Manchmal fällt mir beim Aufräumen ein altes Buch in die Hand, ich beginne zu blättern, und je nach Buch amüsiere ich mich, wie doch im Laufe der Zeit sich die Ansichten ändern, manchmal aber staune ich auch, welche – gerne auch trivialen – „Weisheiten“ über die Jahre Bestand haben.
Mit der Bier Enzyklopädie von Berry Verhoef, die ich vor vielen Jahren mal auf einem Bücher-Grabbeltisch mitgenommen habe, verhält es sich genauso – und zwar in beiderlei Hinsicht. Kaum habe ich das Buch aufgeschlagen, lese ich im Vorwort:
„Bierliebhaber haben es lange nicht so gut wie Weintrinker: Seit langem ist es ganz normal, dass ein Restaurant eine mehr oder weniger ausführliche Weinkarte hat, von der man zwischen trockenen Weiß- oder körperbetonteren Rotweinen wählen kann. Die Bierliebhaber können da nur neidisch werden, denn es gibt fast kein Restaurant, außer in Belgien, das über eine eigene Bierkarte verfügt oder gar ein besonderes Bier zu den bestellten Speisen empfehlen kann. Und dabei hat Bier all die Qualitäten, die als Abrundung verschiedenster Mahlzeiten dienen könnten!“
Eigentlich gilt das unverändert auch heute noch, bald zwanzig Jahre später. Seien wir doch ehrlich: Die Kreativbier-Revolution mag zwar in Deutschland angekommen sein, man mag in jeder größeren Stadt eine recht ordentliche Bierauswahl finden und auf seinen Geschmack kommen, egal wie exotisch dieser ist, aber in Restaurants herrscht fast überall die unverändert gleiche Langeweile. Und das wird sich so lange nicht ändern, wie die großen Brauereien mit ihren Knebelverträgen die Restaurants und Gastwirtschaften weiter fest im Griff haben und ihnen vorschreiben können, welche Biere im Angebot zu halten sind.
Ganz anders sieht es dann aus, wenn ich mir den Inhalt des Buches näher betrachte, und feststelle, wie viel sich in fast zwanzig Jahren dann doch verändert hat. Könnte man sich heute, im Jahr 2017, noch vorstellen, ein Buch herauszugeben, das ganz Österreich auf 1⅓ Seiten abhandelt? Lediglich drei Biere aus diesem Land nennt, nämlich das Eggenberger Urbock 23%, das Gösser (Hell) und das Zipfer? Mittlerweile gibt es in Österreich so viele Kleinbrauereien, so viele neue Biermarken, dass man darüber nur noch lächeln kann. Gleiches gilt auch für die Schweiz, mittlerweile wohl das Land mit den meisten Brauereien pro Kopf in Europa, vielleicht höchstens noch von Liechtenstein übertroffen, dass bei solchen Durchschnittsberechnungen durch seine geringe Bevölkerungszahl im Vorteil ist. Abgehandelt auf einer ¾ Seite. Mit einem Bier. Dem Samichlaus. Immerhin ja eine echte Spezialität, auch wenn sie heutzutage gar nicht mehr in der Schweiz, sondern in Österreich gebraut wird.
Aber einmal abgesehen vom Lauf der Zeit, was fällt noch auf bei diesem Buch? Ein stabiler Karton-Einband, dickes und glänzendes Kunstdruckpapier, durchgängig vollfarbig, 300 Seiten und ziemlich schwer. Macht auf den ersten Blick einen guten Eindruck. Die Fotografien der Bierflaschen sind recht ordentlich, wirken aber durch ihr absolut einheitliches Bild vor dem immer gleichen Hintergrund, immer gleich neutral ausgeleuchtet, irgendwann langweilig. Keine schönen Arrangements der Bilder, keine Abwechslung. Und immer nur die verschlossene Flasche. Da lechzt der Leser doch danach, einmal ein frisch eingeschenktes Glas zu sehen. Zu sehen, wie die Kohlensäure perlt, der Schaum sich auftürmt, Wassertropfen am Glas kondensieren. Dann erst kommt doch der Durst, das Verlangen nach einem leckeren Bier. Sicher, solche Bilder gibt es auch, aber nur ganz, ganz vereinzelt.
Die Struktur des Buchs ist simpel. Nach dem Vorwort kommt eine kurze Einführung, die die Zutaten beschreibt, den Brauprozess erklärt und die wichtigsten Biersorten vorstellt. Das sogenannte Reinheitsgebot wird mit einem einzigen Absatz abgehandelt: „Gewürze werden von den Deutschen überhaupt nicht verwendet, weil das Reinheitsgebot dies verbietet. (…) Der Rest der Welt jedoch – besonders die belgischen Brauer – verfährt da jedoch völlig anders.“ Und damit ist eigentlich auch alles zu dieser überflüssigen Regelung gesagt. Man merkt, Berry Verhoef ist Niederländer.
Es folgen im Hauptteil des Buches die Länder der Welt – nach Kontinenten sortiert. Zu jedem Land eine mehr oder weniger kurze Beschreibung der Bierszene. Manchmal sehr knapp und kurz, wie in den Beispielen Österreich und Schweiz, dann wieder recht lang und ausführlich, wie in den Fällen von England, Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Tschechien. Einzig die Vereinigten Staaten von Amerika erhalten noch ein wenig mehr Aufmerksamkeit, allerdings wird hier die erste Welle der Craftbier-Revolution, die 1998 durchaus schon deutlich zu beobachten war, mit nur wenigen Worten abgetan.
Insgesamt ein wenig unausgewogen. Schön, um drin zu blättern, zum einen oder anderen Bier mal ein paar Worte und Daten zu finden, aber in der Summe nicht wirklich begeisternd. Auch damals schon hätte die Beschreibung der Bierländer ein wenig mehr von den Stereotypen abweichen dürfen, wären ein paar mehr hintergründige Informationen zu Brauern und lokaler Bierszene wünschenswert gewesen.
Nun, auf dem Grabbeltisch war es nicht allzu teuer, und so ist es denn Teil meiner Sammlung geworden, beschreibt rund 800 Biere und erfreut mit vielen bunten Bildchen.
Berry Verhoef
Bier Enzyklopädie
Naumann & Göbel Verlagsgesellschaft mbH
Köln, ca. 2001
ISBN 3-625-10345-1
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