mort Subite, der plötzliche Tod. Ein etwas merkwürdiger Name, sowohl für das Bier wie auch für das Café. Und natürlich gibt es eine Geschichte, wie dieser Name entstanden ist:
Vor über hundert Jahren hat Theophile Vossen eine kleine Bar in der Nähe der Nationalbank betrieben, die Bar La Cour Royale. Täglich trafen sich hier die Bankangestellten in der Pause, zum Bier und zum Würfelspiel. Schlug die Uhr zum Ende der Pause, wurde noch eine letzte, ganz schnelle Runde gespielt, und den Verlierer traf dann der – spielerische – plötzliche Tod. Vermutlich musste der arme Tropf dann auch die Rechnung begleichen.
Als Vossen dann 1928 unter der jetzigen Adresse ein neues Café eröffnete, wurde dieses rasche, letzte Würfelspiel, der plötzliche Tod, der Mort Subite, zum Namensgeber dieses Cafés, und, mehr noch, auch zum Namensgeber der hier ausgeschenkten Lambic- und Geuze-Biere.
Jugendstil-Dekor zum Sattsehen
Die Biermarke Mort Subite ist längst in Konzernhand, die Fruchtlambics unter diesem Namen werden von der Brouwerij Alken-Maes hergestellt, die zu Heineken gehört. Das Café À la Mort Subite hingegen ist nach wie vor in Familienhand – die vierte Vossen-Generation, Olivier und Bernard, betreibt das Café. Seit 1928 ununterbrochen, und vor allem: Mit seit 1928 unverändertem Dekor. Ein bisschen zaghaftes Auffrischen, wenn unbedingt nötig, vermutlich eine neue Elektrik und Rauchmelder, aber ansonsten: Fast neunzig Jahre Kontinuität! Herrlich!
Das Café À la Mort Subite ist täglich von 11:00 bis 01:00 Uhr durchgängig geöffnet; sonntags von 12:00 bis 24:00 Uhr. Kein Ruhetag, außer Heiligabend, dem ersten Weihnachtstag, Silvester und Neujahr. Zu erreichen ist diese wunderbare Jugendstilbar in fünf Minuten zu Fuß vom Bahnhof Centraal Station.
À la Mort Subite
rue Montagne-aux-Herbes Potagères 7
1000 Brussels
Belgien
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