Der Brüssel-Reisende kennt das schon: Viele Geheimtipps in Brüssel liegen irgendwo versteckt, in einer kleinen Gasse, hinter einer unauffälligen Fassade oder in einem unansehnlichen Gebäude, dem man nicht ansieht, was es beherbergt.
viel unscheinbarer kann man den Zugang nicht gestalten
Die kleine Bar Au Bon Vieux Temps jedoch scheint es da ein wenig zu übertreiben. Zwischen zwei Geschäften mit schlichten, fast schon steril wirkenden, seelenlosen Schaufenstern, einem Schmuckgeschäft und einem Brillengeschäft, findet sich ein ganz schmaler Durchgang. Schmaler und noch niedriger als die Türen zu den Geschäften, ein schöner Sandsteinbogen und ein dickes, schwarzes Metallgitter. Schaut man hindurch, so blickt man in eine winzige Kopfsteinpflastergasse, ein paar Ziegelwände und hässliche Graffitis.
Dort hinein? Also bitte, das jetzt wirklich nicht. Hängen bestimmt nur Kiffer und Schnorrer herum, es wird zugemüllt sein und nach Urin stinken.
Oder?
Dort hinein? Wirklich?
Natürlich nicht. Sicherlich ist die Gasse nicht wirklich einladend, aber nach dreißig Metern kommt man zum Eingang der Bar Au Bon Vieux Temps. Auch in Niederländisch steht der Name, de goede oude tijd, über dem Eingang, einem Eingang der noch schmaler ist als der zu der Gasse. Obwohl ich nicht großgewachsen bin, ducke ich mich unwillkürlich, als ich hindurchgehe und in das Halbdunkel der Bar eintauche.
Dunkelbraune Holzpaneele an der Wand, mit Leder bezogene Bänke und Stühle, einfache Holztische. Markennamen von alkoholischen Getränken, alte, lang bekannte, aber auch längst vergessene, sind in das Holz geschnitzt; ein paar Wandteller, Wappen, Schnitzereien, viel aufwändige Dekoration. Die bunt verglasten Fenster lassen nur wenig Licht herein; die Kronleuchter erhellen den Raum auch nicht wirklich.
In drei Ecken gibt es jeweils ein paar Tische und Sitzmöglichkeiten, die vierte wird von der kleinen Theke eingenommen. Vier Damen unterschiedlichen Alters sitzen und stehen vor und hinter ihr, unterhalten sich, tippen auf ihren Smartphones, ein seltsamer, moderner Bruch in der ansonsten hoffnungslos altmodisch eingerichteten Bar. Seit 1695 wird sie angeblich betrieben, so erzählt man, und das Dekor stammt aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Gotik, Jugendstil, ein alter Kohlenofen im noch älteren Kamin.
Dekor aus den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts
Ich komme in einem ruhigen Moment; nur wenige Gäste verteilen sich im Raum. Auf dem Tisch liegt die in Folie eingeschweißte Bierliste. Nur kurz, aber sehr edel. Bemerkenswert: Alle belgischen Trappistenbrauereien sind vertreten. Sehr schön.
Moment mal! Alle?
Quatsch. Können ja gar nicht alle sein. Westvleteren gibt es doch nirgends außer vor Ort in Westvleteren.
Oder doch?
Und in der Tat! Alle! Selbst das Weltvleteren ist gelistet. Mit 15,- EUR zwar schmerzhaft teuer, aber tatsächlich, man kann hier eine Flasche Westvleteren Trappistenbier bestellen und bekommen!
Geduldig beobachte ich die vier Damen am Tresen. Wie so oft: Je mehr Bedienungen im Verhältnis zur Gästezahl da sind, um so schlechter wird der Service. Man hat nichts zu tun, schnattert und gackert, und bemerkt gar nicht, dass der eine oder andere Gast gerne bedient werden möchte.
Nach endlosen Minuten löst sich die älteste der Damen aus der Gruppe, kommt und fragt mich nach meinem Wunsch. Ich deute auf die Reklametafel mit dem Corsendonk Weihnachtsbier. Es ist zwar schon April, aber die guten belgischen Weihnachtsbiere schmecken das ganze Jahr über, und sie reifen in der Flasche wunderbar weiter. Im passenden Glas wird mir das Bier serviert. Ohne mit der Wimper zu zucken, auch die Kellnerin hält es wohl für die normalste Sache der Welt, im April ein Weihnachtsbier zu trinken.
Weihnachtsbier im April
Die vier Damen unterhalten sich wieder. Ab und zu verschwindet eine von ihnen in der kleinen Teeküche, holt sich ein Glas Tee oder Wasser, setzt sich wieder an den Tresen. Sie sind nicht unfreundlich, aber völlig mit sich selbst beschäftigt. Ein Pärchen vom Nachbartisch möchte zahlen. Nach endlosen, vergeblichen Versuchen der Kontaktaufnahme geht der Herr resigniert zum Tresen und zahlt dort. Ein wenig frustriert verlassen die beiden die Bar.
Ich selbst fühle mich hin und her gerissen. Die Atmosphäre ist sehr schön. Nur ganz leise Musik, die Einrichtung und Dekoration sehr ansprechend, die Bierauswahl nicht groß, aber qualitativ hervorragend. Da könnte ich schon noch eine Weile sitzen und genießen. Aber wenn ich dann jedes Mal erst um Aufmerksamkeit kämpfen muss? Ach, vielleicht doch eher nicht. Ich komme lieber ein anderes Mal wieder, wenn mehr los ist und allein schon durch die Anzahl der Gäste keine Zeit für ein Schwätzchen der Kellnerinnen untereinander ist.
Die Bar Au Bon Vieux Temps hat keine eigene Internetseite und ist auch sonst sehr sparsam mit Informationen. Öffnungszeiten? Man sagt, von 11:00 bis 02:00 Uhr, aber angeschrieben ist nichts. Ruhetage? Keine Ahnung. Erreichbarkeit? Simpel: Vom Grand Place durch die Butterstraße und die Kleine Butterstraße zur Kräutermarktstraße, und dort findet man dann den schmalen Durchlass zur Impasse Saint-Nicolas. Oder auch nicht. Augen auf!
Au Bon Vieux Temps
Impasse Saint-Nicolas 4
1000 Bruxelles
Belgien
Hinterlasse jetzt einen Kommentar