Wie hat ein typischer Getränkemarkt noch vor wenigen Jahren ausgesehen? Eine riesige Halle mit einem noch riesigeren Parkplatz davor. Am Sonnabendnachmittag fährt der Familienvater mit seinem überdimensionierten SUV vor, betritt die riesige Halle und läuft an den Kisten und Kästen vorbei:
Erst gefühlte 100 m Mineralwässer. Mit und ohne Sprudel, ansonsten aber austauschbar. Kaufentscheidung? Nach dem Preis. Resultat: Der Inhalt kostet weniger als das Pfand auf die Verpackung.
Anschließend fünf Meter Warsteiner, fünf Meter Krombacher, fünf Meter Veltins. Zehn Meter Oettinger. Ganz hinten vielleicht verschämt noch anderthalb Meter Bier einer lokalen Brauerei. Im Westerwald war’s immer Fohr Pils. Oder Königsbacher. Und dann? Schluss. Ganz selten vielleicht noch mal ein Regal mit „Spezialitäten“ – Löwenbräu, Carlsberg, Heineken… Kaufentscheidung? Nach dem Preis. Der SUV ist ja noch nicht abbezahlt. Also Oettinger. Ach, halt, Warsteiner ist heute im Angebot. Und es gibt einen Bierkrug dazu, gratis. Geschmack? Egohl, ich such wat für Sonnamd, Aldä! Fußball, Grillen, Abpumpen, weissu?
Heute ist es anders. Die typischen Groß-Getränkemärkte gibt es zwar noch, aber überall entstehen kleine Fachmärkte mit einem tollen Angebot an Spezialbieren. Biere, die nicht mehr nur abgepumpt oder höchstens noch zum Ablöschen des brennenden Grills genommen, sondern bewusst genossen werden. Der Preis spielt nur noch bedingt eine Rolle (innerhalb gewisser Grenzen natürlich), und erstmals zählt auch der Geschmack. In diesen Läden findet man kein Warsteiner mehr, kein Bitburger, kein Holsten, kein Sternquell und kein Becks. Und niemand vermisst sie, diese Biermarken.
In den unterschiedlichsten Formen gibt es diese neuen Spezialbiergeschäfte. Sei es in Form und Atmosphäre eines ehemaligen Kolonialwarenladens wie das Bierland in Hamburg, als Tante Emma Lädchen für Bier wie das Hopfen & Malz in Berlin, sei es als kapitalintensiv eingerichtetes und betriebenes, eher elitäres Geschäft wie der Craft Bier Store in Hamburg oder als liebenswert skurrile Kleinstbetriebe wie das Bierlieb in Berlin oder das Bier Schmankerl in Ingolstadt. Von spelunkig bis mondän reicht das Spektrum.
Besonders edel und hanseatisch elegant wirkt das Beyond Beer, das im Mai 2015 erst in Hamburg eröffnet worden ist. Blitzeblank wirkt hier alles, perfekt nach Ländern sortiert, die Flaschen in den Regalen wie mit dem Lineal ausgerichtet und hell erleuchtet.
Langsam gehe ich an den Regalen entlang. Insbesondere die Kleinstbrauereien machen mit teilweise künstlerisch wertvoll gestalteten Etiketten auf sich aufmerksam. Die psychedelischen Form- und Farb-Orgien kommen im weißen Licht so richtig zur Geltung. Schon laufe ich Gefahr, nicht den Geschmack, nein, und auch nicht den Preis, sondern das Design eines Biers zur Grundlage meiner Kaufentscheidung zu machen… Halt, nein. Lieber doch nicht. Lesen wir doch lieber einmal auf den kleinen Schildern am Regal, die zu jedem Bier hier liebevoll angebracht sind, die detaillierten Informationen über das Bier: Herkunftsland, Kurzbezeichnung der Brauerei, Bierstil, Name des Biers und Jahresangabe, wann es hergestellt beziehungsweise abgefüllt worden ist. Es folgt der komplette Name der Brauerei, dann – graphisch jeweils auf einer Skala von eins bis fünf dargestellt – Alkoholgehalt, Bitterkeit und Farbe, und schließlich die Flaschengröße, der standardisierte Literpreis, der Preis und das Pfand, das auf die Flasche berechnet wird.
So viele Informationen zu jedem einzelnen Bier… Fast schon ist es zu viel, macht die Entscheidung schwieriger, anstatt sie zu vereinfachen. Nein, für den Silvestereinkauf muss ich es andersherum machen. Ich gehe zur kleinen Theke am Ende des Raumes, und während ich dort eines der drei vom Fass zur Verkostung – gerne aber auch in „richtigen“ Portionen, dann aber gegen Bezahlung – angebotenen Biere (das Farmhouse IPA von Lervig und Magic Rock) degustiere, überlege ich, was ich denn morgen mit der Familie gerne trinken würde. Etwas kräftiger im Alkohol sollte es sein, wärmend für einen Silvesterabend. Nicht zu bitter, damit es allen schmeckt. Tendenziell eher etwas heller, um auch die sonst Sekt trinkende Gemeinde anzusprechen und nicht abzuschrecken. Tja, und dann etwas kräftiger im Aroma, ruhig etwas trockener vergoren. Na, da habe ich doch schon ein paar Parameter beisammen.
Derart mental gerüstet mache ich mich erneut auf den Weg entlang der Regale. Mit der fachmännischen Unterstützung durch das Beyond Beer Personal finde ich dann auch ein paar passende Biere. Und wenn man es genau so macht, dann helfen die kleinen Etiketten in der Tat hervorragend.
Auf den erfolgreichen Kauf gönne ich mir eine zweite Bierprobe, diesmal das Rudeen Black IPA von der Bevog-Brauerei. Der Laden läuft gut. Während ich noch verkoste, kommen weitere Kunden, und die beiden jungen Herrn, die hier heute bedienen, haben alle Hände voll zu tun, kommen mit dem Erläutern der vielen Biere kaum nach. Ich lehne mich an die Theke, schaue zu, fast möchte ich mich in das eine oder andere Verkaufsgespräch einmischen, widerstehe aber der Versuchung und lenke mich bewusst ab. Mit dem Kasten Westvleteren-Bier beispielsweise. Trotz eines Preises von 19,99 EUR pro winziger 0,33-l-Flasche ist das Westvleteren 12 bereits ausverkauft; die anderen beiden Sorten, das Westvleteren 8 und das Blond sind noch erhältlich. Eine echte Rarität. Ob es wirklich das beste Bier der Welt ist, wie so oft kolportiert wird, sei dahingestellt, aber es ist gewiss eines der am schwierigsten zu beschaffenden. Beeindruckend genug, dass es hier, im Beyond Beer, angeboten wird.
Florentine Siemsglüß, ihr Mann Ronald (der Bruder vom Buddelship-Brauer Simon Siemsglüß), Max Marner vom Brausturm-Bierverlag und Klaas Twietmeyer von Hops Hysteria haben Beyond Beer im Mai 2015 eröffnet. Über Brausturm haben sie Zugang zu Bieren aus Brauereien, die mit ihren Bieren in Deutschland nur selten vertreten sind, und somit ein wirklich spannendes Angebot von seltenen Bieren aus der ganzen Welt. Die Preise sind hoch, aber nicht zu hoch, das Ambiente edel. Die Möglichkeit, ein paar Biere zu verkosten oder die frisch aus dem Kühlschrank gekauften Flaschen hier vor Ort sofort zu trinken, rückt den Bottle Shop in die Nähe einer Beer Bar. Beyond Beer ist dienstags bis sonnabends von 12:00 bis 20:00 Uhr geöffnet; Sonntag und Montag sind Ruhetage. Zu erreichen ist der Laden in fünf Minuten von der U- und S-Bahn-Station Sternschanze.
Nachtrag 29. Dezember 2016: Ein echtes Déjà-vu. Ein Jahr ist vergangen, und ich stehe erneut im Beyond Beer, mache erneut den Einkauf für Silvester. Wie vor einem Jahr stehe ich zunächst entspannt an dem kleinen Verkaufstresen und verkoste die drei angebotenen Biere, bevor ich mich den Einkäufen widme.
Heute im Angebot: High Wire GF von Magic Rock, ein Pale Ale, dass zusätzlich mit Grapefruit versehen ist, seine herb-zitrusigen Aromen also nicht allein vom amerikanischen Aromahopfen bekommt, sondern auch von den zugesetzten Früchten. Eine Aroma-Explosion, und zum Glück sehr trocken vergoren, sonst würde dieses Bier schon zu nahe an ein Biermixgetränk wie Schöfferhofer Grapefruit-Weizen rücken.
Das zweite Bier, ebenfalls von Magic Rock: Cannonball. Ein klassisches India Pale Ale, ohne Zugabe von Früchten. Trotzdem bemerkenswert. Herbe Zitrusaromen, harzig-würzige ebenfalls, und ein kräftiger Malzkörper, der die enorme Bittere erträglich macht. Nicht ganz so süffig wie das High Wire GF, aber ebenfalls hervorragend.
Der Höhepunkt steht mit aber noch bevor, wenn ich auch aus Vernunftsgründen von diesem Bier nur einen Probierschluck nehme, und kein ganzes Glas. Es ist das Jule Maelk von To Øl. Ein Milk Stout, aber was für eins. Fünfzehn Prozent Alkohol, und trotzdem sauber im Stil geblieben. Eine kremige Süße, eine nur ganz leicht röstige Malzigkeit, tiefdunkel, und dazu der deutlich spürbare Alkohol. Ein Imperial Milk Stout, eine Art Milk Stout mit Schuss. Eine schöne Wärme entsteht in meinem Mund, ein feines Winterbier, für winzige Schlucke und großen Genuss.
Und in der Summe sind alle drei Biere Anlass genug, nun besonders aufmerksam die Regale zu inspizieren und feine Spezialitäten für den Silvesterabend zu finden!
Beyond Beer GmbH
Weidenallee 53 – 55
20 357 Hamburg
Hamburg
Deutschland
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