Ich stehe am Ausgang des Museo del Ferrocarril de Madrid. Hinter mir steht eine der alten Museums-Dampfloks auf ihrem Sockel. Ihre schwarze Farbe glänzt im leichten Nieselregen. Ich höre die Musik und die Stimmen vom Bierfest, ein paar Regentropfen rinnen mir in den Nacken, und ich weiß nicht, ob glücklich oder unzufrieden sein soll.
Soll ich unzufrieden sein? Morgen früh, am Sonntag, muss ich um vier Uhr aufstehen, um den ersten Flieger zu bekommen. Dementsprechend war heute auch gar nicht daran zu denken, bis spät abends zu feiern, und so habe ich dem Beermad – Mercado de la Cerveza Artesana nur einen kurzen (Spät-)Nachmittagsbesuch abgestattet. Bin zwei Stunden zwischen den rund vierzig Ständen verschiedener Brauereien aus ganz Spanien hin- und hergewandert, habe kaum Bier trinken dürfen und überall immer mal wieder gehört, nachher gebe es eine besondere Präsentation, morgen würde man noch ein paar andere Biersorten dahaben, und heute Abend dürfe ich auf keinen Fall diesen oder jeden Event verpassen. Als habe man sich abgesprochen, mir immer wieder neue Köder vor die Nase zu halten, die ich nicht werde schnappen können.
Oder soll ich doch lieber glücklich sein? Die wenigen Biere, die ich getrunken habe, waren samt und sonders lecker und die Gespräche mit den Brauern und ihren Mitarbeitern an den Bierständen kurzweilig und interessant, sofern wir die Sprachhürde überwinden konnten und sich jemand fand, der wenigstens ein bisschen Englisch sprach und auch den Mut hatte, die Sprache anzuwenden.
Wir haben viel gelacht, geradebrecht, Visitenkarten ausgetauscht, verkostet. Und immer, wenn es gerade besonders schön war, kam unweigerlich die Bemerkung: „Pass‘ auf, komm morgen Nachmittag noch mal vorbei, dann bringe ich …“, und dann musste ich wieder abwinken. Vom 29. April bis zum 2. Mai ist der Markt des handwerklichen Biers geplant, mit Schwerpunkt auf Sonn- und Feiertag, also auf dem Dreißigsten, Sonntag, und dem Ersten Mai, Feiertag. Und ich kann nur am Sonnabendnachmittag, für ein paar wenige -Stunden…
Am Stand der Greyhound Brewers aus La Roda habe ich ein ausgezeichnetes India Pale Ale getrunken, das In Hop We Trust. Mit Citra, Simcoe und Chinook gehopft. Fruchtig und bitter, mit einem soliden Malzkörper. 6,5% Alkohol, also noch nicht allzu stark. Lustige junge Leute, und das Bier wurde mit witzigen Etiketten und Grafiken beworben.
Am Stand der Cerveza Artesanal Michelada das nächste nette Erlebnis: Das Michelada Malinche, ein leicht säuerliches und erfrischendes Bier, einer Gose nicht unähnlich, aber mit kräftigen Zitrusnoten, wird in ein Glas eingeschenkt, dessen angefeuchteter Rand vorher in Chilipfeffer getaucht wurde. Beim Trinken mischen sich dann die salzigen und zitrusartigen Aromen des Biers mit der Schärfe des Chilipfeffers – ein spannendes Trinkerlebnis.
Ich bummle weiter und sehe ein Plakat: Craftbeer * No Shit, nicke innerlich, gehe aber doch ein paar Schritte weiter, möchte zunächst wenigstens einmal das ganze Gelände abgelaufen sein.
La Vella Caravana – der Stand der Brauerei aus La Noguera gefällt mir schon allein wegen des netten Namens. Der alte Wohnwagen. Ein paar leichtere Fruchtbiere gibt es hier – eine Gelegenheit, die ich mir nicht entgehen lasse, und ich verkoste das Pera, ein Bier mit Birnen, mit 4,5% Alkohol. Erfrischend säuerlich, mit nur dezentem Birnenaroma. Ein schönes Sommerbier, ein herrlicher Durstlöscher an heißen Tagen.
Ich habe das Ende des Geländes erreicht und blicke zurück. Entlang des gesamten Gebäudes des Eisenbahnmuseums stehen die Bierstände aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur. Sehr schön, dass es samt und sonders kleine Brauereien sind, und mindestens ebenso schön, dass alle nur einen kleinen Pavillon aufbauen durften. So wird verhindert, dass sich eine finanzkräftigere Brauerei zum Platzhirschen aufschwingt, einen riesigen Bierpalast mitten aufs Festgelände klotzt und die Ausgewogenheit des Angebots zerstört.
Weniger schön der leichte Nieselregen. Die ganze Woche über war es schön gewesen, teilweise schon sommerlich warm, und neidisch habe ich durch die Fenster des Konferenzsaals geschaut. Jetzt, wo die Konferenz vorbei ist, wo die Sonne über dem Bierfest strahlen könnte, nieselt es. Wie verdrießlich!
Ich lasse mich nicht beirren, bummele langsam wieder zurück. Ich stoppe am Stand der Compañía de Cervezas Valle del Kahs, oder kurz CCVK, probiere deren Weizenbier, das Trigo, TRKAHS genannt. Nicht zu hoch gespundet, für ein Weizen eher ungewöhnlich niedrig, schmeckt es trotzdem frisch und leicht, überzeugt mit feinen Weizenaromen und einem sehr kremigen Schaum. Fein. Ob ich denn nicht ein paar Flaschen oder Dosen mitnehmen wolle, fragt mich die nette Dame hinter dem Tresen. Bedauernd schüttle ich den Kopf, der Koffer für den Rückflug ist leider schon wieder übervoll…
Ich schaue auf die Uhr. Glücklich könnte sich sein, hier auf dem Bierfestival meine Zeit zu verbringen, aber erbarmungslos drehen sich die Zeiger. Wenn ich wenigstens halbwegs erholt meine Rückreise antreten möchte, sollte ich mich langsam auf den Weg zurück ins Hotel machen.
Ein einziges, ein allerletztes Bier für heute. Ich bleibe am Stand einer Dorfbrauerei stehen: Cervezas del Pueblo, Biere vom Dorf, eine winzige Brauerei in Casas Ibáñez. Nur ein kleines Bierchen möchte ich trinken, bedeute ich dem Herrn hinter der Theke, und er nickt. „Kein Problem“, sagt er, „aber wenn es nur ein einziges sein soll, dann muss es ein besonderes sein: Ein Imperial India Pale Ale!“ „Aber das ist mir viel zu stark“, versuche ich noch halbherzig zu protestieren, doch er schaut mich nur an und füllt in aller Seelenruhe mein Glas. „Du sagtest, ein einziges, und dann muss es ein gutes sein!“
Ach, zum Glück hat er recht – es ist in der Tat ein besonders gutes Bier. Nicht so fruchtig und hopfig-aggressiv wie die eher amerikanisch orientierten Vertreter dieses Bierstils, sondern eher erdig, harzig, irgendwie wärmer und weicher. Englischer, sozusagen. Immer noch beliebig bitter, immer noch unendlich hopfig, immer noch mit einem gewaltigen Malzkörper, aber geschlossener, harmonischer. Ein Bier, das dazu zwingt, innezuhalten, langsam zu genießen, und dass uns folglich eine lange und angenehme Unterhaltung beschert. Ich erfahre von der Brauerei irgendwo auf dem Land, von der Familie und den Nachbarn, von den Problemen mit der Bürokratie und der Unterstützung regional vor Ort.
Dass mir währenddessen das Wasser vom Dach des kleinen Pavillons in den Nacken tropft, registriere ich kaum. Dass die Zeit verfliegt und ich jetzt schon weiß, dass ich morgen unausgeschlafen sein werde? Was soll’s! Ein netter Abschluss eines kurzen, viel zu kurzen Besuchs auf einem Bierfest, dass erst ab heute Abend so richtig spannend sein wird.
Langsam bummele ich zum Ausgang und fühle mich wie ein Geisterfahrer. Als einziger verlasse ich um diese Uhrzeit das Gelände, und hunderte Besucher kommen mir in umgekehrter Richtung entgegen.
Auf Höhe der kleinen Lokomotive bleibe ich stehen, drehe mich noch einmal um.
Soll ich unzufrieden sein, jetzt gehen zu müssen?
Soll ich glücklich sein? Eine zwar anstrengende, aber abwechslungsreiche Woche in Madrid habe ich hinter mir. Hatte die Chance, noch einen freien Sonnabend an die Arbeitswoche anzuhängen, und an diesem Sonnabend ein tolles, kleines Bierfest zu besuchen. Im Regen zwar, und viel zu kurz, aber mit netten Gesprächen und leckeren Bieren.
Ach, ich glaube, ich bin einfach glücklich und zufrieden.
Das Bierfest Beermad – Mercado de la Cerveza Artesana 2017 fand vom 29. April bis zum 2. Mai 2017 auf dem Gelände des Eisenbahnmuseums Museo del Ferrocarril de Madrid statt. Ob es eine einmalige Veranstaltung war, oder ob es zukünftig regelmäßig stattfinden soll, ist noch nicht entschieden, aber der Auftakt war sicherlich nicht schlecht. Rund vierzig vorwiegend spanische Kleinbrauereien, dazu ein buntes, aber nicht dominierendes Unterhaltungsprogramm und leckeres Streetfood. Ein gutes, kleines Festival!
Beermad – Mercado de la Cerveza Artesana 2017
Museo del Ferrocarril
Paseo de las Delicias, 61
28045 Madrid
Spanien
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