Ulrich Biene
Frisch gezapft!
Bier-Kultur in Nordrhein-Westfalen

Reklame?*

Legendäres NRW – eine Buchreihe des Klartext Verlags, in der entlang von einzelnen Themen die Geschichte des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen beschrieben wird. Ausführliche, detaillierte Texte, aber auch umfangreiches Bildmaterial – die Kombination macht den Charakter dieser Bücher aus.

Ulrich Biene
Frisch gezapft! Bier-Kultur in Nordrhein-Westfalen

Jetzt im Sommer 2021 kommt das Thema „Bier-Kultur in Nordrhein-Westfalen“ heraus. Vor dem geistigen Auge tauchen sofort die klassischen Klischee-Bilder auf: Das frisch gezapfte Export-Bier im simplen Willibecher, umfasst von den schmutzigen Händen des Kohle- oder Stahlarbeiters, der nach der Schicht schnell seinen Durst löschen möchte. Oder das große, gelb leuchtende U der Dortmunder Union-Brauerei, das bis heute das Stadtbild Dortmunds prägt.

Klischee-Bilder? Ja, sicher, aber Klischee-Bilder, die die seinerzeitige Realität treffend beschreiben. Export-Bier war ein Arbeitergetränk, und es hat die Region rund um Dortmund geprägt und die Brauereien groß gemacht. Bis … ja, bis es durch das Pils abgelöst wurde und quasi in der Versenkung verschwand.

Ich nehme das großformatige Buch „Frisch gezapft! Bier-Kultur in Nordrhein-Westfalen“ zur Hand, blättere es auf und fühle mich – im positiven Sinn! – bestätigt. Im Mittelpunkt stehen Aufstieg und Fall der großen Dortmunder Brauereien. In neun Kapiteln, jedes mit einem etwas anderen Themenschwerpunkt, beschreibt Ulrich Biene, wie Hand in Hand mit der Industrialisierung die großen Brauereien im Westen Deutschlands entstanden sind, wie Dortmund aufgewachsen ist zur Bierstadt Nr. 1, aber auch, wie schnell sich die Lage mit dem Siegeszug des Pils weiterentwickelte, das Altbier eine vorübergehende Blüte genoss und viele Brauereien auch wieder von der Bildfläche verschwanden.

ausführliche Textteile zu Beginn jedes Kapitels

Jedes Kapitel beginnt mit einem ausführlichen Textteil, in dem es Biene gelingt, eine gewaltige (und hoffentlich gut recherchierte) Faktenfülle gut und flüssig lesbar zu verpacken. Seine plastischen Beschreibungen nehmen den Leser oder die Leserin mit auf eine Zeitreise in die Vergangenheit, und wir spüren, welche Rolle das Bier im Alltag der Menschen seinerzeit gespielt hat.

An den Textteil schließen sich dann jeweils einige Seiten mit Bilddokumenten an – Werbung, Ausstellungsstücke, aber auch Alltagsszenen, die den gesellschaftlichen Kontext abbilden, in dem das Bier getrunken wurde. Die Lebensälteren unter den Lesern werden sich erinnern („ja, so sahen die Bier-Lkw in meiner Kindheit damals aus“) und die jüngeren werden staunen.

umfangreiches Bildmaterial in Ergänzung der Texte

Der stabile Kartoneinband, das hochwertige Papier, die gute Druckqualität – das Buch gefällt nicht nur inhaltlich, sondern auch handwerklich, und die paar Druck-, Setz- und Schreibfehler, die der Schlussredaktion durchgerutscht sind, fallen nicht wirklich ins Gewicht.

Ein schönes Buch, und schon die neun Kapitelüberschriften machen Lust auf die Lektüre:

  1. Die Herzkammer der deutschen Brauwirtschaft – Rheinländer und Westfalen leben und lieben Braukultur.
  2. Mit Rückenwind zu Europas Bierstadt Nr. 1 – Im Wirtschaftswunder dampfen Dortmunds Sudkessel.
  3. Im Revier und im Bergischen Land geht es lange Zeit nur aufwärts – Der Boom von Kohle und Stahl bringt Brauereien Hochjunktur.
  4. Nach dem Krieg wird NRW-Brauwirtschaft zur Job-Maschine – Stolz auf die „eigene“ Brauerei und durch Haustrunk privilegiert.
  5. Sauerländer Privatbrauereien erobern den Markt – Als Bier nicht mehr nur Durst löscht, sondern ein Pils Genuss bedeutet.
  6. Marktkonzentration reißt viele kleine Braustätten mit – Mit der Bierseligkeit ist es in OWL und im Münsterland schnell vorbei.
  7. Rheinische Frohnaturen schwören auf Alt und Kölsch – Die schlaue Bier-Erfindung des kölschen Wir-Gefühls.
  8. Vor allem der Mittelstand hat am Biermarkt-Wachstum teil – Brauereien geben Zulieferern Impulse vom Kronkorken bis zum Gärtank.
  9. Von der Lkw-Lackierung über Neon-Reklame zum TV-Spot – Immer neue Werbung befriedigt die Sehnsucht nach Biergenuss.

Mit viel Freude lese ich dieses Buch, lasse mich gerne auf eine Zeitreise in die Vergangenheit mitnehmen. Ob es die schönen Bilder sind oder die lebendigen Texte – ich finde beides sehr ansprechend.

Aber bei allem Lesegenuss lassen mich zwei Dinge ein wenig unzufrieden zurück.

Zum Einen ist die Umschlaggestaltung ein bisschen misslungen. Das weiße Viereck in der rechten unteren Ecke mit dem Verlagsnamen und das merkwürdige Polygonmuster am linken Rand des Einbands zerreißen die Optik des ansonsten so schön harmonischen Titelbildes. Das historische Foto der Büttner, die auf das Foto abgestimmte Farbwahl für den Buchtitel – alles scheint zu passen, und dann kommen das futuristische Polygonmuster und das unpassende weiße Rechteck und zerreißen die Harmonie in quälender Dissonanz.

Und zum anderen scheint mir das Buch etwas unvollständig. Die Geschichte des leicht milchsauren Münsterschen Altbiers, eines Bierstils, den es nur und ausschließlich in Nordrhein-Westfalen gibt, fehlt völlig, und irgendwie scheint das Buch etwa um die Jahrtausendwende hin einfach auszulaufen wie eine Welle am Strand. Kein wie auch immer gearteter Übergang zur Jetztzeit, weder ein Hinweis auf die vor zwanzig Jahren erstarkende Gasthausbrauereiszene noch gar einer auf den durch die Kreativbiere oder Craftbiere eingeleiteten Wandel in der Biervielfalt. Die Abwendung vom nur von Alt und Kölsch etwas bedrängten Biermonopolismus des Exports und später des Pils über den Hell-Dunkel-Weizen-Ansatz der Gasthausbrauereien bis hin zur unendlichen Biervielfalt der neuen Biere findet nur außerhalb des Buchs statt. Ein kleiner Anker in Form eines Ausblicks auf das Heute hätte dem Buch gut getan.

Trotzdem aber ein lesenswertes Buch, das so manche vergnügt-nostalgische und nachdenklich-besinnliche Stunde bescheren kann.

Ulrich Biene
Frisch gezapft!
Bier-Kultur in Nordrhein-Westfalen
Klartext Verlag – Jakob Funke Medien Beteiligungs GmbH & Co. KG
Essen, 2021
ISBN 978-3-8375-2365-2

* Reklame? Es gibt immer wieder Diskussionen, ob die Beschreibung von Büchern, die ich zu Rezensionszwecken kostenfrei bekommen habe, Reklame sei. Im Zweifelsfall sollte ein Blogbeitrag daher entsprechend gekennzeichnet werden. Nun denn: Ich habe das Buch von Stefanie Rinner vom Klartext Verlag kostenfrei zugeschickt bekommen in der Erwartung, dass ich es dann rezensiere. Das habe ich getan, mich bei der Rezension aber nicht positiv oder negativ von der Mitarbeiterin des Verlags oder vom Verlag selbst beeinflussen lassen.

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