Biraria Jägerhof / Бирария Jägerhof
Plovdiv
BGR

Bin ich im Ausland unterwegs und werde ich auf deutsche Kultur angesprochen, dann steht immer Bayern im Vordergrund. „Wie, Du bist aus Deutschland? Du trägst ja gar keine Lederhosen! Jodel doch mal, bitte!“

Obwohl, Bayern. Das Klischee ist ja noch enger. Oberbayern, eigentlich nur. Nicht Franken, nicht Allgäu. Eigentlich ja sogar Oberbayern minus München, denn … München und Kultur?

Wie fühlt man sich als pfälzischer Weinbauer, friesischer Freibeuter, erzgebirgischer Obersteiger eigentlich, wenn man mit diesen Klischees konfrontiert wird? Und wie soll es jetzt weitergehen, wenn ausgerechnet ein Bayer nun Heimatminister werden soll? Müssen dann die Preußen ihre Pickelhaube gegen einen Sepplhut tauschen? Die Schwarzwälder Frauen ihre Bollenhüte zum Dirndl tragen? Und der Shantychor Schuhplatteln lernen? Ach, es ist zum Heulen.

Dabei weiß ich doch eigentlich noch gar nichts von der politischen Absicht, Horst Seehofer zum Heimatminister zu machen, die werde ich doch erst zum Zeitpunkt des rückwirkenden Erstellens dieses Artikels gekannt haben.

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Jägerhof Hausbrauerei

Aber die Befürchtungen sind trotzdem schon ganz real, wie ich so in einer Siedlung außerhalb des Stadtkerns von Plovdiv stehe. Vor mir ragt der Giebel eines großen Gebäudes auf. Jägerhof Hausbrauerei steht dran, unter einem Wappen, das auffällig an einen bekannten Kräuterlikör erinnert. In Deutsch. Mit korrektem Umlauf. Auf dem Hof wehen weiß-blau rautierte Flaggen. Drinnen flitzen junge Bedienungen im Dirndl beziehungsweise in Lederhosen hin und her.

„Tja, auch das gehört zur bulgarischen Bierszene“, lacht Temelko Pampov, bulgarischer Haus- und mittlerweile auch kommerzieller Brauer. „Da musst Du jetzt durch!“ Aber ich solle mir keine Sorgen machen, fährt er fort. Das Bier sei soweit in Ordnung, und das Essen eine ganz witzige Kombination von bayerischer Küche und bulgarischem Einfluss.

Wir gehen um das Gebäude herum, öffnen die Eingangstür und stehen in einer riesigen Halle. Zwei Stockwerke hoch, im oberen Stockwerk eine breite Galerie, die sich einmal ringsherum zieht. Sowohl unten als auch oben sind die Tische also in einem großen Kreis angeordnet, von überall blickt man auf die Theke und auf das dahinterstehende, den gesamten Raum dominierende Kupfersudwerk der Firma Caspary. Hier hat jemand das Sudwerk genommen, in der Mitte platziert und den gesamten restlichen Brau- und Restaurantbetrieb rundherum arrangiert.

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das zentral platzierte Sudwerk

Wir suchen uns einen Tisch nicht allzuweit von der Theke entfernt und studieren die Getränkekarte. Drei Biersorten gibt es, und natürlich möchten wir sie alle probieren. Von jeder Sorte also ein kleines Glas, bitte, sage ich zu der jungen Dame, die die Bestellung aufnimmt, und Temelko fügt trocken hinzu: „Für jeden!“ Außer für seinen Sohn Stoycho natürlich, der heute fahren muss. Es folgt eine kurze weitere Bestellung auf Bulgarisch, und das Mädel verschwindet wieder.

„Ich hab uns noch ein paar Knabbereien dazu bestellt, nur einen kleinen Snack zum Bier“, erzählt Temelko. „Du weißt doch, meine Frau bereitet zuhause gerade das Abendessen vor, da müssen wir uns noch ordentlich Hunger bewahren.“

Es kommen die Biere, drei Stück, und es kommt der „Snack“. Mir gehen die Augen über. Eine gewaltige Fleisch- und Wurstplatte, dazu noch ein riesiger Teller mit verschiedenen Frischkäsebällchen, ein Brotkorb dazu, und die Grundversorgung für die nächsten drei Tage ist eigentlich gesichert. „Und das Abendessen bei Dir zuhause?“ Ich schaue Temelko entgeistert an, aber er nickt nur zuversichtlich. „Das schaffen wir schon!“ Ach, wenn ich doch nur auch so optimistisch sein könnte…

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nur ein kleiner Snack …

Zunächst geht es aber ans Bier. Das Weizen enttäuscht. Ich bin sowieso schon kein Weizen-Fan, aber dieses hier hat noch dazu starke phenolische Aromen, schmeckt zu aufdringlich, zu wenig erfrischend. Zu mehr als zwei Sternen kann ich mich leider nicht durchringen. Missmutig schiebe ich das Glas zur Seite und esse erstmal ein paar Bissen. Fleisch und Wurst sind lecker, und die Frischkäsebällchen mit dem Kümmelbrot dazu ausgezeichnet.

Dann probieren wir das nächste Bier, das Helle. Schon deutlich besser. Zwar auch keine Perle südosteuropäisch-bayerischer Braukunst, aber ein ordentliches und süffiges Alltagsbier. Vielleicht ein Hauch zu viel Süße, ein Hauch zu wenig Hopfen. Aber gut trinkbar.

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Weizen, Helles, Schwarzer Bock

Das Weizen und das Helle gibt es hier als Standardbier, das dritte angebotene Bier rotiert über das Jahr hinweg durch. Derzeit ist es ein Schwarzer Bock mit 7,1% Alkohol, wie die kleinen Werbeaufsteller überall auf den Tischen stolz verkünden. Und dieses Bier ist richtig gut! Kräftig malzig, ohne mastig oder gar klebrig zu werden, eine deutliche Hopfenherbe, die aber das Aroma nicht dominiert, sondern fein im Hintergrund werkelt. Dazu ein Hauch von röstiger Bittere, aber nur ein Hauch. Die Spundung ist nicht zu hoch, und: Bilde ich es mir ein, steht das Glas schon zu lang, oder ist der Schwarze Bock doch vielleicht richtigerweise einen Hauch wärmer gezapft als die anderen beiden Biere vorher? Ach, ich glaube, er ist einfach nur schon ein, zwei Grad wärmer geworden – was aber in diesem Fall genau richtig ist. Ein richtig gutes Bier!

Man kann auf der schmucken Anlage der Firma Caspary also beides, man kann den Bierverhunzer spielen und ein unangenehmes Weizen brauen, man kann aber auch einen richtig schönen schwarzen Bock zaubern und die Gäste begeistern.

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die Galerie oberhalb des Schankraums bietet einen schönen Panoramablick

Die durchweg sehr jungen Bedienungen, Männer wie Frauen, sind fleißig und aufmerksam, kümmern sich gut um uns. Obwohl es früher Nachmittag ist, die gastronomisch tote Zeit zwischen Mittag- und Abendessen, ist das Restaurant durchaus gut besucht. Obwohl es fernab liegt von den touristischen Attraktionen der Stadt, die sich durchweg in Zentrumsnähe befinden. Plovdiv sei eine der ältesten Städte, wenn nicht sogar die älteste Stadt Europas, erste Siedlungsspuren seien fast achttausend Jahre alt, erzählt Stoychos Freundin Gabi stolz, und nächstes Jahr, 2019, werde Plovdiv Kulturhauptstadt Europas.

Na, denke ich, dann werden sie den vielen Besuchern, die zu erwarten sind, hier im Jägerhof wohl unverdrossen die oberbayerische Dirndl- und Bierkultur näherbringen, und das bulgarische, thrakische Kulturgut den Veranstaltungen in der Altstadt überlassen. Ich lache kurz auf, und meine drei Freunde schauen mich erstaunt an. „Ach, es ist nichts“, winke ich ab und grinse. „Alles ist gut. Bier, Wurst, Brot, Dirndl, Lederhosen und ein Sudwerk aus Bayern – fast wie daheim.“ Was immer „daheim“ auch sein mag…

Die Бирария Jägerhof ist täglich von 10:00 bis 01:00 Uhr durchgehend geöffnet; kein Ruhetag. Vor der Tür befindet sich ein großer Parkplatz, der gemeinsam mit dem benachbarten Supermarkt genutzt wird. Das Parkticket wird bei Verzehr im Jägerhof entwertet; das Parken ist dann gratis. Zu erreichen ist die Brauerei durch die Lage am Stadtrand am besten mit dem Wagen; mit dem Bus wäre es schon recht umständlich.

Bilder

Biraria Jägerhof / Бирария Jägerhof
улица „Съединение“ 4 / ulitsa Saedinenie 4
4023 Пловдив / Plovdiv
Bulgarien

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