„Es scheint an der Zeit, einen vollständigen Überblick über die neue Hamburger Bierwelt zu geben“, heißt es im Vorwort des Buchs – ein hehrer Anspruch!
Wird er erfüllt?
Nun, zumindest ist es der vollständigste Überblick … Moment mal, ist es eigentlich legitim, das Wort vollständig zu steigern? Vollständiger? Am vollständigsten? Oder ist das schon dummes Fußballtrainer- und Politikersprech à la „Wir geben immer 150%“?
Eben kurz zurückspulen, neu aufsprechen:
Nun, zumindest ist es der umfassendste Überblick – klingt besser, oder? – über Hamburgs Bierszene, den ich bisher gelesen habe, und ich habe in diesem Buch von Brauereien erfahren, Adressen gefunden, über Kneipen gelesen, von denen ich gar nicht wusste, dass sie existieren. Und das, obwohl ich recht häufig in Hamburg unterwegs bin.
Also, das Buch zu lesen, hat sich gelohnt!
Das Format ist klein und handlich, kaum größer als eine CD-Hülle, aber natürlich deutlich dicker. Etwas über 200 Seiten, hellweißes, matt gestrichenes Papier, durchgängig in Farbe gedruckt, Klappenbroschur.
Hinter den Klappen befindet sich jeweils eine Landkarte; die vordere zeigt Hamburg, die hintere den Großraum rund um Hamburg, und in beiden sind die im Buch beschriebenen Orte gekennzeichnet.
Nach dem Vorwort teilt sich das Buch in vier Abschnitte: „Brauereien und Biere“, „Bierfachgeschäfte“, „Ausflüge ins Hamburger Umland“ und „Kleines Bierlexikon“, wobei der erste, lange Abschnitt das Buch eigentlich ausmacht, die anderen drei sind nur Dreingaben.
„Brauereien und Biere“ also. Beginnend mit der größten Brauerei Hamburgs, der Holsten-Brauerei, werden die Hamburger Brauereien kurz beschrieben, und die Autoren gönnen sich dafür jeweils etwa zwei Bild- und zwei Textseiten. Kurze, gut leserliche und recht eingängige Texte. Schnell zu überfliegen, und man hat einen ersten Eindruck.
Zu jeder Brauerei schließen sich drei Gastronomie-Empfehlungen an: ein brauereieigener Ausschank, eine Kneipe mit langen Öffnungszeiten und ein eher ungewöhnlicher Ort, eine Art Geheimtipp – jeweils auf einer Bild- und einer Textseite beschrieben.
Ein schöner Ansatz, und die Informationen werden im Falle der Brauereien durch Verkostungsnotizen von Jonathan Seipp, dem Biersommelier in der Runde der Autoren, ergänzt, im Falle der Gastronomie durch Adresse, Erreichbarkeit mit den Öffis und Öffnungszeiten.
Leider wird der Ansatz nicht ganz durchgehalten, sondern kippt nach einigen Seiten ins Ungefähre. Zum einen gibt es dafür recht handfeste Gründe: Nicht alle der beschriebenen Brauereien haben einen eigenen Ausschank, manche sind sogar so klein, dass es offensichtlich gar nicht möglich war, drei verschiedene Orte zu finden, an denen das Bier erhältlich ist. Und zum anderen handelt es sich bei vielen der beschriebenen Brauereien gar nicht um richtige Brauereien. Manchmal sind es nur Wanderbrauer ohne eigenes Sudwerk, die sich in existierenden Brauereien einmieten und dort ihre Biere produzieren (lassen). Und das lässt der Beliebigkeit leider freien Lauf:
Es gibt Wanderbrauer, die ihre Biere auf fremden Anlagen selbst einbrauen, die Gärung selbst überwachen und den Vertrieb selbst übernehmen, also wirklich nur die fremde Hardware benutzen, und die dies auch offen kommunizieren, dem Biergenießer also auch sagen, wo das Bier entstanden ist. Und am anderen Ende der Skala gibt es Wanderbrauer, die zu einer Brauerei gehen, sich dort ein Rezept vorschlagen lassen, nach diesem dann ein Bier brauen und abfüllen lassen und es dann unter eigener Marke verkaufen, manchmal sogar ohne Hinweis, wo das Bier denn tatsächlich entstanden ist. Dieses zweite Ende der Skala ist zwar genauso legal wie das erste, für den Konsumenten aber ärgerlich. Er glaubt, ein besonderes Produkt einer besonderen Brauerei in den Händen zu halten und zu trinken, und in Wirklichkeit ist es nur eine Art Potëmkinsches Dorf, den Etikettenbieren im Lebensmitteldiscounter (Karlsquell, Perlenbacher, …) nicht unähnlich.
Einige der im Buch aufgeführten Brauereien sind Wanderbrauer, und leider decken sie auch fast die gesamte Breite der gerade beschriebenen Skala ab. Hier wäre eine klare Trennung zwischen „richtigen“ Brauern, also Brauern mit eigener Brauerei, und Wanderbrauern angebracht gewesen.
(Einschub: Ich bin mir bewusst, dass dies schwierig ist, denn was macht man mit Kleinst-Brauern, die zwar eine eigene Brauerei haben, für ein oder mehrere Biere ihres Portfolios aber aus Kapazitätsgründen trotzdem auf das Wanderbrauerprinzip ausweichen? Mindestens ein Beispiel dafür ist mir in Hamburg bekannt…)
Und dann bleiben auch noch die Biere, die von einer größeren Brauerei ausschließlich für eine bestimmte Lokalität eingebraut werden, üblicherweise nach eigenem Rezept (was zwar niemand nachprüfen kann, aber wir lassen das mal so stehen). Schön, dass sie ebenfalls erwähnt werden, aber noch schöner, wenn man sie in einem eigenen Abschnitt separiert hätte. Der Struktur des Buchs hätte es gut getan.
Gleichwohl: Der Überblick über die Szene ist gut, die Angaben alle aktuell, die Texte eingängig. Und gut lektoriert. Selten passiert es mir, dass ich beim Lesen eines Buchs keinen Druckfehler entdecke. Hier muss ich zugeben, gescheitert zu sein. Ich habe keinen Tipp-, Setz- oder Druckfehler gefunden. Großes Lob!
Aber es kommen ja noch drei weitere, kurze Abschnitte. Der über die Bierfachgeschäfte in Hamburg, beispielsweise. Er springt ein bisschen zu kurz. Hier hat Hamburg doch ein wenig mehr zu bieten als die vier beschriebenen Läden – auch wenn es wohl die vier besten sind. Und vor allem: Wer hat denn das Foto aus dem Bierland Hamburg auf Seite 177 ausgewählt? Es ist schon ein Kunststück, Esther Isaaks urigen, bunten Laden so zu fotografieren, dass er kühl und elegant, fast schon steril wirkt. Ein schönes Foto, aber sehr untypisch für das Bierland.
Der nächste Abschnitt über die Ausflüge ins Hamburger Umland ist nett gemacht, ermuntert auch, einen dieser Ausflüge einmal selbst zu machen.
Bleibt der letzte Abschnitt, das Kleine Bierlexikon. Meine Empfehlung bei einer Neuauflage: Weglassen! Solche Begriffssammlungen sind immer gefährlich. Zu kurze Erläuterungen, um korrekt zu sein. Willkürliche Auswahl der Begriffe. Genau der Begriff, den ich als Leser hier gerne sähe, fehlt, dafür sind andere enthalten, die ich als überflüssig empfinde. Wenn nicht das ganze Buch als Bierlexikon angelegt ist, kann man es als Autor in so einem Kapitel niemandem Recht machen. Warum also dieses Risiko eingehen? Zumal das Kleine Bierlexikon nichts mit der Hamburger Bierszene zu tun hat! Hätten die drei Autoren diesen Abschnitt weggelassen, hätten sie Platz für ein paar mehr Bierfachgeschäfte gehabt.
Das Buch schließt mit einer kurzen Vorstellung der Autoren auf der letzten Textseite, der Seite 207. Schön, die drei Jungs auch auf dem Bild zu sehen – da bekommt man gleich ein anderes, persönlicheres Verhältnis zum Buch. Aber halt: Ein Fehler ist den Lektoren doch durchgerutscht, denn die Nennung der Namen im Text und die Reihenfolge der Gesichter auf dem Foto, das passt hinten und vorne nicht. Weder von rechts nach links, noch von links nach rechts. Wer ist wer? Wer nicht das Glück hat wie ich, wenige Tage nach Erscheinen des Buchs die Autoren persönlich treffen zu können, wird das who is who nicht auflösen können!
Summa summarum: Ein leichtes Lesevergnügen, gute Verarbeitungsqualität, sehr gutes Lektorat, viel neue Information für denjenigen, der sich Hamburg biertechnisch näher erschließen möchte, und insofern, trotz der verbesserungsbedürftigen Struktur des Hauptabschnitts des Buchs, eine Kaufempfehlung.
Peter Stahmer, Konstantin Meisel, Jonathan Seipp
Auf Hamburgs Wohlergeh’n! – Der Bierführer für die Hansestadt
Junius Verlag GmbH
Hamburg, 2017
ISBN 978-3-88506-787-0
Anmerkung: Das Buch wurde mir vom Verlag zu Rezensionszwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Ich habe versucht, mich davon nicht beeinflussen zu lassen.
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