Ein Buch über die Schweizer Biere? Über das Land des Bierkartells, in dem es zwar uns unbekannte Brauereinamen gibt wie Calanda, Hürlimann, Cardinal, Eichhof und Gurten, die aber doch alle nur einheitliches helles Lager brauen? Wie langweilig…
Nein, weit gefehlt! Weitgehend unbeachtet vom Rest Europas hat sich die Schweiz nach dem Fall des Bierkartells 1991 zu einem bunten Bierland entwickelt, das eine höhere Brauereidichte aufweist als Deutschland. Auf gerade einmal acht Millionen Schweizer Bürger kommen mittlerweile fast 700 Brauereien, und zwar richtige Brauereien, also Betriebe, die biersteuerpflichtig sind, keine Hausbrauer, die nur für den eigenen Verzehr produzieren.
280 der von diesen Brauereien produzierten Biere hat ein Team von Biersommeliers getestet und in diesem Buch nach einheitlichen Kriterien aufgelistet. Jedes Bier bekommt eine Seite, wird mit Foto und Namen vorgestellt, es folgen Name der Brauerei, deren Homepage und recht allgemein gehaltene, insofern denn auch wenig hilfreiche Angaben zu Bezugsquellen.
Dann aber das eigentlich Interessante: Was ist es für ein Bier? Auf einer Farbskala mit EBC-Werten (European Brewery Convention) von 4 bis 80 wird die Farbe des Biers angegeben, es folgen die Daten zu Bitterwerten in IBU (International Bitterness Unit), Alkoholgehalt in Volumenprozent, eine Empfehlung für das passende Glas und die Angabe, ob ober- oder untergärig. Und schließlich ein paar Zeilen zu Aroma und Geschmack, also kurze Verkostungsnotizen.
Was spannend sein könnte, wird leider langweilig gemacht. Die Biere werden nach Bierstil sortiert, und so beginnt das Buch mit mehreren Dutzend hellen Lagerbieren, die sich in nahezu keinen Eigenschaften voneinander unterscheiden. Seitenweise untergärige Biere mit EBC-Werten zwischen 4 und 8, IBU-Werten um die 20, einem Alkoholgehalt von 4,8 % und sich in der Wortwahl nur geringfügig unterscheidenden Verkostungsnotizen.
Sicher, es ist ehrenwert, die großen, schweizweit erhältlichen Biere alle zu erfassen, aber abwechslungsreich wird es dadurch nicht. Ganz im Gegenteil, durch dieses unmittelbare Nebeneinanderstellen wird auch die eine oder andere Schwäche der Verkostung deutlich. Zum einen merkt man, dass das Vokabular zur Beschreibung heller Lagerbiere doch recht begrenzt ist, zum anderen fallen aber auch Ungenauigkeiten auf. Wenn der gleiche Farbwert (6 EBC) mal als goldgelb, mal als hellgelb, mal als golden beschrieben wird, wenn umgekehrt der Begriff goldgelb von 6 bis 12 EBC gedehnt wird, dann scheinen Zahlenwerte und Prosa doch deutlich voneinander abzuweichen. Merkwürdig. Natürlich ist es immer auch eine Interpretation durch den jeweils verkostenden Sommelier, die verkostende Sommelière, aber ein Abgleich des Vokabulars mit den Zahlenwerten wäre angebracht.
Nach dem Kapitel der hellen Lagerbiere folgen dunkle Lager, Amber, Spezial (was in der Schweiz dem Pils entspricht, gemäß eines Handelsvertrags mit der Tschechoslowakei aus dem Jahr 1927 bis heute jedoch nicht so genannt werden darf), Zwickel, Starkbiere, alkoholfreie Biere, Schwarzbiere, Biere aus speziellen Getreidesorten, Weizen und mehrere internationale Stile. Es wird also abwechslungsreicher, wenn auch immer wieder deutlich wird, dass Biere der großen, überregionalen Brauereien und der schon länger etablierten Kleinbrauereien bevorzugt betrachtet werden.
Nach den Bieren werden die an der Verkostung beteiligten Biersommeliers und -sommelières vorgestellt, bevor dann einige allgemeine Informationen über das Bier folgen – seine Rohstoffe, der Brauprozess und einige weitere, allgemein bekannte Informationen in gewohnter Art. Nichts Neues hier.
Ganz am Ende wird es noch einmal interessant, wenn die Geschichte des Schweizer Biers in zwölf Bildern erzählt wird – hier gibt es Wissenswertes, das ich nicht schon in einem Dutzend anderer Bücher gelesen habe.
Insgesamt hinterlässt das Buch gemischte Gefühle. Es ist hochwertig, gutes Papier, ein mattierter Schutzumschlag mit schöner Haptik, es bietet einen Einblick in eine Bierwelt, die außerhalb der Schweiz leider so gut wie unbekannt ist, aber es verpasst auch eine gute Chance, diese Einblicke spannend, mitreißend zu präsentieren. Nun gut, man mag einwenden, dass dieses Buch eher als Nachschlagewerk denn als Lesestoff gedacht ist (wer liest denn schon ein Telefonbuch von A bis Z?), aber erstens könnte man es selbst dann attraktiver gestalten, und zweitens müssten dann mehr von den kleineren, neuen Brauereien aufgenommen werden – denn ein Nachschlagewerk sollte immer auch ermuntern, sich über den unmittelbar vorgestellten Text hinaus eigenständig weiter zu informieren, und nicht in der Informationsblase des Buches selber zu verharren.
Gabriela Gerber
Schweizer Biere 2016 – 2017
Wird & Weber Verlag AG
Thun, 2016
ISBN 978-3-85932-768-9
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