První Pivní Tramway
Praha
CZE

Oh, nein, ich fasse es nicht! Die Straßenbahnlinie 11 ist offensichtlich immer noch nicht bis zum Ende ausgebaut… Der Zug hält an der Haltestelle Plynárna Michle, drei Stationen vorher, und die junge, hübsche Straßenbahnfahrerin geht von Wagen zu Wagen, um sicherzustellen, dass wir auch ja alle aussteigen.

Mir schießen zwei Fragen durch den Kopf…

Erstens: Warum gibt es in Berlin, Hamburg oder München nur so wenig junge und hübsche Straßenbahnfahrerinnen? Naja, in Hamburg ist das vielleicht klar. Dort hat man die Straßenbahnen vor vielen Jahren gleich ganz abgeschafft. Egal, ob mit jungen, hübschen Damen oder mit alten, mürrischen Herren am Steuer. Die Pfeffersäcke bevorzugen es, in ihren überteuerten Autos die Auspuffanlagen mit illegalen Konstruktionen auf Knopfdruck zu höchster Lautstärke zu zwingen und dann durch Auf- und Abfahren ihre Erektionsstörungen zu kompensieren. Das kann eine Straßenbahn nicht bieten, egal, wie hübsch die Fahrerin wäre, und so will der Hamburger Senat das dann auch nicht… Aber in München und Berlin?

Und zweitens: Wie weit ist es denn noch bis zur „richtigen“ Endstation? Werde ich wieder mehrere Kilometer durch die Stadt laufen, so, wie ich es seinerzeit bei meinem Besuch in der Sousedský Pivovar Bašta habe machen müssen?

Ärgerlich tippe ich auf meinem Telefon herum, das mir, während ich nach der Entfernung zum Ziel suche, nebenher freudestrahlend verkündet, dass die Straßenbahnlinie 11 übrigens derzeit nur bis Plynárna Michle führe, und ich doch besser von der Innenstadt aus eine ganz andere Verbindung mit dem Bus genommen hätte. Na danke. Diese elektronische Besserwisserei hat mir gerade noch gefehlt.

Ich widerstehe dem Reflex, das Telefon in hohem Bogen in die Büsche zu werfen, und mache mich auf den Weg. Anderthalb Kilometer noch. Zum Glück ist gutes Wetter.

Nach gut zwanzig Minuten (die anderthalb Kilometer Entfernung galten nur für Autos, die auch über die Schnellstraße dürfen – als Fußgänger muss ich außen rum…) erreiche ich endlich die eigentliche Endstation der Linie 11: Den Wendekreis in Sporilov. Und hier steht sie, die První Pivní Tramway.

an der Endstation der Linie 11

An anderen Straßenbahnhaltestellen steht normalerweise ein Kiosk oder eine Trafik. Zeitungen, Kaffee, ein Brötchen, Straßenbahntickets und – für die Suchtknechte – Zigaretten kann man da kaufen. Aber hier in Sporilov befindet sich in dem Kiosk-Gebäude eine kleine Bierbar. Zwar auch gut geeignet für Suchtknechte, denn sie ist eine der wenigen noch übriggebliebenen Raucherkneipen, aber abgesehen davon eben alles andere als ein Kiosk.

Ich gehe durch die Tür und stehe mitten in dem kleinen Schankraum. Durch den Qualm sehe ich schemenhaft die kleine, enge Theke, die hinter einer Dekoration, die über Jahre gewachsen ist und in der sich Dinge sammeln, die einfach irgendwann mal dahin gehängt worden sind, fast verschwindet. Eine bunte Kakophonie von Lebenserinnerungen des Barmanns, seiner Familie und seiner Gäste. Zettelchen, Prospekte, Geldscheine aus fernen Ländern, Bierreklame, Fotos. Und mittendrin die nicht minder bunten und vielfältigen Pappendeckel an den acht Zapfhähnen.

acht Biere zur Auswahl

Eine schöne Auswahl, und gebannt starre ich auf die Beschriftung. Einer von der Ich-sitze-immer-hier-auf-diesem-Barhocker-ich-gehöre-zum-Inventar-Sorte stupst mich an und zeigt mit dem Zeigefinger nach oben. Und richtig: Über der Bar hängen acht laminierte Zettel, die mir wesentlich besser zeigen, was gerade gezapft wird. Pilsner Urquell gibt es. Klar. Keine Kneipe oder Bar in Tschechien, in der es nicht entweder Urquell oder Budweiser gibt. Eines der beiden Originale ist obligatorisch. Dann ein einfaches Zehner von Holba, für den schnellen und billigen Durst, gerne auch schon früh am Morgen. Und ein Weizenbier, das Primátor. Neben diesen drei Standards sind aber vier Biere von tschechischen kleinen und Kleinstbrauereien im Angebot und, als achtes Bier, sogar das Vagabond von BrewDog.

Ich entscheide mich für das Lu-Ale der Pivovar Lužiny, einem winzigen Brew-Pub in Prag, und der Auskenner auf dem Barhocker nickt zustimmend. Was für ein Glück, dass ich jetzt nichts Falsches bestellt habe, denke ich, schnappe mir das Bierglas und versuche, dem Zigarettenqualm im Nebenraum ein wenig zu entkommen.

Abgesehen vom Nikotingestank ist es hier urgemütlich. Es erinnert ein wenig an den Kneipenstil der späten Siebziger, an die kleinen Bars, in denen ich rund ums Abitur gerne mal versackt bin. „Ach ja, damals…“, sinniere ich und erinnere mich, dass es damals gang und gäbe war, dass man schon nach einem einmaligen, kurzen Kneipenbummel aus allen Poren nach Zigarettenqualm stank und selbst die Wäscheberge in der Ecke dann die ganze Wohnung mit dem „Duft der großen, weiten Welt“ betörten. Puh! Früher war wohl doch nicht alles besser…

rustikale Gemütlichkeit

Ich genieße mein im belgischen Stil gebrautes Lu-Ale. Orangegold schimmert es, leicht estrig im Geruch, malzig und ein wenig fruchtig im Geschmack. Nur der grobe Glaskrug passt nicht wirklich zum eher fein-aromatischen Bier. Aber das ist hier normal. Dem Tschechen passt der simple und solide runde Krug zu allem. Hauptsache, er ist groß genug, dass eine Menge hineinpasst.

Um mich herum gemischtes Publikum. Junge Pärchen, alte Männer. Eine Familie mit erwachsenen Kindern. Es gibt Bier und Kartoffelchips, aber wer möchte, kann auch etwas Richtiges zu essen bekommen. Es ist ein Familienbetrieb, Mutter und Tochter stehen in der Küche, und so bietet die kleine Speisekarte deftige Hausmannskost.

Eine kleine Kneipe im Randbezirk der Stadt. Ein schönes Bierangebot, eine nette Atmosphäre, eine gemütliche Anlaufstelle für die Anwohner oder für die, die in der Straßenbahn 11 eingeschlafen sind und erst an der Endstation wieder aufwachen. Wenn sie dann irgendwann wieder bis zur Endstation fährt, unsere Straßenbahn…

Die První Pivní Tramway, die Erste Bier-Straßenbahn, befindet sich im Kiosk an der Endstation der Straßenbahnlinie 11 in Sporilov. Sie ist montags bis freitags ab 14:00 Uhr, sonnabends, sonntags und feiertags ab 17:00 Uhr bis zum letzten Gast geöffnet; kein Ruhetag. Die Erreichbarkeit ist offensichtlich – ab April 2017 hält die Straßenbahn wieder direkt vor der Eingangstür. Bis dahin kann man sich mit dem Stadtbus behelfen, dessen Haltestelle etwa hundert Meter entfernt liegt.

Bilder

První Pivní Tramway
Na Chodovci 1a
Sporilov
141 00 Praha
Tschechien

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