Ein bisschen kompliziert ist sie, die Adressangabe, die wir bekommen haben, und zunächst weigerte sich das Navi auch, sie zu finden: Stefanik-Brücke, Dvořák-Ufer, Anlegeplatz 19 in Prag. Andererseits ist es dann auch wieder nicht allzu kompliziert, denn die Stefanik-Brücke ist leicht zu finden, und wenn man sich mitten auf die Brücke stellt, dann sieht man das kleine Schiff auch sofort, und der Schriftzug am Bug ist eindeutig: Ein Schiff namens Pivovar – Brauerei. Die Loď Pivovar.
Ende 2016 hat sie erst den Betrieb aufgenommen und erst im März 2017 hat sie offiziell eröffnet, ist „in den Wirkbetrieb gegangen“, wie das die Projektmanager bei SAP wohl ausdrücken würden…
Und nun, ein paar Wochen nach der Eröffnung, stehen wir am Dvořák-Ufer vor dem Anlegeplatz 19 und beäugen das Schiff zunächst von außen. Es scheint ein ehemaliges Ausflugsschiff zu sein, mit dem man in Prag die Moldau auf und ab schippern und die Silhouette der Stadt bewundern konnte. Jetzt liegt es fest vertäut am Südufer der Moldau, nur wenige hundert Meter von der historischen Altstadt entfernt.
Wir betreten das Schiff über eine schmale Gangway und sehen rechts von uns schon an den Fensterscheiben mit farbiger Schrift die Bierkarte – drei Sorten gibt es im festen Angebot: Legie 10°, Republika 12° und Monarchie 13°. Na prima, da gibt es gleich genug zu probieren!
Der Schankraum im oberen Deck erinnert noch deutlich an die Zeiten als Touristendampfer: Die Sitzanordnung ist unverändert, vor jedem Fenster steht ein Vierertisch, so dass man während des Essens rauskucken kann. Wir haben die Wahl, entweder ein Fenster auf der Uferseite, mit Blick auf die Betonmauer des Kais und die Müllcontainer, oder ein Fenster auf der Wasserseite, mit Blick auf den Fluss und die langsam vorübergleitenden Schiffe. Die Entscheidung ist klar, denn so attraktiv sehen die knallbunten Müllcontainer jetzt doch nicht aus.
Am Stirnende sehen wir die Theke, dahinter durch eine Öffnung die Küche.
Am anderen Ende, da, wo wir gerade hereingekommen sind, steht das kleine Sudwerk. Eine simple Konstruktion aus Stahlblech. Offene Verrohrung. Ventile, Armaturen und Schalttafel sind ebenfalls einsehbar, nichts ist verkleidet oder auf ansehnlich getrimmt. Reines Ingenieurwerk, ohne Schaueffekt. Aber es ist alles sauber. Nicht blitzblank poliert, das ließe das Material gar nicht zu, aber blitzsauber.
Eine Stahltreppe führt ins Unterdeck, und dort stehen links und rechts die Lagertanks. Dazwischen eingeklemmt eine winzige Bar, und dahinter die weiß gestrichenen Stahltüren, die durch die Schotte führen. Man sieht und weiß sofort, dass man sich auf einem Schiff befindet; nichts wurde hinter Holzverkleidungen versteckt.
Neben den Lagertanks, direkt vor der Theke der Bar, steht ein historisches Motorrad. Sieht toll aus und ist der Blickfang hier auf dem Unterdeck, aber es steht gleichzeitig auch mitten im Weg. Die Kellner müssen jedes Mal drum herumlaufen, wenn sie das Bier holen. Die Gäste auch, wenn sie ihr Bier im Stehen direkt an der Bar trinken wollten. Trotzdem: Schmuck schaut’s aus!
Sudwerk und Lagertanks – prima. Aber wo ist die Gärung? Beim Betreten des Schiffs haben wir sie übersehen – direkt am Eingang kann man durch ein Glasfenster in die offenen Bottiche sehen, die kremigen Kräusen und die braunen Hopfenharze darauf bewundern.
Genug umhergelaufen und gekuckt – jetzt wird auch verkostet. Wir nehmen wieder an unserem Tisch Platz und werfen einen Blick auf die Getränkekarte. Ein einfacher DIN-A-4-Zettel ist es nur, und er listet neben den drei Bieren, die schon außen an die Fenster geschrieben waren, noch zwei weitere Sorten auf, das 12° Remorkér und das 13° Prinz Eugen. Während ich mit dem Finger über die Liste fahre, kommt die junge Kellnerin und ergänzt: „Das Monarchie und das Prinz Eugen haben wir im Moment nicht, aber dafür gibt es ein Weißbier, das nicht in der Liste steht.“ Vier Biere also zur Auswahl, ist ja auch nicht schlecht.
Das zehngrädige Legie enttäuscht ein wenig. Zu dünn, zu wässrig wirkt es. Natürlich kann man von einem Leichtbier nicht viel erwarten, aber andere Kleinbrauereien zeigen, dass man auch aus 10% Stammwürze recht viel Geschmack rausholen kann. Hier leider nicht. Das zwölfgrädige Republika versöhnt uns aber sofort wieder. Ein aromatisch gehopftes Alltagsbier, ein schönes, helles Lagerbier, blumig im Charakter und sehr süffig.
Dann wird zunächst das Essen serviert. Solide Kost. Kaninchenkeule, feiner Gulasch – große Portionen, appetitliche Hausmannskost. Kein Schicki-Micki auf dem Teller, sondern etwas Deftiges für den Hunger, der sich spätestens nach dem zweiten Bier einstellt.
Zurück zum Bier. Das 12° Remorkér erweist sich als großer Bruder des Republika. Kerniger, kräftiger gehopft, deutlich bitterer. Kasbek-Hopfen verleiht ihm einen Hauch von Zitrusaroma, und angeblich ist das Bier bereits im September letzten Jahres gebraut und bis heute gelagert worden, um den Geschmack und das Aroma vom Dry-Hopping ganz besonders zur Geltung zu bringen. Und in der Tat: Es schmeckt ausgezeichnet, schrammt nur ganz knapp wegen seiner etwas kratzigen Bittere an fünf Bewertungssternen vorbei.
Das spritzige, elfgrädige Pšenične, das Weizen also, erweist sich ebenfalls als ausgezeichnetes Bier. Frisch, feine Aprikosen- und Bananenaromen, ein hervorragender Durstlöscher.
Hier kann man gut sitzen, den Ausflugsschiffen auf der Moldau hinterhersehen und den Touristen dort an Bord freundlich zuprosten. Was fehlt, ist das sanfte Wiegen des Brauereischiffs auf den Wellen, dafür ist es offensichtlich zu fest vertäut. Solange man vom Bierglas nicht aufblickt, merkt man gar nicht, dass man sich auf einem Schiff befindet. Schaut man im Schankraum umher, dann natürlich schon, denn die Betreiber haben darauf geachtet, viele Kleinigkeiten im Originalzustand zu belassen und nichts zu verblenden oder zu verstecken, was auf den maritimen Charakter dieses Restaurants hinweist.
Die jungen Bedienungen, Frauen wie Männer, sind durchweg freundlich und aufmerksam, sprechen ein wenig deutsch und englisch und helfen gerne beim holprigen Entziffern der Speisekarte. Beispielsweise, indem sie darauf hinweisen, dass das Kleingedruckte unter jeder Speise die englische Übersetzung ist. Aha! Lesebrille auf, und schon wird das Leben sprachlich deutlich einfacher…
Unter den mittlerweile mehr als zwei Dutzend Prager Brauereien sicherlich eine der originellsten. Schön!
Die Loď Pivovar ist täglich ab 11:30 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Sie bietet drei feste, regelmäßige Biere an (Legie 10°, Republika 12° und Monarchie 13°) und braut daneben immer wieder wechselnde andere Sorten. Die Küche ist klassisch-tschechische Hausmannskost. Zu erreichen ist die kleine Brauerei in fünf Minuten zu Fuß von der Straßenbahnhaltestelle Dlouhá Třída, Linien 6, 8, 15 und 26. Kommt man von dort, liegt das Schiffs am diesseitigen Ufer der Moldau direkt links von der Stefanik-Brücke.
Loď Pivovar
Štefánikův Most
Dvořákovo Nábřeží
Kotviště Číslo 19
110 00 Praha
Tschechien
Sehr detailliert und authentisch beschrieben. Und genauso war auch mein Eindruck dort beim Besuch.
Hallo, Mario,
danke für Deinen netten Kommentar. Freut mich, wenn sich unsere Eindrücke ähneln.
Mit bestem Gruß,
VQ