Kleinlaut beugt sich der Chronist über Bierglas und Notizbuch, während über ihm ein literarischer Gewitterguss herniedergeht. Alliterationen, Anaphern und Allegorien plätschern auf ihn herab, Kakophonien und Epiphrasen, Hyperbeln und Assonanzen umfließen ihn, Tautologien, Pleonasmen und onomatopöetische Neologismen gurgeln und gluckern in seinen Gehörgang und bohren sich in seine Gehirnwindungen. Jürgen Roth predigt und lobpreist das Bier, berichtet in plastischen Bildern von seinen Biererlebnissen, umschreibt sensorische Empfindungen in schreienden Farben mit einer Sprachgewalt, die ihresgleichen sucht; und er macht dem Chronisten klar, was dieser ist: Nur ein Chronist.
Es war eine beeindruckende Lesung am Freitag, dem 13. Februar 2015 in der Beer Academy Berlin. Jürgen Roth, der bereits in den 90er Jahren zusammen mit seinem Freund Michael Rudolf mit „Bier. Das Lexikon.“ begonnen hat, Biere und Biererlebnisse in humoriger und satirischer Form zu Papier zu bringen, hat dies über die Jahre stets verfeinert und verbessert und mit den beiden Büchern „Die Poesie des Biers“ und „Die Poesie des Biers 2“ seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Zwei dicke Wälzer mit Geschichten, literarischen Exkursionen und Bierdiskussionen lieferten genug Material, dass die etwa dreißig Gäste in der Beer Academy über mehr als zweieinhalb Stunden in den Bann der Bierpoesie geschlagen wurden.
Bei einem Auftakt-Glas Kompaan Vrijbujter Stout 45 konnte Sylvia Kopp am heutigen Abend nicht nur Jürgen Roth begrüßen, sondern auch dessen Verleger Roland Tauber und den Leipziger Biermaler Metulczki. Nach kurzer Vorstellung begann Jürgen, von seinen Büchern zu erzählen, von den Bieren, den Brauereien, den Geschichten. Er berichtete von seinen eigenen Geschmacksvorstellungen, davon, wie er seine Biere wahrnimmt und wie er sie erlebt hat. Er sprach von Startbieren, Unterbier, Gegen-Unterbier, Konterbier, Stützbier, Dehnungsbier, Prolongariatsbier, Eckensteherbieren, Anbiederungs- und Affirmationsbieren, Ad-hoc-Bieren, Pufferbieren, Fahrbieren und Überbieren. Er sprang gedanklich mal hierhin, mal dahin, und bereits nach wenigen Minuten sprengte er die sorgfältig vorbereitete Choreografie des Wechsels zwischen Lesen und Verkosten. Beim Sinnieren über die Bamberger Schlenkerla-Brauerei entdeckte er das Schlenkerla Eiche auf dem Verkostungsplan, und mit dem Satz „Jetzt lasst uns doch mal in Anarchie verkosten!“ ließ er Sylvia die sieben Positionen davor überspringen und den Rauchbier-Hammer des Tages schon quasi zum Auftakt servieren.
Spaß hat das gemacht, obwohl wir uns alle bewusst waren, dass nach einem Schlenkerla Eiche gleich zu Beginn danach kaum noch ein anderes Bier wirklich zur Geltung kommen konnte. Und so fiel das leichte Müllers Lagerbier von Pinkus Müller aus Münster dem neuen Ablauf gleich ganz zum Opfer, und das Mein Grünes vom Schneider aus Kelheim sowie das Ond von Bevog aus Bad Radkersburg sahen ungewöhnlich blass und bleich aus. Erst mit dem Seasonal Special Ale vom Hopfenstopfer aus Bad Rappenau und dem Karmeliet Tripel von Bosteels aus Buggenhout kamen wieder Biere auf den Tisch, die sich geschmacklich gegen den Nachklang der Eiche aus Bamberg durchsetzen konnten.
Jürgen unterhielt uns derweil mit Anekdoten und Geschichten aus seinem Buch. „Bier ist erlebbare Realität!“ unterstrich er, und wie zum Beweis startete er eine gewaltige Suada, mit der er uns bewies, dass man unter keinen Umständen „ein Bier trinken“ kann. Es bleibt nie bei einem Bier, das war auch dem letzten Zuhörer nach diesem emotionalen Kapitel klar. Nie, und unter keinen Umständen.
Dem letzten Bier des Abends, dem holzfassgereiften Imperial Stout von Oliver Lemke aus Berlin, war es vergönnt, einen heldenhaften Kontrapunkt gegen Formulierungen wie vom „Lustprinzip im konjunktivischen Modus der Vorvergangenheit“ setzen zu können. Ausdrucksstark, selbstbewusst, holzaromatisch, mit Noten von Vanille, Süßholz, Kräutern, mit einer viskos-öligen Konsistenz und mit einer samtigen Weichheit, die die 11% Alkohol geschickt maskiert, lehnte sich das Imperial Stout gegen Jürgens Wortgewitter auf und gewann das Gleichgewicht zwischen Realität, dem Bier nämlich, und der Meta-Ebene, dem Erzählen vom Bier, wieder zurück.
Ein grandioser Abend, dessen Choreografie zwar die ersten zehn Minuten nicht überlebt hat, aber gerade dadurch begeisterte. Sylvia und Jürgen hatten sich die Bälle zugespielt, improvisiert und dem „Regiepersonal“ im Hintergrund, also Koyka und Suzette, die die Gäste immer mit dem passenden Bier versorgen mussten, vor wahre, aber lässig bewältigte Herausforderungen gestellt.
Und so füllten denn auf dem Rückweg durch die Berliner Nacht nicht nur wie sonst dezent klappernde Bierflaschen den Rucksack des Chronisten, sondern auch noch zwei handsignierte Bücher mit gewichtiger Bierpoesie.
Berlin Beer Academy GbR
Claire Waldoff Straße 4
10 117 Berlin
Berlin
Deutschland
Sehr geehrter Herr Roth,
Ich würde zu gerne wissen, was Sie zum Bochumer Fiege Pils schreiben oder sagen würden. So oft ich mir das Buch von Ihnen und dem leider verstorbenen Michael Rudolf auch durchschaue, diese Lücke bleibt bestehen. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass es an ihnen vorbeigegangen ist.
Danke für die vielen Tipps.
Und bitte bitte erfüllen Sie mir diesen Wunsch, der vielleicht etwas lächerlich daher kommt.
Herzliche Grüße
Florian Timm